Bevor ich in der Luft zerrissen werde: ich kenne diesen Thred und habe auch diesen hier gesehen. Mir geht es hier aber nicht um die Qualität der Übersetzung an sich, sondern darum, wann ist etwas eine Übersetzung - und wann eine veränderte Nachdichtung (mir fällt gerade kein anderes Wort ein).
Konkretes Beispiel: In der derzeitigen Avalon-Leserunde ist „Die Herrin von Avalon“ dran, Originaltitel „Lady of Avalon“. Ich lese im amerikanischen Original, habe für die Diskussion und Zitate die deutsche Ausgabe (Fischer Taschenbuch Verlag, 3. Auflage 1999) greifbar. Alle paar Seiten stelle ich fest, daß Original und Übersetzung nicht übereinstimmen.
Es fehlen Worte, Sätze, Absätze, sogar ganze Seiten. Dafür finden sich im deutschen Absätze, die es im Original gar nicht gibt. Ich habe den Eindruck, daß hier bewußt inhaltliche Änderungen vorgenommen wurden, da sich durch die Unterschiede zwischen amerikanischer und deutscher Ausgabe auch ein veränderter Sinn ergibt.
Es dürfte bekannt sein, daß Marion Zimmer Bradley zu den, sagen wir, Neuheiden gehörte. Diese ihre Überzeugung kommt auch in den Avalon-Büchern immer wieder durch. Zumindest in den Originalen, die deutsche Ausgabe scheint mir, hm, „christianisiert“ worden zu sein. (Nein - ich will hier KEINE Glaubensdiskussion, mir geht es nur um das Thema Übersetzung!)
Ein paar Beispiele aus dem Buch:
Der Prolog ist in der englischen Ausgabe ein völlig anderer als in der deutschen:
So beginnt die amerikanische Ausgabe:
The Faerie Queen speaks
In the world of humankind, the tides of power are turning. ... To me, the seasons of men go by in monents, but from time to time a flicker will attract my attention.
Und so fängt die deutsche Ausgabe an:
Das Unheil, das dem Land drohte, war offenbar unabwendbar. Der Nebel, der tief über dem stillen Wasser hing, zitterte in gespannter Erwartung.
Ein weiteres Beispiel. (Anm.: Mit „Father Joseph“ ist Joseph von Arimathäa gemeint.)
Seite 71 englische Ausgabe:
"HE was never there,“ Father Joseph said with a little smile. „Only the flesh HE had worn...The Master took it back again to show the power of spirit to those who think that the life of the body is all there, but I did not need to see HIM. I KNEW.“
Seite 101 deutsche Ausgabe (gleiche Stelle!!!):
“Er war niemals dort,“ flüsterte Vater Joseph. „Andere Dinge geschahen, über die ich nicht sprechen will. Soviel kann ich jedoch sagen, unser Herr erschien all denen, die ihm die Treue bewahrt hatten, um ihnen die Macht des Geistes zu zeigen. Er stärkte damit ihren Glauben daran, daß die Seele über allem Körperlichen steht. Aber das mußte ich nicht lernen. Ich wußte es.“
Und noch ein drittes Beispiel:
Seite 199 meiner amerikan. Ausgabe:
But this was more than a pleasant trip so seaside. When some of the woman questioned why the High Priestess should want to bless a Romen fort, Dierna remindet them of the eagle that hat appeared at their Midsummer rite. „Once we were enemies, but our safety depends on the Romans now,“ she hat told them, and Teleri, remembering the Saxons, agreed with her.*
Eine deutsche Entsprechung kann ich leider nicht angeben - es gibt keine. Hier eine sinngemäße Übersetzung für die, die Englisch nicht so gut verstehen:
Seite 262 (deutsch) nach „war sie erleichtert:“
Doch dies war mehr als ein Vergnügungsausflug an die See. Als einige der Frauen fragten, warum die Hohe Priesterin ein römisches Fort segnen wolle, erinnerte sie Dierna an den Adler, der während der Mittsommerrituale aufgetaucht war. „Einst waren wir Feinde, doch unsere Sicherheit hängt nun von den Römern ab,“ hatte sie ihnen gesagt und Teleri, die sich an die Sachsen erinnerte, stimmte ihr zu.
Schließlich habe ich mir für die Leserunde zu „Die Nebel von Avalon“ das Buch im amerikanischen Original in einer wunderschönen Jubiläums-Sonderausgabe gekauft, sehe schon mal diagonal hinein, um festzustellen, daß der letzte Satz des Originals in der deutschen Ausgabe schlicht und ergreifend fehlt. Vier Worte nur, die jedoch sinntragend sind und m. E. das ganze Buch in einem anderen Licht erscheinen lassen.
Unabhängig von meiner eigenen Meinung möchte ich keine „bereinigten“, „geglätteten“ oder „ideologisch veränderten“ Bücher, sondern die Texte so, wie sie vom ursprünglichen Autor geschrieben worden sind und in der Originalausgabe stehen.
Ich bin derzeit sehr verärgert über diese Art der „Übersetzung“. Es würde mich mal interessieren, ob Ihr auch schon solche Erfahrungen gemacht habt, wie Ihr zu solchen Veränderungen zwischen Original und deutscher Ausgabe steht.
Soweit ich weiß, sind hier ja auch einige Übersetzerinnen angemeldet. Da würde mich mal ein „Bericht aus der Praxis“ interessieren, wie so etwas zustande kommt. Verlangen die Verlage solche Änderungen, macht man das von sich aus? Und warum eigentlich fürchtet man sich davor, einen Text so zu in der Übersetzung zu veröffentlichen, wie ein AutorIn ihn verfaßt hat?
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Ich verlinke hier die amerikanische Ausgabe, auf die sich meine Angaben beziehen.
ASIN/ISBN: 0670857831 |