Das Hemd
Jewgenij Grischkowez
Amman Verlag
HC, 267 Seiten
ISBN: 978-3-250-60122-7
Klappentext:
Ein Tag im Leben eines Neu-Moskauers, zugereist aus der russischen Provinz – ein Tag im Leben seines Hemdes. Am Morgen danach wird es zerknittert in der Ecke liegen und einiges hinter sich haben: Saschas hektischen Arbeitstag, wilde Autofahrten quer durch die Stadt, aberwitzige Tagträume, Gespräche bis tief in die Nacht und – das Bangen des heftig Verliebten. Morgen wird das Hemd gewechselt: neuer Tag, neues Hemd, neues Glück.
Jewgenij Grischkowitz, der Shootingstar der jungen russischen Literatur, beschreibt den Moskauer „Bloomsday“ seines Helden in einer erzählerischen Rasanz, die der stürmischen Entwicklung der russischen Hauptstadt ebenbürtig ist. Mit scharfem Blick charakterisiert er einen Typus aus der neuen aufstrebenden Mittelschicht – seinen Hedonismus, seine Lässigkeit, seine Lakonie.
Sascha ist eine Dandy des 22. Jahrhunderts und zugleich eine Russe, wie er im Buche steht: eine treuer Freund, eine leidenschaftlich getriebener, ein trinkfreudiger Philosoph, der am Abend genauso mitgenommen ist, wie sein Held.
Meine Rezension:
Der Klappentext trifft es diesmal ganz gut: wir begleiten auf 267 Seiten den Tag des Russen Alexander (Kosename Sascha), der heftig verliebt ist und von seinem Freund Max besucht wird. Irgendwie so stellt sich Lieschen Müller ja die Russen in Moskau vor: Unternehmergeist mischt sich mit der russischen Melancholie und einer erstaunlichen Trinkfestigkeit. Die Melancholie spiegelt sich in der enormen Unsicherheit gegenüber seiner großen Liebe wieder. Man erfährt in kurzen Rückblenden, wie sie sich kennen gelernt haben, SIE taucht aber nie auf, nur mal in kurzen, eigentlich nichts sagenden Telefonaten. Der Gedanke an SIE ist aber immer präsent – was SIE wohl gerade tut, was SIE denkt, ob er SIE gleich anrufen kann, oder erst später, kommt SIE zum Rendezvous oder nicht? SIE ist so wichtig, dass „SIE“ – man merkt es - immer groß geschrieben werden muss. Das alles klingt etwas jämmerlich und ging mir schon ein wenig auf den Keks.
Der Tag vergeht unheimlich rasant, ständig geht man irgendwo was essen und natürlich trinken (über die typisch russische Maßeinheit Gramm für hochalkoholische Getränke musste ich schmunzeln – da wird der Weinbrand in 100gr-Abmessungen getrunken!). Zwischendurch regelt Sascha noch die beruflichen Geschäfte – er ist Architekt und muss auch mal auf einer Baustelle nach dem Rechten sehen. Und schon trifft man sich wieder in irgend einer Bar oder einem Restaurant.
Als Leser ist man als stiller Beobachter immer dabei, auch wenn man manchmal das Gefühl hat, nicht mitzukommen, weil es schon wieder weiter geht. Erholungspausen hat man nur in den Rückblenden in die Vergangenheit von Sascha und auch Max. Ansonsten passiert eigentlich nicht viel, eben ein ganz normaler Tag – arbeiten, reden, trinken, diskutieren…
Der Schreibstil ist sehr gewöhnungsbedürftig, nach 5 Seiten dachte ich, ich leg das Buch weg. Aber irgendwie hat es mich doch gefesselt – und so dick war es ja nun auch nicht. Der Autor (oder der Übersetzer?) schreibt in kurzen, abgehackten Sätzen, verwendet leidenschaftlich gern Ausrufezeichen – auch mal gern drei Stück hintereinander - und mag Auslassungszeichen anscheinend genauso gern wie ich (nur, dass ich nie Romane schreiben würde… smile ). Zwischendurch gibt es sogar mal ein paar Seiten eines Gespräches zwischen Max und Sascha, die im Interviewstil („Max: blabla, Ich: blubblu, Max: blaba usw. ) geschrieben wurden. Sich darauf einzulassen, fand ich doch sehr gewöhnungsbedürftig!
Im Großen und Ganzen ein nicht uninteressantes, ironisches Buch – nett, es gelesen zu haben, aber als nächstes hätte ich dann gern wieder einen üblichen Schmöker mit bitte weniger als 3 Ausrufezeichen pro – möglichst vollständigem – Satz. Gegen längere Schachtelsätze hätte ich auch nichts einzuwenden.
Weil der Stil so ungewöhnlich ist, habe ich eine Leseprobe angehängt, damit Ihr Euch ein Bild machen könnt:
Wodka-trunkene Diskussion zwischen Sascha und Max über Realität:
„Max, du sagst also, das Leben sei real? Natürlich!!! Das Leben ist hyperreal! Ich habe mich verliebt, aber wenn ich SIE ansehe, dann sie ich SIE doch real. Mein Blick ist nicht getrübt, ich fühle mich wie im Nebel. Ich sehe SIE realer als sonst irgendjemand. Sie ist sehr schön! Sie ist so schön, dass ich gar nicht weiß, was ich will. Ich liebe SIE so sehr, dass ich gar nicht weiß, was ich will. Ich liebe SIE so sehr, daß ich gar nichts wollen kann. Aber letztes Mal bin ich zu einem Rendezvous mit IHR gegangen und habe gedacht: >Wenn ich IHRE Hand halten und mit IHR sprechen dürfte – Schluß! Mehr brauchte ich gar nicht. Ich will sonst gar nichts. Weil, was kann es mehr geben, als neben IHR zu sitzen und IHRE Hand zu halten?< Und dann treffen wir uns, sitzen einander gegenüber. Von meinen Augen bis zu IHREN Augen sind es fünfzig, sechzig Zentimeter, nicht mehr. Da sind IHRE Hände auf dem Tisch… Meine auch. Und plötzlich berührt SIE meine Hand dann lege ich meine Hand auf ihre Hand… Und so sitzen wir da!!! Aber kaum ist das geschehen, kaum hab ich meine Hand auf ihre Hand gelegt… Genau in der Sekunde war mir DAS zuwenig. Sofort! Siehst du, nicht eine Sekunde Glück! Statt dessen ist alles nur noch schwieriger und schmerzhafter geworden…“
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