Andreas Altmann - 34 Tage, 33 Nächte: Von Paris nach Berlin zu Fuß und ohne Geld

  • Inhalt:


    Altmann sagt: "Ich muss an Männern und Frauen vorbei, nicht an Flora und Fauna. Mit Gesichtern Körpern und Stimmen kenne ich mich aus. Dazu weiß ich Assoziationen, für sie habe ich ein Koordinatensystem." Der Weg ist das Ziel und sein tatsächliches Reiseziel kein geographischer Ort. Altmann ist in erster Linie Geschichtensammler, ein Reporter der Menschen zum Reden bringt, der hinsieht und zuhören kann. Auf seiner über 1000 km langen Wanderung quer durch 5 Länder möchte er manches Mal vor Erschöpfung aufgeben. Seine wunden Füße schmerzen, "schreien", und der Magen knurrt vor Hunger. Gäbe es nicht immer wieder Menschen, die sich nicht abfällig abwenden, sondern ihn anlächeln, bewirten oder mit Geschichten nähren, wäre ihm die Reise unmöglich. Sein Tagebuch hält sie fest, die Episoden des Alltags, gibt Einblicke in das Leben anderer, erzählt von Ängsten und Träumen. Berichtet wird auch von den Freuden des Verzichts, von der Wanderlust, vom Wanderblues, von der anschwellenden Freude
    als sein Ziel immer näher rückt.
    Altmanns Text beschönigt nicht, ist unverblümt, das Beschriebene scharf beobachtet und pointiert zu Papier gebracht. Das Buch ist ein Tagebuch einer Reise, die nur mit Hilfe anderer gelingen konnte und zugleich eine fesselnde Bestandsaufnahme unserer Gesellschaft.


    Meine Meinung:


    Chapeau!!


    Ich ziehe den Hut vor soviel Mut, Lebensfreude, Wissensdurst und Neugier an den Menschen und der Welt in der sie leben. Am 11. Juni 2003 begann Andreas Altmann seine Reise von Paris nach Berlin, zu Fuß und ohne Geld. Das sind über 1000 km Straßen, Wege, Wiesen, Felder. Aber vor allem sind es die Menschen, die ihm begegnet sind und aus denen er deren Lebensgeschichten saugt wie ein trockener Schwamm das Wasser. Und so sind es auch über 1000 km Hilfe, Arroganz, Mitleid, Zuversicht, Hoffnung, Überheblichkeit, Nutzen, Voreingenommenheit und Sprachlosigkeit, die nicht nur Altmann, sondern auch den Leser in diesem Buch begleiten.


    Gegen diese Reise erscheint der Gang über den doch recht sicheren Jakobsweg fast wie eine Farce. Wie eine Fahrradtour auf Stützrädern und ein Bungeesprung am sicheren Gummiband. Altmann braucht diese Stützräder nicht, sondern er geht seinen Weg ohne doppelten Boden. Jungfräulich. Ungehemmt. Angstlos.


    Wir erleben einen Andreas Altmann, der an seine Grenzen stößt, aber nie aufgibt. Deren Füße ihn bitten, in ein Auto zu steigen um weiterzufahren, aber dessen Herz und Kopf ihm sagen, er soll seinen Weg gehen und zwar zu Fuß. Andreas Altmann mußte betteln und ab und zu auch lügen um zu überleben. Und er hat es geschafft. Wir lernen Menschen kennen, die ihm weder Geld noch Nahrung geben und andererseits lernen wir Menschen kennen, die selber wenig haben und ihm dennoch geben, was sie entbehren können. Und wir erfahren die Geschichten der Menschen, denen er auf seinem Weg begegnet. Andreas Altmann schafft es, diese aus ihnen herauszulocken und jedesmal war ich gespannt drauf, was die Person zu erzählen hat.


    Der Autor hat einen so grandiosen, fesselnden Schreibstil, dass es mir leicht gefallen ist, das Buch in zwei halben Nächten zu verschlingen. Ich habe mit ihm zusammen geschmunzelt, gelacht, geweint und mitgefiebert. Ich bin jeden einzelnen Schritt mit ihm gemeinsam gegangen. Konnte nachempfinden, wie er sich fühlt, auch wenn ich persönlich bisher nichts vergleichbares erlebt habe. Bekam er von einem Mitmenschen weder etwas Geld noch Lebensmittel, so hätte ich ihm am liebsten ein riesiges Care-Paket geschickt und jeden Menschen, der ihm etwas gab hätte ich am liebsten umarmt.


    Man hat nicht das Gefühl, man würde sein Buch lesen, sondern man hat immer mehr den Gedanken, mit ihm dieses Buch zu leben. Ich habe Zeit und Raum um mich vergessen, nur damit meine Augen den wunderschönen Schreibstil von ihm aufsaugen können. Ich übertreibe nicht! Ich bin einfach nur euphorisch, weil ich so angetan von dieser Reise, von diesem Menschen Altmann und von seinen Erlebnissen bin. Kann man sich in ein Buch verlieben? Wenn ja, dann gestehe ich, dass der Autor es mit seiner Hingabe und seiner Begeisterung geschafft hat. Zumindest hat es in meinem Körper eine Menge Endorphine ausgeschüttet.


    Ich werde sicher noch ganz lange an diese 34 Tage und 33 Nächte denken. Vielleicht werde ich sogar mit offeneren Augen durch die Welt gehen und bei obdachlosen Menschen mal genauer hinschauen. Welche Geschichten stecken hinter diesen Schicksalen?


    Sehr klasse fand ich auch die Fotos in der Mitte des Buches. So konnte man seine eigenen Phantasiebilder direkt mit den realen übereinanderlegen. Ich habe sie mir mehrfach während des Lesens angeschaut und mich auf eine bestimmte Art und Weise mit ihnen verbunden gefühlt.


    Summasummarum: Ein tolles Buch, welches mich schier überwältigt hat! "Getrieben" von dem Autor fand ich ja auch schon klasse, aber dieses hier übertrifft meine Erwartungen vollkommen!

  • 34 Tage - 33 Nächte: Von Paris nach Berlin zu Fuß und ohne Geld - Andreas Altmann


    ISBN: 3492402666


    Verlag: Frederking & Thaler


    Erscheinungsjahr: 2.Auflage 2007


    Seitenzahl: 256



    Über den Autor:
    Andreas Altmann, geboren 1949, wuchs in Altötting auf und studierte nach dem Abitur am Mozarteum in Salzburg. Er arbeitete u.a. als Schauspieler, Dressman, Taxifahrer. In den 1980-er Jahren begann er mit dem Schreiben und ist als Journalist für Zeitungen und Zeitschriften tätig, so auch für GEO.
    Später folgten Bücher über seine ungewöhnliche Reisen, z.B. "Weit weg vom Rest der Welt. In 90 Tagen von Tanger nach Johannesburg", "Im Land der Freien - Mit dem Greyhound durch Amerika", "Einmal rundherum - Geschichten einer Weltreise" u.a.
    Für seine Bücher erhielt Andreas Altmann mehrere Preise, darunter den Gottfried-Seume-Literaturpreis für dieses Buch (2005), den Egon-Erwin-Kisch-Preis (1991), den Globetrotter-Reisebuchpreis (2008) u.a.
    Andreas Altmann ist unverheiratet und lebt in Paris.



    Über den Inhalt:
    Als Andreas Altmann in einem Pariser Café sitzend in einer Zeitschrift eine Werbung sieht, die einen Mann sehnsuchtsvoll auf einen funkelnagelneuen Sechszylinder blicken lässt, weiß er, dass ihn solche Träume nicht plagen. Altmann möchte Konsum und Stumpfsinn entkommen und plant eine Reise von Paris nach Berlin zu Fuß und ohne Geld. Entgegen dem Rat seiner Freunde werden die Pläne konkreter und es findet sich ein Verlag, der dieses Vorhaben gutheißt.
    Am 11.Juni 2003 startet der Journalist und Weltenbummler mit 2,77 Euro, ein paar Salamischeiben, Karte und Kompass im Gepäck, immer mit der Hoffnung auf eine Geschichte und einen Pump.



    Meine Meinung:
    Als Andreas Altmann seinen Fußmarsch von Paris nach Berlin beendet hat, liegen 1863918 Schritte hinter ihm, haben ihn 17 Blasen geschmerzt und ihm 217 Pumps zu Essen und Trinken und einer lebensnotwendigen Dosis Koffein verholfen; 3647 Gramm hat der Abenteurer an Körpergewicht verloren und ist um unzählige Geschichten bereichert.


    Altmanns tagebuchartige Aufzeichnungen über seine gewagte Tour durch vier Länder und über 1000 Kilometer erzählen nicht nur vom ständigen Betteln und der Suche nach einer Übernachtungsmöglichkeit, sondern auch von der Möglichkeit freien Reisens, die oftmals mit einer großen Einsamkeit einhergeht.
    Fällt dem Autor das anfängliche Bitten um etwas zu Essen und oder Geld noch schwer, tritt im Laufe der Reise bald eine Routine ein. Mal fordernd, mal charmant versucht Altmann seinem Gegenüber etwas zu entlocken. Zuweilen springt dabei eine Geschichte heraus, wie am ersten Tag als er Barbara in einer Kirche trifft, die von Paris aufs Land gezogen ist und glaubt, verrückt zu sein. Noch am ersten Tag hat Altmann die Kraft dieser Frau mitfühlend ihr die Hand zu drücken. Dann gibt es wieder Momente, die Altmanns Rebellentum herausfordern, wenn ihm ein Glas Wasser verwehrt, seine Moral am Boden liegt und ihn der Hunger plagt. Diese Augenblicke sind es, in denen er in seiner Vergangenheit wühlt, von prägenden Begegnungen erzählt und er sich an Bücher und Schriftsteller erinnert, die ihn seine schmerzenden Füße vergessen lassen. Er erinnert sich schwärmerisch an die längst verstorbene Brigitte Reimann, die er nur allzu gern kennengelernt hätte und erwähnt den großen Reiseschriftsteller Johann Gottfried Seume. Dass Andreas Altmann im Jahre 2005 die Ehre zuteil wird, den gleichnamigen Literaturpreis für "34 Tage, 33 Nächte" zu erhalten, kann der Autor zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnen.


    Die Tage beginnen für den über fünfzigjährigen Weltenbummler auf seiner Tour fast immer gleich. Geplagt seit von seniler Bettfluch seit seiner Jugend startet er zwischen fünf und sechs Uhr morgens in seinen Wandertag.
    In Abhängigkeit von seiner Übernachtungsmöglichkeit, wenn kein Obdachlosenheim zur Verfügung steht, schläft Altmann im Wald,in Scheunen oder Parks, freut Altmann sich diebisch wie ein Kind, wenn ihn nach einer Nacht in einer karitativen Einrichtung ein "üppiges" Frühstück erwartet. Die ein oder andere Nacht verbringt der rastlose Journalist in einer privaten, gar exclusiveren Unterkunft, die er durchaus zu schätzen weiß. Gestaltet sich der Tagesbeginn noch rituell, erwarten den Abenteurer Begegnungen der positiven und negativen Art, so z.B. wenn er dicht am Straßenrand wandernd nicht nur einmal von LKWs und PKWs beinahe von der Straße gefegt wird.
    Besonders auf die hiesigen Verhältnisse ein, als in im Osten Deutschlands angelangt. Im dreizehnten Jahr nach der Wiedervereinigung scheint die Uhr in dörflicher Idylle noch stehen geblieben zu sein und es erwartet Altmann eine ganz besondere Gastfreundschaft. Auch wenn Altmann einige Geisteshaltungen und die Heimatverbundenheit der Menschen, die im Gefängnis eines Unrechtsstaates gelebt haben, nicht nachvollziehen kann, so sind seine Aufzeichnungen doch versöhnlich und tolerant gegenüber denjenigen, die seinen exzessiven Freiheitsdrang nicht teilen.


    Andreas Altmann hat mit "34 Tage, 33 Nächte" ein wirklich ungewöhnliches Projekt realisiert; er erzählt von seinen Träumen und was ihn antreibt, vertraut auf die Großzügigkeit und das Mitgefühl, das er zu erfahren hofft und wird am Ende seiner strapaziösen Reise reichlich belohnt. Mehr als Soziologen und Politologen es vermögen, berichtet dieses Buch von Menschen im geeinten Europa und den noch immer vorhandenen Unterschieden im Deutschland nach der Wiedervereinigung und zeigt letztlich doch, dass das Geben und Nehmen keine Frage der Nationalität ist.
    Es bleibt diesem aufregenden, höchst emotionalen und immer noch aktuellem Buch zu wünschen, das sein Erfolg noch lange anhalten wird.