Das Buch (Amazon):
Mary Swann, eine Bäuerin, hinterläßt eine Tüte voller großartiger Gedichte. Wie kam diese einfache Frau dazu, so vollendete Lyrik zu verfassen? Ein Gremium "kompetenter" Fachleute zerredet das Thema so lange, bis auch noch die letzten Spuren der geheimnisvollen Lyrikerin veschwinden... Ein Roman, der vor bissigen Seitenhieben auf den Literaturbetrieb nicht haltmacht.
Die Autorin (Amazon)
Carol Shields, geboren 1937 in Chicago, Illinois, übersiedelte 1957 nach Kanada. Sie veröffentlichte zahlreiche Kurzgeschichten und Romane, die mit verschiedenen literarischen Preisen ausgezeichnet wurden.
Meine Meinung:
Die Kurzbeschreibung bei Amazon finde ich recht lieblos. Lest stattdessen lieber die Kundenrezi "Nette Satire auf den Literaturbetrieb", sie gibt meinen Eindruck trotz einiger inhaltlicher Unschärfen weit besser wieder.
Die Erzählweise von Carol Shields (ich habe wie üblich auf Englisch gelesen) hat mich sehr angesprochen. Ich hatte vorher ein Fast-Food-Buch gelesen und war sehr erfreut über die elaborierte (aber trotzdem nicht schwer zu lesende) Sprache, die sich Zeit nimmt und sich an die jeweilige Erzählperspektive anpasst. Die einzelnen Kapitel sind nämlich aus der Sicht unterschiedlicher Personen erzählt, die ein Interesse an Mary Swanns Leben und Werk haben. Die Dichterin selbst ist zu Beginn des Buchs längst tot, und wir lernen sie nur durch die Begegnungen mit den beschriebenen Personen und über ihre Gedichte kennen. Dabei wird zwar nach und nach immer mehr über Mary Swann bekannt, gleichzeitig bröckelt sie aber immer ein Stück mehr. Außerdem erfahren wir viel über die Lebensgeschichten und -lagen der Personen, aus deren Sicht geschrieben wird. Dadurch wirkt das Buch manchmal wie ein Episodenroman aus beinahe unabhängigen Versatzstücken, aber letztlich fügt sich doch alles zusammen, als sich die Personen nämlich bei einem Symposium über die Dichterin treffen. Dieser letzte Teil ist als Drehbuch für einen Film wiedergegeben - wieder ein ganz neues Stilmittel, trotz des Drehbuchcharakters gut lesbar und mit kleinen Einschränkungen als "Film" auch gut gelungen.
Die unterschiedlichen Kapitel"farben" fand ich sehr gut; es gab lediglich ein Kapitel, das ich weniger gern gelesen habe - vielleicht, weil ich mich mit der beschriebenen Person so gar nicht anfreunden konnte.
Um sagen zu können, ob ich die Auflösung stimmig finde, müsste ich das Buch noch einmal lesen. Ich war ein bisschen überrascht, aber mir mag unterwegs der eine oder andere Hinweis durch die Lappen gegangen sein.
Eine Satire auf den Literaturbetrieb, sagen die Kritiken, aber für mich war es auch eine Beschreibung äußerst menschlicher Beziehungen, Beweggründe, Ausflüchte, Nöte, bei der man immer wieder auch schmunzelt, sei es über die Figuren, sei es mit ihnen.
Ich war nicht himmelhochjauchzend begeistert, aber Idee und Ausführung haben mich durchaus überzeugt. Ich werde mich nach weiteren Büchern der Autorin umschauen; ich meine, dass z.B. Beatrix schon mehr von ihr gelesen hat.