Dieses Buch ist ein Witz. Eigentlich ist es ein Krimi, ein deutscher. Er ist nigelnagelneu, erst im Mai erschienen, also fast noch warm. Er stammt von einer Autorin, die knapp über dreißig ist und in Bad Pyrmont lebt. Und die Geschichte spielt in Bochum!
Ein Witz, ich erwähnte es schon.
Lila (Abkürzung für, nein, wird nicht verraten) Ziegler sitzt im ICE nach Bielefeld, wo sie ihr Jurastudium beginnen soll. Sie sitzt nicht freiwillig da, ihre Eltern haben sie dahin gesetzt. Überhaupt bestimmen ihre Eltern viel, fällt Lila im Lauf der Fahrt ein. Kurz vor Bielefeld merkt sie, daß sie die Schnauze voll hat davon und fährt kurzerhand weiter. Bis sie vor dem Schaffner flüchten muß. So landet sie in Bochum. Dort regnet’s (diese Information füge ich für die hinzu, die, wie Lila, Bochum nicht kennen.).
Lila ist gestrandet, aber ehe sie aufgibt, muß viel passieren. Zunächst passiert allerdings nichts (wir befinden uns in Bochum, ich erwähnte es schon.). Also muß Lila sich etwas einfallen lassen, um ins Trockene zu kommen und ein Plätzchen für die Nacht zu finden.
Lila läßt sich etwas einfallen und wenn Lila loslegt, wird sogar Bochum lebendig. Kurz darauf jedenfalls hat ein frustrierter Privatdetektiv in den besten Jahren einen weiblichen regendurchweichten Gast mit lila Haaren. Für eine Nacht, denkt er. Aber der Mensch denkt und Lila lenkt, selbst wenn sie keinen Schimmer davon hat, wohin der Karren gerade fährt.
Wie es der Zufall (und die Autorin) will, ermittelt der Privatdetektiv im Fall eines Selbstmords einer Schülerin. Er kommt aber nicht weiter, obwohl er als Undercover-Agent an der Schule als Sportlehrer arbeitet. Lila ist zwar zwanzig, aber sie kann glatt für sechzehn durchgehen.
Obwohl drei reife Männer widersprechen, können sie Lila nicht widerstehen. Zwei Tage später sitzt sie als Schülerin in der Klasse des toten Mädchens und ermittelt.
Was sich von an abspielt, kann man am ehesten beschreiben als ‚modern hard-boiled-mystery meets chick-lit’. Es ist hanebüchen, abseitig, unrealistisch hoch drei. Und es ist frech, verrückt, gemäßigt sexy und zum Ende hin ganz schön wild. Es ist voller Stereotypen und Klischees (Klamottenkauf und ‚Abschlußball’ incl.), man kann beim Lesen eigentlich nur den Kopf schütteln, käme man vor Kichern und Spannung überhaupt auf den Gedanken.
Es ist nämlich verflixt gut erzählt und geschrieben. Noch die platteste Stelle scheint im Augenblick des Lesens eine zumindest vage Mehrdimensionalität zu haben. Die Autorin kennt sich offenbar aus in den Genres, die sie da zusammenmixt.
Das Buch enthält alles, was man beim Lesen zum Träumen braucht. Eine toughe Ich-Erzählerin mit einem dunklen Geheimnis, einen attraktiven Typen (Detektiv, Dreitagebart, und der Vorname: Ben. Hach!), seinen nicht minder attraktiven, aber soliden Freund und als Mutterersatz einen fetten Kneipenwirt, der Lila in Nöten schon mal an seine umfangreiche Brust drückt und ansonsten mit selbstgekochtem Essen in Fernfahrer-Portionen versorgt. Ich fürchte, ihre 32/34-Figur wird sie bei der Diät nicht lange behalten.
Dazu Zicken (sagt Lila!) im Leben des Privatdetektivs, Schulatmosphäre aus einschlägigen US-High-School-Filmen, standardmäßig pubertierende Teenager (da hätte die Autorin noch nachlegen können. Offenbar hat sie schon lange nicht mehr mit dieser reizenden Spezies zu tun gehabt), fiese Lehrer und eine heiße Knutsche-Szene. Bei der habe ich aber wirklich den Kopf geschüttelt. Kommt man heutzutage immer noch mit XY auf der Motorhaube durch? Manche Phantasien veralten offenbar nie.
Der Showdown am Ende löste gleichfalls Kopfschütteln aus, er ist fragwürdig, vor allem, wenn man bedenkt, daß mit dem Buch wohl eine jüngere Zielgruppe angesprochen werden soll. Auch wenn das Buch im Ganzen gesehen alles andere als alltagstauglich ist. Aber ganz so glatt geht das nicht.
Natürlich sind die Schilderung der polizeilichen Ermittlungen sowie der Grund, wie der Fall in die Hände dieses reizvollen Detektivs gerät, mehr als realitätsfern. Ich gehe davon aus, daß die Autorin noch nie mit der Polizei zu tun gehabt hat. Das spricht sicher für sie.
In einer Schule war sie auch schon lange nicht mehr und ganz bestimmt nicht in einer Kneipe, wie in der von Molle. Gibt es so etwas überhaupt noch? Na, eventuell in Bochum. Die Stadt verschwimmt aber auch rasch. Tatsächlich könnte die Handlung so ziemlich überall spielen.
Der Kriminalfall für sich genommen ist ziemlich gut ausgedacht und hält auch einigermaßen die Waage zum zweiten wesentlichen Handlungsfaden betreffend Lila und Dreitagebart-Ben. Letztlich aber ist es Lilas Schnauze, die das wacklige Konstrukt zusammenhält.
Dieses Buch ist einfach nur ein Witz (s.o.). Aber ein recht vergnüglicher. Den verregneten Samstag hat er mir eindeutig versüßt.