'Die zwölfte Nacht' - Seiten 171 - 264

  • Zitat

    Original von Charlie
    Das Ohrenstaebchen ist aus Portsmouth!
    Und da kommt's auch vor, ist aber gnadenlos gekuerzt.


    ..und woher soll ich wissen ob Portsmouth viermal im Buch vorkommt oder einmal- wenn einmal hab ichs überlesen- dann war der rote Tom zu heftig im Vordergund für mich, kommts noch mal vor, könnte ich es noch vor mir haben wobei mich dünkt Tom benutzte das Ohrenstäbchen- kann das sein? Er wäscht sich gründlich und so???

  • Das Bild von Henry bekommt in diesen beiden Nächten einen sehr launisch und willkürlichen Anstrich. Viele seiner Rechtsbrüche scheinen in ein Konzept zu passen und werden als Herrschaftsmittel verwendet. In anderen Situation reagiert er durchaus gelassen, wo man einen Wutausbruch fürchten könnte (John bei der Hochzeit). Während gerade die Szene mit den Pilgern wieder eine andere Facette zeigt, wo er zuerst kontrolliert bleibt und sobald diese den Raum verlassen, sich sein Zorn entlädt.


    Auf der anderen Seite gibt es auch wieder Szenen, wo er seinen Emotionen freien Lauf läßt, wie man es so gar nicht erwarten würde, wie als ihn der Arzt berichtet, dass das Fieber von Jane gesunken sei.


    Dann fällt mir noch ein, dass er immer alle Dinge, die ihn an seine Opfer erinnern entfernt haben möchte. Muss jetzt zwar nicht viel aussagen, aber könnte eine leichte Indizwirkung haben.


    Für mich zeichnet sich momentan ein Bild eines Herrschers, der willkürliche Gewalt als Herrschaftsmittel anwendet und zusätzlich gewisse "Starallüren" an den Tag legt. Schaun wir einmal, wie sich das noch entwickeln wird.


    Beschäftigt hat mich auch noch die Eheschließung von Henry mit Jane. Als Edward mit ihr über die mögliche Heirat spricht, bin ich mir noch nicht ganz über Edwars Innensicht sicher. Mittlerweile müsste er ja wissen, dass die Position als Königin an Henrys Seite eine höchst wackelige ist. Er erkennt auch, dass Tom sich dessen nicht ganz bewusst ist, der ja noch glaubt, dass Anne Boleyn nur in eine Kloster abgeschoben werden soll. Er spielt aber auch mit dem Gedanken, was die Howards machen würden, um Henry eine papsttreue Gemahlin ins Bett zu legen.


    Streut er sich da nicht selbst Sand in die Augen, wenn er Jane die freie Wahl anträgt. Im Grunde nimmt er dabei ja auch in Kauf, dass Jane ein ähnliches Schicksal wie ihren beiden Vorgängerinnen droht. Läßt er das als Chance für den Glauben außen vor oder in der Hoffnung, dass bei Jane alles besser laufen wird?


    Für mich ist das vor allem deswegen schwer einzuordnen, weil er sonst immer so gnadenlos ehrlich gegen sich selbst ist. Auch später, wenn sein Vater gestorben ist und er immer danebensteht und sich denkt, dass er eine Schutzrolle für seine Geschwister einnehmen müsste.


    Auf Edward seh ich aber noch dunklere Wolken zukommen. In Anne scheint langsam ein Rachesüpplein hochzukochen.


    "Schön" fand ich auch die Kellerszene im Norden. Da hab ich mir schon gedacht: "Ah, jetzt kommt eine Pestepisode." Es hat mich gefreut, dass dem einmal nicht so war, weil auf so eine Szene folgt sonst in fast jedem historischen Roman die Pest.

  • Ja, ich denke auch, dass Edward in diesem Augenblick sich Sand in die Augen streut. Aber erfolgreich, d.h.: Er glaubt sich einen Herzschlag lang, dass er handeln wuerde, wenn Jane es von ihm verlangte.
    Natuerlich waere es - wie Jane und kurz darauf gewiss auch Edward begreifen - ein Ding der Unmoeglichkeit gewesen.
    (Er haette hoechstens Henry einen Praekontrakt praesentieren koennen, d.h. zum Beispiel auf eine Quasi-Verlobung seiner Schwester mit Robert Dormer in der Vergangenheit hinweisen und sie damit zu einer ungeeigneten Kandidatin machen. Im allerbesten Fall waere seine Familie damit bei Hof erledigt gewesen - dass Henry ihnen ansonsten nichts getan haette, ist aber zu diesem Zeitpunkt noch durchaus denkbar.)


    Ich finde Deine Beschreibung von Henry sehr treffend. Tatsaechlich hat er z.B. Anne Boleyn (ich waehle nur dieses Beispiel wg. Spoilergefahr) regelrecht ausradieren lassen. In Hampton Court kann man Spuren davon noch erkennen. Jane Seymours Initialien sind an vielen Stellen erhalten (auch wenn man natuerlich jeweils fuer neue Braeute neue anbringen liess), von Anne Boleyn findet sich nichts.
    Auch erlaubte man sich in seiner Gegenwart besser nicht, z.B. Thomas More zu erwaehnen.


    Gerade die von Dir aufgezeigte krasse Unberechenbarkeit von Henry fuehrt bei vielen Medizinhistorikern zu der Annahme, er muesse an einer die Persoenlichkeit veraendernden Erkrankung gelitten haben - zumal die Willkuer im Laufe seines Lebens immer schlimmer wurde. Ich persoenlich bin der Ansicht auch, mich ueberzeugen die Historiker, die nachweisen wollen, er habe an einer Erkrankung der Schilddruese gelitten. Allerdings ist das fuer mich nicht der entscheidende, interessante Punkt, weshalb ich diese Sache auch nicht angespielt habe. Interessant ist fuer mich, was passieren kann, wenn ein Mensch ein Leben lang mit einer solchen Machtfuelle ausgestattet ist, was das an dem Menschen tut. Es ist - fuer mich wie fuer die Medizingeschichte - durchaus auch denkbar, dass Henry an ueberhaupt keiner Krankheit litt, sondern zu den zahlreichen Menschen gehoerte, die mit Macht nicht umgehen koennen.


    An seiner Beziehung zu Cranmer zeigt sich besonders deutlich die voellige Willkuer in seinem Denken und Handeln (nicht fuer alles war im Roman Platz). Er erwischte Cranmer mehrmals bei Vergehen, fuer die er sonst linkshaendig Todesurteile verhaengte und tat es mit einem Gelaechter "unter uns Maennern" ab, waehrend er ihn fuer andere Dinge, die Cranmer sogar mit ihm besprochen hatte, mit dem Tod bedrohte.


    Pestschuebe hat es waehrend Henrys Regierungszeit zwar gegeben (das kommt spaeter auch noch einmal), aber keine wirklich gravierenden.


    Alles Liebe von Charlie

  • Zitat

    Original von Paradise Lost
    Ich habs die ganze Zeit krampfhaft verdrängt. :lache


    Es ist mir nicht gegeben, gewisse Herren zu verdrängen :grin


    Die für mich interessante Hypothese über Henry ist die, dass er mit Macht nicht umgehen konnte, bzw. konnte er schon, nur leider nicht in dem von mir bevorzugten humanen Sinne. Wie war es bei dem französischen Franz?


    Hat er Anne Boleyn so gründlich ausradieren lassen, weil sie ihm ihren Willen aufgezwungen hat? War er im Nachhinein über seine eigenen Bemühungen//Erinnerungen beschämt? An seinem Liebesleben kann man ganz gut die verschiedenen Formen der Liebe (wie sie zu der Zeit ja heftig diskutiert wurde) verfolgen: Liebe, Begehr ...


    Gestern habe ich einen Artikel über Margarete von Navarra gelesen, in dem unter anderem ihre Bemühungen um eine Reform der französischen Staatskirche dargestellt wurden. Ich neige langsam der Ansicht zu, dass der Gedanke, Henry könnte Anne Boleyns wegen eine neue Kirche gegründet haben, etwas zu kurz gegriffen ist. Der religiöse Umschwung stand so oder so bevor, die Form in England war etwas brutaler, aber die Leute, vor allem Cranmer und die Seymours sehnten sich nach einer neuen, reformierten, voklsnäheren Kirche. Der Roman dreht sich doch auf sehr unterhaltsame Weise um die Entstehung jener.

  • Deine Fragen zu Anne Boleyn finde ich sehr spannend, die stelle ich mir auch.


    Henry und Anne schrieben sich schluepfrige Liebesbotschaften in Stundenbuecher. Sie bissen vom gleichen Apfel ab und verkrochen sich, wo immer sie ankamen, ins naechste freie Zimmer. Ich glaube, sie waren mal gluecklich miteinander - for a very little while.


    Dass Henry das im Nachhinein gut ertragen konnte, bezweifle ich.
    Dass es etwas zwischen den beiden gab, das ihn noch rasender machte, noch darin bestaerkte, sie voellig vernichten zu muessen, von der Enttaeuschung ueber den vorenthaltenen Sohn abgesehen, halte ich fuer wahrscheinlich.


    Aber nur eine von sehr vielen moeglichen Meinungen, Gedanken und Aspekten dazu.


    Alles Liebe von Charlie

  • Die für mich spannende Frage wäre eigentlich nicht, ob Anne unschuldig war oder nicht. Schuldig war sie jedenfalls eines brennenden Ehrgeizes und eigentlich hätte ihr klar sein müssen, dass wer sich auf der Spitze des Schwertes zum Tanz einfindet dabei sich auch schneiden kann. Spannend ist- hat Henry kalt aus dynastischen Gründen gehandelt- oder hat er das Schauermärchen vom Inzest und den Buhlen im halben Dutzend gar geglaubt? Ich habe eher das Gefühl ersteres, sonst müsste es doch Berichte über das typische Verhalten eines gehörnten Ehemanns geben- zumindest nach Katherines Verhaftung soll er ja so reagiert haben, wenn ich mich recht erinnere, war in dem was ich bisher geesen habe von solchen Reaktionen nach Annes Prozeß nicht die Rede.

  • Ich denke auch, dass er aus dynastischen Gründen gehandelt hat. Auf wessen Mist die Sache mit dem Inzest und den vielen Liebhabern gewachsen ist, weiß icb nicht. Meine aber gelesen zu haben, dass diese Anschuldigung mittlerweile sogar widerlegt ist. Ich nehme an, ohne sein Einverständnis hätte so eine Anklage nicht erhoben werden können.

  • Aus dynastischen Gruenden hat er - meiner Ansicht nach - ganz sicher gehandelt. Das war das treibende Motiv.
    Dass er nebenbei auch vor Zorn bebte, weil Anne die Rolle der provozierenden Geliebten ausgezeichnet, die der gefuegigen Ehefrau aber ueberhaupt nicht spielen konnte, glaube ich ebenfalls.
    Dass er sich von ihr betrogen fuehlte - um den Sohn, den sie ihm versprochen und um dessentwillen er sich hatte exkommunizieren lassen - glaube ich ebenfalls. Es ist gut moeglich, dass er ihre verbuergten zahlreichen Flirtereien satt hatte.


    Dass sie diese Liebhaber - einschliesslich des Bruders - hatte, glaube ich unter gar keinen Umstaenden. Alle beteiligten Maenner UND Anne Boleyn waren viel zu intelligent, auf diese Weise - zumal die Auswahl an problemlosen Frauen gross war - ihre Stellung, geschweige denn ihr Leben zu gefaehrden, die meisten hatten gar keine Gelegenheit. Dass sie auf ihre flirtende, neckische Weise mit ihnen umging - ja. Dass Henry, weil er gern wollte, sich das in seinem Kopf etwas in die Hoehe spiralisierte bzw. von Cromwell spiralisieren liess - auch ja. Mehr nicht.


    Alles Liebe von Charlie

  • Dieser Abschnitt war für mich der traurigste :cry
    Meine Güte, was habe ich hier gelitten :wow
    Zuerst stirbt Katharina von Aragon, dann sind wir bei der Hinrichtung von Anne Boleyn live dabei ;-(
    Am liebsten hätte ich hier EINHALT geboten (wenn ich gekonnt hätte)
    Die Boleyn war des Ehebruchs mit 5 Männern angeklagt und für schuldig befunden. Drei davon waren Freunde des Königs und wurden trotzdem hingerichtet :wow
    Dann stirbt der große John Seymour (Vater von Janie, Tom + Edward) danach das 6 Monate alte Baby von Anne und Edward (heul) Das war für mich so heftig zu lesen, dass ich mit eiskalten Händen da saß (ein Zeichen bei mir von Spannung oder auch Anspannung).
    William Tyndale wird wg. Häresie öffentlich verbrannt....
    Und ganz schlimm fand ich :cry :cry als Janie an Kindsbettfieber stirbt und Cathie in London ankommt, als Janie (ihre geliebte Janie) gerade beerdigt wird.
    Mir wars fast ein bisschen zu viel an schlimmen Schicksalsschlägen, ich mußte beim lesen mehrmals unterbrechen.


    Cathie leidet in der Ehe mit John Latimer und als er aus der Gefangenschaft als gebrochener Mann zurückkehrt, will sie ihr Gelübte, mit Ihm die Ehe zu vollziehen, eingehen. Sie ist einfach nicht glücklich im kalten hohen Norden und zieht mit Ihrem Mann John und seine Kinder wieder zurück nach London.
    Gerade angekommen, muss sie erfahren, dass die Königin tot ist :cry

    to handle yourself, use your head, to handle others, use your heart
    SUB 15
    _______________________________________________________
    :kuh:lesend

  • So, gerade diesen Abschnitt durch.


    Die Szene als Jane stirbt empfinde ich zwar auch als traurig, aber schlimmer die Hinrichtung Anna Boleyns.


    Erst durch diese Buch ist mir Jane sympathischer geworden.
    Bisher mochte ich sie nicht. Schon daher, weil sie meine geliebte Anna Boleyn verdrängte.


    Du, Charlie hast es geschafft, mir Jane ein wenig näher zu bringen. :-]


    Sicher ist nicht Jane schuld an Annas Tod, sondern ausschließlich Henry.
    Aber bisher habe ich mich eher mit Anna als mit Jane beschäftigt und sämtliche auf dem deutschen Markt verfügbaren Biographien von ihr gelesen. Da finde ich es nicht so verwunderlich, Jane bisher wenig Aufmerksameit geschenkt zu haben.


    Henry aber hätte ich schon immer unser heutiges Wissen gewünscht, dass nicht die Frauen, sonder ER schuld daran war, dass sie "nur" Mädchen bekamen.
    Entledigt sich seiner Frauen eines Grundes wegen, an dem er schuld war.
    Das ist eines der Dinge, die ich ihm nicht verzeihen kann, auch wenn er es nicht wissen konnte zu seiner Zeit.


    Ich deutete ja schon an, dass der Junker Tudor - genialer Ausdruck übrigens :grin - mir nie sonderlich sympathisch war.

  • Freue mich, dass Jane Seymour - die ganz gewiss Anne Boleyns Tod nicht wollte - ein bisschen Boden gutmachen konnte.


    Deine Sympathien fuer Anne kann ich sehr gut nachvollziehen. Sie war ein sehr besonderer Mensch und ihrer Zeit voraus.
    Was die Schwangerschaften angeht, so bin ich ja Anhaenger der - finde ich - hochspannenden Rhesus-Negativ-Theorie. Wenn sie zutrifft (und die Wahrscheinlichkeit ist hoch), so haetten ein paar simple Injektionen, wie sie heute zahlreiche Schwangere bekommen, nicht nur Annes Leben gerettet, sondern womoeglich die englische Geschichte veraendert.
    Und natuerlich haettest du umso mehr recht: "Schuld" auch an Todgeburten waeren dann beide Eltern.


    Alles Liebe von Charlie

  • Freut mich, dass der Ausdruck Euch gefaellt!


    Er soll Verachtung ausdruecken, indem er einen Titel waehlt, wie er einem ganz gewoehnlichen Adligen gebuehrt (Sir/Lord in England) - also deutlich macht, dass die Tudor-Dynastie im Grunde kein Thronrecht hat.
    Was damals uebrigens viele Menschen dachten. (Tom denkt es aber nicht, er kann Henry nur nicht leiden.)


    Alles Liebe von Charlie

  • ich habe soeben diese beiden Abschnitte beendet und bin noch ganz bewegt von Janes Tod, die ich im Laufe des Buches sehr lieb gewonnen habe.


    Leider habe ich nicht so viel Zeit, da ich dringend ins bett muss, um viertel vor 6 geht der Wecker *seufz*, aber ich wollte dennoch kurz hier ein paar Zeilen schreiben, da ich morgen im Zug weiterlesen werde.


    Sehr intensiv habe ich in diesem Abschnitt neben Janes Tod die Hinrichtung Anne Boleyns empfunden (danke aur Bouquineur an den Hinweis mit Wiki, ich habe ihre Rede soeben gelesen) sowie den Tod von John, Edwards Sohn.

  • Gute Fahrt, Bookworm!


    Ich war darueber, dass Jane gestorben ist, selbst sehr traurig. Und bin's immer noch, manchmal.


    Alles Liebe von Charlie

  • Zitat

    Original von Charlie
    Gute Fahrt, Bookworm!


    Ich war darueber, dass Jane gestorben ist, selbst sehr traurig. Und bin's immer noch, manchmal.


    Alles Liebe von Charlie


    Danke, die hatte ich, jedenfalls auf der Hinfahrt, da konnte ich gemütlich sitzen und lesen, und bei deinem tollen Buch war die Fahrt (10 min und 20 min) viel zu schnell vorbei, ich hätte gerne noch weitergelesen. Die Rückfahrt war dann nicht so toll, der Zug war überfüllt und daher musste ich das Buch eingepackt lassen. :-(

  • Das kenne ich bloederweise ... Zuege sind komischerweise immer dann am vollsten, wenn ich mir gerade meine Lieblingszeitung gekauft habe und sie genuesslich aufklappen wollte ...