Matthias Keidtel ~ Ein Mann wie Holm

  • Kurzbeschreibung
    Holm ist 37 Jahre alt und lebt auf dem Sofa seiner Tante. Jetzt soll er raus ins feindliche (weibliche) Leben!


    Ist Holm normal? Ein Mann, der bei seiner Eierlikör trinkenden Tante lebt und noch nie eine Freundin hatte? Aber ein Mann wie Holm braucht keine Abenteuer. Schließlich ist es aufregend genug, auf der Suche nach Toilettenpapier die Abteilung für Intimpflege eines Supermarktes zu durchforsten. Aber dann lernt Holm eine Frau kennen - ein Vorgang, der auch für weniger komplizierte Charaktere eine Herausforderung sein kann. Ist es Liebe? Und wenn ja, woran erkennt man das? Eine glänzende Komödie über die Absurdität der Liebe.


    Meine Meinung
    Ich habe mich prächtig amüsiert - Herr Holm - oder einfach nur Holm ist der Protagonist und Antiheld unserer Geschichte. Holm ist 37 und ein Spätzünder, wie er im Buche steht. Mit Mitte 30 muss er das "Hotel Mama" verlassen und zieht auf das Sofa seiner Tante. Dort lebt er nach einem strikten Tagesablauf - Frühstück 9 Uhr, Mittagessen 12 Uhr, Kaffeetrinken 15 Uhr und Abendbrot genau zu Beginn der Tagesschau.


    Holm nimmt an Kaffeekränzchen der Tante teil, schlürft Eierlikörchen mit deren ältlichen Freundinnen und fühlt sich wohl. Allerdings kommen Holm eines Tages dennoch Zweifel, was das Leben von ihm verlangt und er tritt ein in sein Projekt "Leben"... das geht soweit, dass er mit Ulrike - der Hemdenverkäuferin im KaDeWe - verkuppelt wird und Hals über Kopf bei ihr einzieht. Seine Welt ist aus den Angeln gehoben worden, seine Alltagsplanung ist dahin und er weiss nicht was mit ihm geschieht, als er mit 37 Jahren nun endlich sein 1. Mal erlebt. Holms Welt steht Kopf. Holm versteht Ulrike nicht. Holm versteht sich selbst nicht mehr. Holm lebt sein Leben nicht mehr als er selbst, sondern als "wir" zusammen mit Ulrike - und das stinkt ihm gewaltig. Was er so alles macht und wie er manchmal Ulrike und dann und wann auch seine Umwelt in den Wahnsinn treibt macht das Buch äußerst lesenswert.


    Ein Auszug zum Schmunzeln:


    Vorspann: Holm sitzt gelangweilt beim Brunch in einem Frühstückscafé und wartet auf Ulrike, die kurz auf die Toilette verschwunden ist. Genau in diesem Moment, will sich eine ältere Dame an den Tisch setzen…


    „Es war beinahe zu spät, angemessen zu reagieren, als er plötzlich ruhig erklärte: Personen über 70 sind an diesem Tisch nicht erwünscht. Die Frau, mit einem Bein bereits über der Bank, blickte ihn sprachlos an. Als sie sich wieder gefangen hatte, antwortete sie: Ich bin aber erst 63! Macht nichts, sagte Holm, Personen ab 70 oder wie 70 aussehend, je nachdem, was eher eintritt.“ :lache


    Vielleicht sieht die ein oder andere Eule nun Parallelen zu ihrem Holm zuhause…:grin


    Fazit: Unbedingt lesen!

    Lilli
    "The more you ignore me, the closer I get." [Morrissey]

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  • Hier läuft etwas falsch, dachte Holm, konnte aber nichts dagegen unternehmen.


    Holm ist 37 und lebt auf dem Sofa seiner Tante, so erfahren wir schon auf dem Cover des Buches. Aber als wir das Leben Holms betreten, neigt sich dieses angenehme Dasein schon dem Ende zu, ist Tante Hede doch offenbar nicht willens, das Leben, das Holm bisher bei seinen Eltern führen durfte, in dieser Form hinzunehmen.
    Nein, ziemlich rüde stößt sie ihn ins wahre Leben, schickt ihn völlig skrupellos zum Klopapier kaufen, besorgt ihm einen Job in einem Zigarrenladen, obwohl Holm doch gerade erst das Einkaufen gelernt hat und organisiert ihm letzten Endes sogar eine Freundin. Bei der zieht er dann auch gleich übergangslos ein und merkt zunächst gar nicht, dass er eigentlich vom Regen in die Traufe geraten ist. Statt Kaffeekränzchen mit Eierlikör gibt es nun Brunch bei irgendwelchen großkotzigen Yuppies. Statt Leberwurstschnitte zum Tatort Popcorn im Cinemax.


    Das hört sich zunächst ziemlich platt an, nach einem Schenkelklopfer, in dem eine weitverbreitete Lachnummer, eben das Muttersöhnchen, Objekt der tendentiell gehässigen Schadenfreude ist. Ist es aber nicht und das liegt an Holm. Ähnlich einem Autisten entlarvt er nämlich die Selbstverständlichkeiten der Normalos, indem er ihre Spielchen nur scheinbar mitspielt, in Wahrheit aber eine ganz andere, manchmal klügere, manchmal aber auch herrlich verbohrte Sicht der Dinge hat. Frei von jedem soziale Gespür für die erwarteten Antworten (was ihm auf Tantes Couch abhanden gekommen ist), beantwortet er Fragen ehrlich und direkt, und bringt sich so in so manche peinliche Situation.


    Keidtel beschreibt seinen Helden mit viel Empathie und auch wenn man in manchen Situationen peinlich berührt in der Sofaritze verschwinden möchte, stellt er die Verhältnisse Zug um Zug auf den Kopf, mehr und mehr wird klar, dass nicht Holm, sondern seine Mitmenschen die eigentlichen Sonderlinge sind.


    Und ganz nebenbei habe ich gelernt, warum der Berliner so ist, wie er ist, weil Holm als eingefleischter (West)Berliner mir die Augen manche „berlinerische“ Verhaltensweise geöffnet hat: die Pampigkeit der Verkäufer jeglicher Couleur ist nicht etwa Unhöflichkeit, sondern eine ausgeklügelte Strategie, um den Verkaufsprozess zu optimieren und der rüde Umgangston auf Berlins Straßen nur der tiefempfundene Drang nach Ehrlichkeit (eigentlich ist ein „Das isn Radweg, du blöde Fotze“ doch viel herzlicher als das Gebimmel mit einer schnöden Fahrradklingel)

    Menschen sind für mich wie offene Bücher, auch wenn mir offene Bücher bei Weitem lieber sind. (Colin Bateman)

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