Heinrich Krauss - Die Engel. Überlieferung, Gestalt, Deutung

  • Heinrich Krauss berichtet in "Die Engel" über die Engelsrezeption im Wandel der Zeit. Er geht auf die Erwähnung von Engeln im Alten und Neuen Testament ein und lässt dabei den geschichtlichen Hintergrund nicht aus den Augen. Neben diesen Beobachtungen gibt er auch Auskunft über die Aufgaben und Funktionen dieser Himmelswesen, ihrer Rollen sowie ihren Einfluss auf die Glaubensgeschichte.
    Die Gliederung des Buchs folgt einer chronologischen Reihenfolge. So beginnt er mit der Zeit, in der Altes und Neues Testament entstehen, äußert sich im zweiten Teil zu Spätantike und Mittelalter und erläutert im 3. Teil, wie sich der Engelsglaube seit der Neuzeit entwickelt.


    Im Folgenden werde ich ein wenig dessen wiedergeben, das ich gelesen habe - mit Schwerpunkt auf die Zeit vor Jesu Geburt.


    Mir war z. B. nicht klar, dass die im Alten Testament erwähnten Engel im Text nicht so bezeichnet werden, sondern als abstrakte Himmelswesen auftreten. Sie sind der "Hofstaat Gottes", der aus "Heerscharen" (Begriff für Naturphänomen wie Elemente, Gestirne und Wolken) und "Gottessöhnen", den "bene elohim" (wahrscheinlich Relikte aus heidnischen Zeiten) besteht. Diese Himmelswesen sind Gottes Mittler und Botschafter in Situationen, in denen Menschen wichtige Entscheidungen treffen müssen.
    Bleibt ihre Rolle schon vage, so schweigt sich das Alte Testament erst recht über ihr Erscheinungsbild aus. Erst später werden die Beschreibungen der Engel detaillierter und ihr Aussehen definiert.


    Im 1. Jahrhundert beeinflusst die Lehre des Zarathustra auch die Israeliten, als Babylon von den Persern besetzt wird - wo sich viele Israeliten im Exil befinden. Er lehrt ebenfalls einen Monotheismus und glaubt an "Ahuramazda" (den weisen Herrn), der in seinem Reich von 6 Engeln umgeben ist. Zarathustra wird in den Himmel geführt und lernt dort vieles über das Weltgeschehen. Er erkennt, dass die Weltgeschichte aus einem immerwährenden Kampf zwischen dem Reich Ahuramazdas und der Welt der Finsternis besteht. Der Mensch hat einen freien Willen und kann zwischen Gut und Böse entscheiden. Letztendlich wird jedoch das Gute siegen und Ahuramazda den Frieden und das Glück auf Erden durch einen Erlöser schaffen.
    Diese Lehre hat auch Einfluss auf die Bibelschreibung:
    Engel erhalten eine neue Wertigkeit, neue Engel tauchen auf und erhalten Namen. So gibt es nun neben Cherubim und Seraphim auch Deuteengel, die prohetische Aussagen übermitteln, und Heilungsengel sowie 7 Engel, die Gebete an Gott weiterleiten.
    Neu sind auch apokalyptische Engel, die Ausdruck des jüdischen Widerstands gegen die Herrschaft Alexanders des Großen sind.
    In apokryphen Schriften werden zudem älteren biblischen Figuren Informationen über urzeitliche Anfänge und zukünftige Ereignisse in den Mund gelegt. Die zur gleichen Zeit sprießenden gnostischen Glaubensgruppen schmücken den in der Genesis erwähnten Fall der Engel aus. In den Schriften Henochs (des späteren Metatrons - Stimme Gottes) z. B. erlebt der Leser dessen Reise in das Himmelsreich mit. Henoch trifft vier Erzengel: Uriel, Raphael, Mchael und Gabriel.


    Was mir neu war, ist die Tatsache, dass "-el" für Gottheit steht und der Rest des Namens für die Aufgabe des Engels steht.


    Zurück zu Henoch: er sieht auch das Gefängnis der gefallenen Engel. Spekulationen über die Gründe des Sturzes gab es zur Genüge. Hier nur zwei:
    Eine besagt, dass einige Engel ihrer sexuellen Lust nachgaben und den Reizen der Menschenfrauen verfielen. Sie vereinigten sich und schufen aus dieser Vereinigung eine Generation aus Riesen, die zu Kannibalen wurden. Auch wenn Gott die gefallenen Engel im Folgenden gefangen nahm und die Riesen vernichtete, konnte er nicht verhindern, dass die Menschen durch die Engel Wissen erhalten hatten, das er nicht zurückholen konnte.
    Klingt für mich ein wenig nach der griechischen Sage von Prometheus.


    Krauss geht auf einen weiteren Mythos ein:
    den des Sturzes Satans und seines Gefolges im Zusammenhang mit der Anerkennung des Menschen. Als Satan sich vor Adam und Eva verbeugen sollte, weigerte er sich aus Stolz. Ein Drittel der Engel folgen seinem Beispiel. Gott verstößt sie aus dem Himmelsreich. Um sich zu rächen, verführte Satan Eva zum Biss in den Apfel.


    Satan kommt übrigens von "ha-satan", dem Ankläger, Widersacher. In der Zeit persischer Beeinflussung erhält Satan darüber hinaus die Rolle, die Menschen zu prüfen, zu verführen und Gott darüber Auskunft zu geben.


    In diesem Teil des Sachbuchs folgen zudem noch interessante Informationen über den Schutzengelglauben sowie die Vorstellung von Todesengeln. Außerdem spielen die Engel im neuen Testament häufig als Stilmittel eine Rolle, wenn es darum geht, besondere Stellen hervorzuheben und das Christentum zu verbreiten.


    Im 2.Teil erläutert Krauss die Engelslehre vor dem Hintergrund philosophischer Strömungen mit zahlreichen Beispielen. Er bezieht sich dabei auch auf die antiken Kirchenväter und ihre Schriften. Erwähnen möchte ich hier nur exemplarisch Dionysios Areopagita (Pseudo-Dionys), der mit seiner Schrift "Über die Himmlische Hierarchie" ein Werk schuf, auf das sich später viele bezogen. Er berichtete über Gesetze und Bedeutungen der Engel und baute eine Himmelshierarchie auf, die der Kirchenhierarchie auf Erden entsprach.
    In diesem Teil habe ich sehr viel Neues gelernt und möchte mich noch mehr damit auseinandersetzen.
    Der im 13. Jahrhundert erreichte Grundkonsenz ist auch heute noch in vielen Teilen bekannt: z. B. dass sich Engel und Menschen durch ihre Körperlichkeit unterscheiden, beide über einen freien Willen verfügen und dem Reich Gottes angehören. Das Verhältnis Engel - Mensch ist übrigens 99-1.


    Zum Abschluss noch der Hinweis, dass Magersucht kein Phänomen unserer Zeit ist, sondern schon im 13. Jahrhundert bekannt war. Viele Frauen aßen nur noch Hostien in dem Glauben "irdische Engel" zu werden. Könnte sich dahinter nicht aber auch Protest gegen Zwangsheirat und aufgezwungenem Klosterleben verborgen haben?


    Im 3. Teil geht es um Engel in der Kunst, den Engelsglauben in der Neuzeit und die heutige Rezeption.


    Mir hat der kurze Band gut gefallen, weil er mir viel Neues vermittelt hat, aufgrund der Kürze aber noch viel zu recherchieren bleibt. Für mich der geeignete Einstieg in die Materie - zumal er neutral gehalten ist und nicht durch persönliche Wertungen geprägt wird. Auch für Laien gut nachvollziehbar und sehr anschaulich und lebendig beschrieben.
    Ich glaube noch immer nicht an die Existenz von Engeln, kann aber besser verstehen, welche Faszination von den Engeln für viele Menschen ausgeht.
    Für mich war diese Lektüre eine positive Überraschung!

  • danke für die wunderbare und ausführliche Rezi!


    das kann ich aber so nicht unkommentiert stehen lassen:


    Zitat

    Original von marilu


    Mir war z. B. nicht klar, dass die im Alten Testament erwähnten Engel im Text nicht so bezeichnet werden, sondern als abstrakte Himmelswesen auftreten. Sie sind der "Hofstaat Gottes", der aus "Heerscharen" (Begriff für Naturphänomen wie Elemente, Gestirne und Wolken) und "Gottessöhnen", den "bene elohim" (wahrscheinlich Relikte aus heidnischen Zeiten) besteht.


    Ich weiss nicht, woher Du diese Weisheit hast, so ganz stimmen tut es jedenfalls nicht.
    Es gibt durchaus einen hebräischen Begriff für "Engel", der auch so im AT ausreichen häufig gebraucht wird (Belegstellen liefere ich auf nachfage gern). Es ist im Grunde der selbe, der sich bis heute gehalten hat und hängt stark mit dem Begriff des Boten zusammen. (Unser Wort Engel kommt vom griechischen Angelos = Bote. Es ist sehr wahrscheinlich, dass der Sinn Bote Gottes (=Engel) aus dem griechischen Alten Testament übernommen wurde und damit eine direkte Übersetzung jenes hebräischen Terminus ist.


    Daneben gibt es die erwähnten himmlischen Haarscheren ähhh Heerscharen (u.a. die Zebaoth), die bekanntlich auch im Neuen Testament nicht unbekannt sind (da muss man nur an die Weihnachtsgeschichte denken).
    Die Geschichte mit den Bene elohim ist nun wirklich quasi singulär und nicht im mindesten beispielhaft.

  • Danke für die schöne Rezi. :-) Aus der Reihe "Wissen" habe ich einige andere Titel. Als Einführung in ein Thema finde ich die (meistens) recht gut geeignet. Ich schätze, das hier sollte ich mir auch zulegen.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")