Chrysanthmen im Spiegel. Klassische chinesische Dichtungen
Herausgegeben, übersetzt und nachgedichtet von: Ernst Schwarz
Verlag: Rütten & Loening, 1969
VERGRIFFEN
ISBN: 978-3352000119
Inhalt
ZitatAus der Einleitung
Die meisten deutschsprachigen Anthologien chinesischer Lyrik blieben an der Chinoiserie haften. [...] Unsere Auswahl versucht, soweit das subjektiv möglich ist, das landläufige Bild der chinesischen Dichtung zu korrigieren, es auf eine breitere Basis zu stellen und neben dem ästethisch Ansprechenden auch das Typische, das historisch, sozialkritisch und geistesgeschichtlich Interessante und Wichtige in einem nicht allzu umfangreichen Sammelband zu vereinen.
Zum Herausgeber/Übersetzer
Ernst Schwarz (1916-2003) war ein österreichischer Sinologe und Übersetzer und hat lange Zeit in China gelebt. Er wurde vor allem für seine Übersetzungen von Gedichten und philosophischen Texten bekannt, die zwar großen Anklang bei den Lesern fanden, jedoch in Fachkreisen nicht unumstritten sind.
Meine Meinung
Es ist eher Zufall, dass ich zu diesem Buch kam, die Bücherei verschenkte es. Ansonsten wäre ich wohl nie darauf gestoßen - und das wäre schade gewesen, da es bei mir Interesse geweckt hat.
Auch wenn man wie ich kaum Kenntnisse von chinesischer Geschichte und noch weniger von chinesischen Gedichten, ist dies in diesem Buch nicht schlimm - eine Einleitung, die mit geballten Informationen die Geschichte und Entwicklung der chinesischen Literatur umreißt (das Buch behandelt Gedichte von ca. 1100 v. Chr bis ca. 1900 n. Chr.) und den Leser aufklärt, dass der Begriff "klassisch" in chinesischer Lyrik nicht zeitlicher Natur ist, sondern sich auf die "klassische", vom Gebrauchschinesisch abweichende Literatensprache bezieht.
Ich konnte nicht alle Informationen behalten, aber es lieferte einen gelungenen Einblick. Was mich am meisten interessierte, war der leider etwas kurze Abschnitt über die Schwierigkeit, Gedichte aus dem chinesischen zu übersetzen, die sich auf die Knappheit des Ausdrucks und sprachliche Mehrdeutigkeiten (bzgl. der Zeiten, Personen, aber auch der einzelnen Zeichen) zurückführen lässt und eine wortgetreue Übersetzung unmöglich mache und somit eine Nachdichtung erforderlich mache.
Beispiel
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WANG WE: Herbst in meiner Hütte am Berge
Einleitung, S. 43, wörtliche Übersetzung eines Auszugs
hell Mond Fichte inmitten strahlen
klar Quell Stein darauf fließen
Bambus lärmen zurückkehren Wäschermädchen
Lotos bewegen hinuntergehen Fischerboot
wird zu
S. 205, Auszug aus dem Gedicht
Mondsilber sickert durch die Fichtenwipfel.
Von Stein zu Stein hellklingend sprinkt der Quell.
Im Bambus raschelt's: Auf vertrauten Wegen
vom Teiche Wäschermädchen nahn.
Wo sich die Lotosblätter knisternd regen,
gleitet ins Wasser sacht ein Fischerkahn.
Zu den zahlreichen Gedichten, deren Inhalte sich von Kriegen über sozialkritische Schilderungen des Bauernlebens und Verherrlichungen des Weins bis zu Naturbetrachtungen erstrecken, finden sich dem Europäer helfende Anmerkungen sowie zu jedem erwähnten Dichter eine mehr oder weniger lange Kurzbiographie im Anhang. Zusammen mit der Einleitung erzeugt das den Eindruck, man habe sich Mühe gegeben.
Aber Mühe reicht leider nicht ganz.
Mit den Nachdichtungen dieses Buches, die anscheinend allesamt auf Ernst Schwarz zurückgehen, und sich deswegen sprachlich ähneln, assoziiert man nicht unbedingt bedeutende chinesische Literatur. Sie sind unterschiedlich gut gelungen, erscheinen in Bezug auf Strophengröße teilweise etwas willkürlich und erinnern so nicht immer an die in der Einleitung erwähnten starren Muster. Auch holpert das Metrum manchmal oder es wird mit dem Reimen geschummelt (nein, ein kurzes e reimt sich nicht auf ein langes ä! :bonk).
Ich tendiere (da ich völlig unwissend in Bezug auf die Originale bin) dazu, dies dem Übersetzer anzulasten und vermute, dass sich das nicht auf "ins Deutsche übertragene" tonale Holperer im chinesischen Original zurückführen lässt. Durch diese sprachlichen Ungereimtheiten, die zwar nicht überwiegend, aber doch immer mal wieder auftreten, wurde zumindest mir die Lesefreude bei einigen Gedichten vermiest.
Die verschiedenen Dichtungsarten, seien es Tzi- oder Schi- oder noch andere Gedichte und die von Ernst Schwarz gerühmten Finessen, die individuellen Stile der Dichter, sei es eine ausdrucksvolle Prägnanz oder ein lieblicher Ausdruck, lassen sich an den sich sprachlich nicht so unterschiedlichen und strophlich willkürlichen Nachdichtungen nur noch begrenzt erkennen. Dichter, die in ihren Biographien zu Meistern erklärt werden, erscheinen in den abgedruckten Gedichten (es ist nur eine winzige Auswahl, von manchen Dichtern nicht mehr als ein Gedicht) langweilig und sprachlich arm.
Ich möchte nicht sagen, dass mir die Gedankengänge in einigen der Gedichte nicht gefallen habe, ein großer Teil der Nachdichtungen klangen sehr gut, so dass ich sie mir mit Post-Its markiert habe, aber ich bin mehr und mehr zu der Auffassung gelangt, auch weil es Anmerkungen gibt wie "In der Übersetzung wurde nur die erste Strophe des Tzi-Gedichts wiedergegeben, da die zweite stereotyp und platt wirkt", dass man als Leser der deutschen Nachdichtung nur wenig (=zu wenig?) vom Originalgedicht bekommt. Um die gelobten stilistischen Eigenheiten, sprachlichen Finessen und die inhaltliche Wirkung zu erkennen, reicht dieser (nicht immer schlechte) Abklatsch leider nicht immer aus, deswegen lassen sich die Gedichte wohl nur im Original (einigermaßen) ganz erfassen.
Trotz all der Kritik, unter Berücksichtigung der Schwierigkeiten, ist das Buch dennoch nicht ungelungen. Es liefert Einblicke in die chinesische Kultur, in chinesische Geschichte und chinesische Lyrik - und hat mir interessante Lesestunden beschert.
Aus den Gedichten, die mir besonders gut gefallen haben, möchte ich hier zum Abschluss ein kurzes zitieren.
ZitatS.244
LIU TSCHANG-TSCHING: Alte Weise, auf der siebensaitigen Laute gespielt
Klirrn höre ich den Frost im Klang der Saiten,
den Herbstwind raunen, rauschen in den Föhren -
Was nützen uns die Lieder alter Zeiten?
Wir lieben sie; doch keiner mag sie hören.
Fazit
Ein Buch, das einen guten Einblick bietet und zumindest Interesse wecken kann.
Subjektive, meine eigene Kritik missachtende 8/10 Punkte für die schöne Lesezeit.
bartimaeus