Was darf Literatur?

  • Zitat

    Original von Potti
    Danke, Seestern. Ich hätte das Buch wahrscheinlich eh nicht gelesen, aber jetzt erst recht nicht. Wie kann man dieses schöne Medium nur so verschandeln, indem man es dazu benutzt (ich will fast sagen "ausnutzt"), um zu schildern, wie zwei Mädchen gebrauchte Tampons austauschen oder Erbrochenes trinken?! :pille Das ist doch nicht mehr lustig.


    Diesen Beitrag möchte ich einen für mich sehr interessanten und diskutablen Meinungsansatz voranstellen. Der User bzw. die Userin stört sich an einem literarischen Werk wie "Feuchtgebiete" und unterstellt der Autorin das Medium Buch bzw. Literatur "auszunutzen", um 'Schweinekram' publizieren zu können. Sie "verschandele" die Literatur oder auch deren Ruf als Medium. Wie man es auch interpretiert, für mich stellt sich hier eine interessante Frage: Was darf Literatur und was darf sie nicht? Gibt es Grenzen beim Schreiben eines Stücks Literatur? Gibt es so genannte Parameter, die man in Betracht ziehen muss oder aber ist die Literatur frei, in der Art des Stils wie bei der Auswahl der Themen?


    Was sagt ihr dazu?

    Nicht nur der Mensch sollte manches Buch,
    auch Bücher sollten manchen Menschen öffnen.
    (Martin Gerhard Reisenberg, *1949)

  • Die eigene Freiheit endet bei der Freiheit des anderen. Das gilt auch für Autoren.


    Ich erinnere mich an ein Buch (Esra?), welches gerichtlich verboten wurde, weil sich darin jemand wieder erkannt hat. Das finde ich überzogen, ohne das Gerichtsverfahren hätte von der Vorlage niemand etwas mitbekommen. Man stelle sich vor, gegen Thomas Mann wäre wegen der Buddenbrocks verklagt worden, weil sich die Familie darin wiedererkannte :gruebel.
    Ansonsten gelten für mich, das - abgesehen von obiger Maxime - das Strafgesetzbuch das Limit ist, Stichwort Holocoust-Leugung ect..
    So einen Dreck wie *Feuchtgebiete* strafe ich mit Nichtbeachtung und fertig.

  • Desdemona


    das ist eine spannende Frage, zu der im Lauf der Zeit auch schon Hektoliter von Tinte geflossen sind, was sie keineswegs weniger spannend macht.


    Die Frage aber, die sich folgerichtig aus dem Zusammenhang, den Du mit dem Zitat herstellst, aufdrängt, ist doch die: was dürfen LeserInnen? Ist das persönliche moralische Empfinden ein Kriterium, ein Buch zu beurteilen?
    Muß sich Kunst vor den BetrachterInnen rechtfertigen?
    ;-)
    Wobei das Zitat, das Du auswählst, cum grano zu lesen ist, weil der, der diesen Satz geschrieben hat, zu den sehr, sehr jungen Usern hier gehört und von daher noch wenig Erfahrung mit Literatur hat.


    Zudem wäre zu klären, warum Du Roches Buch als 'literarisch' bezeichnest.
    Ich habe Zweifel, ob ausgerechnet dieses Buch eine geeignete Grundlage für die Diskussion von Grenzen bzw. Uneingeschränktheit von Literatur ist.



    :wave


    magali

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Was darf Literatur eigentlich nicht? Ich meine, gibt es heutzutage überhaupt noch irgendwelche Tabus, die noch nicht gebrochen sind, und was ist wirklich verboten?

    Es ist an der Zeit, schreiend im Kreis zu rennen.


    :lesend The Know-It-All - A. J. Jacobs
    Before They Are Hanged - Joe Abercrombie
    Finishing the Picture - Arthur Miller

  • Literatur sollte viel dürfen.
    Wenn ein Roman beim Leser überhaupt noch etwas bewirken kann, etwas aufbrechen und etwas erzählen kann, was viele nicht wissen wollen, dann sind die Grenzen hoffentlich hoch anzusetzen.


    Und was Schocking Szenen angeht, hat das Fernsehen sicher weit die Nase vorn.

  • Ich würde sagen, Literatur sollte alles dürfen, insoweit es niemandem schadet. Ist zwar sehr allgemein gehalten, aber um jetzt alle möglichen Beispiele anzuführen ists dann doch zu viel ;)

  • Zitat

    Original von Desdemona


    Diesen Beitrag möchte ich einen für mich sehr interessanten und diskutablen Meinungsansatz voranstellen. Der User bzw. die Userin stört sich an einem literarischen Werk wie "Feuchtgebiete" und unterstellt der Autorin das Medium Buch bzw. Literatur "auszunutzen", um 'Schweinekram' publizieren zu können.
    Sie "verschandele" die Literatur oder auch deren Ruf als Medium.


    Das hat man so manchem Autor seiner Zeit vorgeworfen, die heute zu den Klassikern zählen. Damit sei nicht gesagt, daß ich diese Autorin auf so eine Stufe stelle.
    Nur möchte ich sagen, daß man mit solchen Vorwürfen doch sehr, sehr vorsichtig sein sollte.
    Eine andere Zeit mit anderen Bewertungsmaßstäben bringt eine andere Interpretation mit sich.
    Und man kann froh sein, daß Rufe nach Zensur in früheren Zeiten ungehört verhallt sind oder Autoren einfach weiter geschrieben haben.


    Zitat

    Original von Desdemona
    Wie man es auch interpretiert, für mich stellt sich hier eine interessante Frage: Was darf Literatur und was darf sie nicht? Gibt es Grenzen beim Schreiben eines Stücks Literatur? Gibt es so genannte Parameter, die man in Betracht ziehen muss oder aber ist die Literatur frei, in der Art des Stils wie bei der Auswahl der Themen?
    Was sagt ihr dazu?


    Zum Glück ist die Literatur frei - in der Wahl der Themen und in den Stilmitteln.
    Und Lesern steht es frei, ein Buch nicht zu lesen.


    Solange keine offensichtliche Verletzung von Persönlichkeitsrechten dritter oder Diffamierung oder Volksverhetzungen vorliegen, gibt es keine Grenzen für mich.


    Als Buchhändler freue ich mich über so ein kontroverses Buch mit seiner Auflagenstärke. Auch wenn es mir nicht gefallen sollte - solche Büchern liefern eine gute Grundlage für das Einkommen. :lache

    :lesend
    If you can read, you can empathize, luxuriate, take a chance, have a laugh, hit the road, witness history, become enlightened, turn the page, and do it all again
    Oprah Winfrey

  • Zitat

    Original von LilStar
    Ich würde sagen, Literatur sollte alles dürfen, insoweit es niemandem schadet. Ist zwar sehr allgemein gehalten, aber um jetzt alle möglichen Beispiele anzuführen ists dann doch zu viel ;)


    Denke ich auch, jedenfalls wenn es nicht gegen die Grundgesetze menschlichen Zusammenlebens verstößt. Soll heißen, Bücher, die zum Völkermord oder ähnlichem aufrufen, sollten verboten werden.

  • Also es ist ja Kunst und Kunst ist nicht einfach, genauso wie die Verschiedenheit von Menschen, ihren Eigenschaften und Sichtweisen nicht einfach ist.


    Ich bin auch der Meinung, solange es nicht "schadet", obwohl - vielleicht ist das auch sehr relativ..., sollte man jedem das seine lassen.

  • Zitat

    Original von Desdemona
    Gibt es Grenzen beim Schreiben eines Stücks Literatur?


    Grenzen beim Schreiben gibt es für mich wenige. Grenzen beim Lesen allerdings einige. :-]
    Wobei ich nicht alles als Literatur bezeichnen würde. Das Buch von Frau Roche zählt für mich nicht dazu.

    Liebe Grüße,
    Ninnie



    Es ist ein großer Vorteil im Leben, die Fehler, aus denen man lernen kann, möglichst früh zu begehen.
    Sir Winston Churchill 1874-1965

  • So wie Satire auch, so darf auch Literatur FAST alles. Gerade hier manifestiert sich doch auch die Freiheit des Denkens. Und wenn jemand "Feuchtgebiete" nicht mag, dann muss man es halt nicht lesen. Aber auch ein solches Buch hat seine Daseinsberechtigung in der Literatur, egal ob man ein Buch jetzt mag oder nicht.


    Aber die Freiheit der Literatur sollte möglichst nicht eingeschränkt werden. Der persönliche Geschmack, das persönliche Empfinden sollte da ganz einfach ein wenig zurückstehen.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Zitat

    Original von Voltaire
    So wie Satire auch, so darf auch Literatur FAST alles. Gerade hier manifestiert sich doch auch die Freiheit des Denkens. Und wenn jemand "Feuchtgebiete" nicht mag, dann muss man es halt nicht lesen. Aber auch ein solches Buch hat seine Daseinsberechtigung in der Literatur, egal ob man ein Buch jetzt mag oder nicht.


    Aber die Freiheit der Literatur sollte möglichst nicht eingeschränkt werden. Der persönliche Geschmack, das persönliche Empfinden sollte da ganz einfach ein wenig zurückstehen.



    Meine Rede^^

  • Zitat

    Original von Selket
    Soll heißen, Bücher, die zum Völkermord oder ähnlichem aufrufen, sollten verboten werden.


    Ja, würde ich eigentlich genauso sehen, wobei ich meine, dass es dann immer noch am Leser ist das verantwortungsvoll zu beurteilen und entsprechend zu handeln.

  • Zitat

    Original von LilStar


    Ja, würde ich eigentlich genauso sehen, wobei ich meine, dass es dann immer noch am Leser ist das verantwortungsvoll zu beurteilen und entsprechend zu handeln.



    Naja, manche Leute können das vielleicht nicht, alles kommt mal vor, aber dann haben sicher keine Bücher oder so Schuld daran...

  • Man sollte nie vergessen, dass die tödlichste Waffe das geschrieben Wort ist und natürlich in langfristiger Entwicklug auch solche Bücher Veränderungen- nicht immer zum Positiven- bewirken. Nichtsdestotrotz die Freiheit der Literatur, die Freiheit des Lesers/der Leserin sind dabei immer das höchste Gut.

  • Literatur sollte fast alles aussprechen dürfen.
    Schliesslich sind Bücher eine Art Sprachrohr des Volkes. Sie können kritisieren, anfechten, anregen und breite Massen auf Themen aufmerksam machen. Und das ist -meiner Meinung nach- ein wichtiger Aspekt für eine möglichst freie Gesellschaft.


    Wenn in Büchern Themen behandelt werden, die einem nicht zusagen, dann zwingt niemand einen diese zu lesen.
    Bücher können nicht ausschliesslich seichte, jeden zufrieden stellende Themen behandeln. Das ist ja nichteinmal möglich, weil jedem schliesslich etwas anderes gefällt.

  • Ich finde auch, dass Literatur - im Rahmen von, ich nenne es pauschal mal nicht-menschenfeindlichen Regeln - sehr viel Freiheiten sollte haben dürfen. Allerdings merke ich, dass selbst diese Regeln von jedem unterschiedlich gedeutet werden können. Einige werden ganz klar sagen das hat was mit Moral und Geschichte (Holocaust, etc.) zu tun, andere werden vllt. schon manche Fan Fictions als unzumutbar ansehen.


    Mir stellt sich dabei dir Frage was Literatur denn überhaupt sollte bzw. muss (insbesondere @ Potti)? Ich meine, auch mir hat es leicht den Magen umgedreht als ich gelesen hab was in "Feuchtgebiete" so alles beschrieben wird, aber im Prinzip entspringen diese Sachen auch "nur" der Fantasie der Autorin. Was muss also Literatur tun, damit sie von der Allgemeinheit anerkannt wird!? Wo ist DER gemeinsame Nenner? Ich schätze das kommt der Suche nach der Nadel im Heuhafen gleich... ;-)

    :lesend Ich lese gerade: "Carry On" von Rainbow Rowell und "Mansfield Park" von Jane Austen | SuB: 50

  • Ich frage mich, was einen Leser dazu bringt, "solchen Dreck" zu lesen, wenn es denn "Dreck" ist? Dem Medienhype folgend schlurfen hunderttausende Lemminge in die Buchhandlungen und statten sich mit diesem "Dreck" aus, um anschließend bestenfalls heiße Luft darüber zu verbreiten. Das Problem ist nicht der "Dreck", sondern der fremdgesteuerte Buchkäufer, dem empfohlen sei, vor dem Literaturerwerb durchaus mal das eigene Hirn einzuschalten. Anders gesagt: Wie blöd muss man eigentlich sein, um sich ein Buch reinzuziehen, das man eigentlich überhaupt nicht lesen will?


    Autoren dürfen alles. Es ist eine Aufgabe der Literatur, den Gedanken zuende zu denken, den andere nicht einmal aussprechen würden. Literatur lotet Grenzen aus, reißt Abgründe auf, zeigt (fiktive) Menschen in (fiktiven) Situationen, die hoffentlich oder vielleicht niemals stattfinden. Literatur experimentiert mit der Realität. Meistens macht sie das auf sehr beschauliche und wenig verstörende Weise, manchmal aber eben auch nicht. Wer etwas liest, lässt sich auf ein Risiko ein. Es ist nicht die Aufgabe von Autoren, vor diesem Risiko zu schützen. Wer damit nicht zurechtkommt, sollte seine Lektüre auf Arztromane und Walt Disneys lustige Taschenbücher beschränken.