Der 13. Brief - Lucie Klassen

  • Dieses Buch ist ein Witz. Eigentlich ist es ein Krimi, ein deutscher. Er ist nigelnagelneu, erst im Mai erschienen, also fast noch warm. Er stammt von einer Autorin, die knapp über dreißig ist und in Bad Pyrmont lebt. Und die Geschichte spielt in Bochum!
    Ein Witz, ich erwähnte es schon.


    Lila (Abkürzung für, nein, wird nicht verraten) Ziegler sitzt im ICE nach Bielefeld, wo sie ihr Jurastudium beginnen soll. Sie sitzt nicht freiwillig da, ihre Eltern haben sie dahin gesetzt. Überhaupt bestimmen ihre Eltern viel, fällt Lila im Lauf der Fahrt ein. Kurz vor Bielefeld merkt sie, daß sie die Schnauze voll hat davon und fährt kurzerhand weiter. Bis sie vor dem Schaffner flüchten muß. So landet sie in Bochum. Dort regnet’s (diese Information füge ich für die hinzu, die, wie Lila, Bochum nicht kennen.).
    Lila ist gestrandet, aber ehe sie aufgibt, muß viel passieren. Zunächst passiert allerdings nichts (wir befinden uns in Bochum, ich erwähnte es schon.). Also muß Lila sich etwas einfallen lassen, um ins Trockene zu kommen und ein Plätzchen für die Nacht zu finden.
    Lila läßt sich etwas einfallen und wenn Lila loslegt, wird sogar Bochum lebendig. Kurz darauf jedenfalls hat ein frustrierter Privatdetektiv in den besten Jahren einen weiblichen regendurchweichten Gast mit lila Haaren. Für eine Nacht, denkt er. Aber der Mensch denkt und Lila lenkt, selbst wenn sie keinen Schimmer davon hat, wohin der Karren gerade fährt.


    Wie es der Zufall (und die Autorin) will, ermittelt der Privatdetektiv im Fall eines Selbstmords einer Schülerin. Er kommt aber nicht weiter, obwohl er als Undercover-Agent an der Schule als Sportlehrer arbeitet. Lila ist zwar zwanzig, aber sie kann glatt für sechzehn durchgehen.
    Obwohl drei reife Männer widersprechen, können sie Lila nicht widerstehen. Zwei Tage später sitzt sie als Schülerin in der Klasse des toten Mädchens und ermittelt.


    Was sich von an abspielt, kann man am ehesten beschreiben als ‚modern hard-boiled-mystery meets chick-lit’. Es ist hanebüchen, abseitig, unrealistisch hoch drei. Und es ist frech, verrückt, gemäßigt sexy und zum Ende hin ganz schön wild. Es ist voller Stereotypen und Klischees (Klamottenkauf und ‚Abschlußball’ incl.), man kann beim Lesen eigentlich nur den Kopf schütteln, käme man vor Kichern und Spannung überhaupt auf den Gedanken.


    Es ist nämlich verflixt gut erzählt und geschrieben. Noch die platteste Stelle scheint im Augenblick des Lesens eine zumindest vage Mehrdimensionalität zu haben. Die Autorin kennt sich offenbar aus in den Genres, die sie da zusammenmixt.
    Das Buch enthält alles, was man beim Lesen zum Träumen braucht. Eine toughe Ich-Erzählerin mit einem dunklen Geheimnis, einen attraktiven Typen (Detektiv, Dreitagebart, und der Vorname: Ben. Hach!), seinen nicht minder attraktiven, aber soliden Freund und als Mutterersatz einen fetten Kneipenwirt, der Lila in Nöten schon mal an seine umfangreiche Brust drückt und ansonsten mit selbstgekochtem Essen in Fernfahrer-Portionen versorgt. Ich fürchte, ihre 32/34-Figur wird sie bei der Diät nicht lange behalten.
    Dazu Zicken (sagt Lila!) im Leben des Privatdetektivs, Schulatmosphäre aus einschlägigen US-High-School-Filmen, standardmäßig pubertierende Teenager (da hätte die Autorin noch nachlegen können. Offenbar hat sie schon lange nicht mehr mit dieser reizenden Spezies zu tun gehabt), fiese Lehrer und eine heiße Knutsche-Szene. Bei der habe ich aber wirklich den Kopf geschüttelt. Kommt man heutzutage immer noch mit XY auf der Motorhaube durch? Manche Phantasien veralten offenbar nie.


    Der Showdown am Ende löste gleichfalls Kopfschütteln aus, er ist fragwürdig, vor allem, wenn man bedenkt, daß mit dem Buch wohl eine jüngere Zielgruppe angesprochen werden soll. Auch wenn das Buch im Ganzen gesehen alles andere als alltagstauglich ist. Aber ganz so glatt geht das nicht.


    Natürlich sind die Schilderung der polizeilichen Ermittlungen sowie der Grund, wie der Fall in die Hände dieses reizvollen Detektivs gerät, mehr als realitätsfern. Ich gehe davon aus, daß die Autorin noch nie mit der Polizei zu tun gehabt hat. Das spricht sicher für sie.
    In einer Schule war sie auch schon lange nicht mehr und ganz bestimmt nicht in einer Kneipe, wie in der von Molle. Gibt es so etwas überhaupt noch? Na, eventuell in Bochum. Die Stadt verschwimmt aber auch rasch. Tatsächlich könnte die Handlung so ziemlich überall spielen.
    Der Kriminalfall für sich genommen ist ziemlich gut ausgedacht und hält auch einigermaßen die Waage zum zweiten wesentlichen Handlungsfaden betreffend Lila und Dreitagebart-Ben. Letztlich aber ist es Lilas Schnauze, die das wacklige Konstrukt zusammenhält.


    Dieses Buch ist einfach nur ein Witz (s.o.). Aber ein recht vergnüglicher. Den verregneten Samstag hat er mir eindeutig versüßt.

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Auf Empfehlung einer Kollegin hin habe ich das Buch auch gelesen. Hier meine Meinung dazu:



    Lucie Klassen, Der 13. Brief


    Inhalt: Lila Ziegler, Tochter aus gutem Hause, ist eigentlich auf dem Weg nach Bielefeld, um dort ihren Studienplatz in Jura anzutreten. Kurzentschlossen bleibt sie im Zug sitzen und landet in Bochum. Mit einiger List quartiert sie sich bei dem Privatdetektiv Ben Danner ein. Dieser steckt gerade in einer Ermittlung über den Selbstmord einer 16-jährigen Schülerin. Sein Auftraggeber ist ein Kriminalbeamter, dessen Tochter eine Freundin der toten Schülerin war und der nicht an einen Selbstmord glaubt.


    Da es Danner schwerfällt , bei den Schülern die nötigen Informationen zu bekommen, wird Lila als Schülerin in die zehnte Klasse eingeschleust.
    Da sie beim Lügen ein wahres Naturtalent ist, fällt es ihr nicht schwer, in die Clique der verstorbenen Eva Ahrend hineinzukommen und die Hintergründe des Todes nach und nach zu enthüllen.


    Meine Meinung Um das Negative vorweg zu nehmen, muss ich sagen, daß die Handlung als Kriminalroman nicht mehr als durchschnittlich ist.
    Das macht aber überhaupt nichts, denn Lucie Klassens Buch ist so originell geschrieben, daß es eine wahre Freude ist.


    Lila Ziegler ist eine freche Rotzgöre, die sich nichts vorschreiben lässt. Privatdetektiv Danner entspricht allen Klischees seines Berufstandes. Das ergibt zusammen mit Kriminalkommissar Staschek und Kneipenwirt Molle ein Szenario, in dem witzige Dialoge und aberwitzige Situationen Hand in Hand gehen. Daß dabei der Zufall ein wenig überstrapaziert wird, hat mich auch nicht weiter gestört.


    Die Geschichte wird dermaßen witzig und frisch erzählt, daß das Ende viel zu schnell kommt. Vielleicht darf man ja auf eine Fortsetzung hoffen.


    8,5 von 10 Punkten


    Edit: Schreibfehler

  • Rezension


    Als Tochter eines Oberstaatsanwalts ist Lilas Karriere schon bis ins kleinste Detail durchdacht. Allerdings nicht von ihr selbst, denn die rotzfreche Lila, die aus Prinzip gegen alles ist, was ihre Eltern ihr vorgeben, hat andere Pläne: Statt wie erwartet ihr Jurastudium in Bielefeld anzutreten, bleibt sie auf dem Weg in ihr neues Zuhause einfach im Zug sitzen, fährt weiter bis nach Bochum und kommt dort bei Privatdetektiv Danner unter.


    Während dessen gutmütiger Vermieter Molle Lila auch gleich einen Job als Kellnerin in seiner Wirtschaft anbietet, ist Ben Danner ein selbstverliebter, eigenbrötlerischer Macho, der Lila so schnell wie möglich wieder vor die Tür setzen will, um ungestört seinen aktuellen Fall ad acta legen zu können.
    Als Sportlehrer getarnt versucht er zu klären, ob die 16jährige Eva sich tatsächlich selbst das Leben genommen hat oder ob jemand anderes für ihren Sturz aus dem 5. Stock des Schulturms verantwortlich war. Da er jedoch immer mehr auf der Stelle tritt, schleust er Lila als Schülerin in die ehemalige Klasse des toten Mädchens ein, wo sie ihren Mitschülern und besonders Evas Freundeskreis auf den Zahn fühlen soll.
    Lila scheint in ihrem Element…


    «Der 13. Brief» ist der erste Roman von Lucie Klassen (mittlerweile Flebbe) und hat sogleich den Friedrich-Glauser-Preis 2oo9 in der Sparte ‚Debüt’ eingeheimst. So ganz überzeugen konnte mich die Geschichte dennoch nicht.
    Die Ausgangsposition – Lila undercover in der Schule – bietet zwar durchaus Raum für einen interessanten Plot und die dort angesiedelten Szenen vermitteln einen guten Eindruck der mittlerweile doch recht gewöhnungsbedürftigen Situation an unseren Schulen. Leider werden aufmerksame Leser aber nicht darum herumkommen festzustellen, dass auf dem Weg dahin die Grenzen der Realität und vor allem die des rechtlich Möglichen sehr weit ausgedehnt bis überschritten werden. Überhaupt gibt es einige Ungereimtheiten, die – sofern man darauf achtet – das Lesevergnügen deutlich trüben.


    Auch zu den nicht immer nachvollziehbar handelnden Figuren findet man nicht gleich einen Draht. Vor allem Lilas rebellische Art wirkt zunächst aufgesetzt und eher wie der berühmte Sturm im Wasserglas. Mit der Zeit jedoch erfährt man mehr über sie und ihre Vergangenheit und ihr Charakter erhält mehr Tiefe. Auch wenn sie am Ende leider etwas zu sehr zur Superheldin mutiert und es eher unglaubwürdig ist, dass sie ohne weiteres sowohl als 16- als auch als 26Jährige durchgeht.


    Letztlich hat mich auch der Ausgang des Kriminalfalls kaum überrascht. Größtenteils wurden meine recht frühen Vermutungen auch bestätigt.
    Und trotzdem bin ich nicht abgeneigt, die kommende Fortsetzung zu lesen. Warum? Zum Teil aufgrund des flapsigen, humorvollen Erzählstils, aber auch – ja, trotz der anfänglichen Kritik – weil ich gerne wissen möchte, wie es mit Lila, Danner und Molle weitergeht. Der erste Fall des neuen Ermittlerduos ist zwar abgeschlossen, es bleiben aber dennoch genügend Fragen für die mindestens vier weiteren geplanten Teile offen.


    FAZIT: Ein etwas holpriger Auftakt zu einer Reihe, der trotz der Mängel ein ordentliches Erzählpotential erkennen lässt.


    Wertung: 2/5