Ich wollte mein Leben zurück - Bärbel Schäfer, Monika Schuck

  • :wave Entschuldigung, wenn diese Rezi etwas zu lang geworden ist, aber bei diesem wichtigen Buch wusste ich nicht, was ich streichen sollte...


    Ich wollte mein Leben zurück
    Bärbel Schäfer, Monika Schuck
    Rütten&Loening
    256 Seiten, 9,95 als TB


    Bärbel Schäfer, geboren 1963, studierte Theater-, Film- und Fernsehwissenschaft sowie Germanistik und Kunstgeschichte. Ab 1990 Moderatorentätigkeit für WDR, RTL und ARD. Veröffentlichungen: „Wer, wenn nicht er?“ (Roman, zusammen mit Susanne Luerweg 2005)


    Monika Schuck, geboren 1958 in Köln, studierte Theater-, Film- und Fernsehwissenschaft sowie Germanistik in Köln. Siet 1984 freie Mitarbeiterin beim WDR, ARD und arte als Autorin/Fernsehjournalistin, zahlreiche Magazinbeiträge und Features. Lebt in Köln und Tenaglie/Montecchio (Italien)



    Klappentext
    Die Diagnose Krebs ist für die Betroffenen und ihr Umfeld zunächst ein Schock, der das Leben aus dem Gleichgewicht bringt. In diesem Buch berichten Prominente und Nichtprominente, wie sie sich dieser Situation gestellt, wie Familie, Freunde und Kollegen reagiert haben. Bärbel Schäfer und Monika Schuck schildern ergreifende Schicksale von Menschen, die – oft mit Zuversicht – durch diese Prüfung gegangen sind und die Krankheit mitunter sogar als Chance empfunden haben. Mit Rudi Carrell, Robert Gernhardt, Jörg Berger, Michael Lesch, Heiko Herrlich, Ina Deter und vielen anderen, sowie einer Liste der wichtigsten Diagnose und Therapiezentren.


    Geleitwort
    Ein Geleitwort der Präsidentin der Deutschen Krebshilfe Dagmar Schipanski bereitet auf das Thema vor und ein wichtiger Ratschlag von ihr ist bezeichnend für all die Lebensgeschichten im Buch: “Nehmen Sie Ihr Schicksal selbst in die Hand! Kämpfen Sie, und nehmen Sie jede Hilfe an! Fragen Sie nach und informieren Sie sich.“ Wie wichtig dieser Rat von ihr ist, wird im Verlauf des Buches sehr deutlich.


    Vorwort
    Nun folgen Worte von Bärbel Schäfer und Monika Schuck, in denen sie ihre Gründe für die Beschäftigung mit dem Thema Krebs aufzeigen. In ihrem persönlichen und beruflichen Umfeld gibt es Menschen, die diese Krankheit haben. Sie wollten mehr wissen, über die emotionale Achterbahnfahrt, die nach der Diagnose kommt, mehr wissen, wie man die Chemotherapien, die Operationen und Bestrahlungen übersteht. Mit diesem Buch soll der Volkskrankheit Krebs ein Gesicht gegeben werden und es soll deutlich machen, dass es ein Leben nach der Krankheit gibt, und dass es sich lohnt zu kämpfen.


    Inhalt: Achtunddreißig Menschen berichten auf jeweils ca. 3 – 4 Seiten von dem, was ihnen widerfahren ist. Es ist schwer, bei solch einem Buch, eine Inhaltsangabe zu verfassen, da es bei diesem Thema ja nicht um irgendeine in sich geschlossene Handlung, irgendeine Geschichte geht, sondern jeder dieser Menschen von sich schreibt, etwas sehr Persönliches und Intimes preisgibt. Mir kam es beim Lesen so vor, als hätte allen eine Art Fragebogen vorgelegen, so dass sich aus den einzelnen Berichten häufig dieselbe Chronologie ergibt, doch natürlich kann ich mich auch irren, denn im Grunde ist ja ein gewisser zeitlicher Ablauf normal – Am Anfang einer jeden Geschichte ist ein Foto des Betroffenen zu sehen. Nur einige wenige haben sich nicht getraut, ihr Gesicht zu zeigen - Jeder erzählt, wie die Erkrankung begann, welche Symptome vorhanden waren, wann, bzw wie die Diagnose gestellt wurde und wie sie sich dabei fühlten. Es folgen die Wege durch die Therapien, kurze Worte über das Verhalten von Freunden, Familie und beruflichem Umfeld, ob und wie man sich durch die Krankheit verändert hat und als Abschluss häufig ein kleines Fazit. Manchmal folgt dann noch ein kleiner Nachsatz, dass der oder die Betreffende gestorben ist, oder dass die Erkrankung in der Zwischenzeit wieder ausgebrochen ist. Die Berichte werden so stehen gelassen – es gibt keinen Kommentar dazu, was ich als sehr angenehm empfunden habe. Jeder geht auf seine eigene Weise mit dem Thema um. Die einen wollen die Krankheit am liebsten verschweigen, andere wieder haben das Bedürfnis, darüber zu reden, ihre Mitmenschen darauf aufmerksam zu machen. (Erschrocken hat mich schon hier die Schilderung einiger Führungspersönlichkeiten, die ihre Erkrankung geheim halten wollten, um ihrem beruflichen Umfeld keinen Angriffspunkt durch ihre „Schwäche“ zu bieten.)
    - Manche fragen sich, warum es ausgerechnet sie getroffen hat, und andere wiederum nehmen es als Chance, bewusster zu Leben. Interessant war für mich auch, wie viele Menschen sich erst unter der Krankheit hinterfragt haben, ihr bisheriges Leben auf den Prüfstand gestellt haben und dass es ihnen auf einmal so plötzlich gelang, alles bewusster zu genießen und zu sehen.


    Meine Rezension: Vielleicht fragt sich er eine oder andere, ob es nicht auch Voyeurismus ist, wenn man sich für solch persönliche, ja intimen Berichte von anderen Menschen interessiert, doch so empfinde ich das nicht. Ich habe mir das Buch nicht gekauft, um beim Lesen eine Gänsehaut zu bekommen, sondern, um mehr über die Menschen, mehr über diese Krankheit zu erfahren. Sicher, durch meinen Beruf kenne ich viele medizinische Details, doch das sind oft nur Zahlen, Statistiken oder chemische und andere Parameter. Der menschliche Faktor wird in der Medizin leider sehr oft außen vor gelassen – und genau das war eine der häufigsten Aussagen in diesem Buch. Viele Betroffene berichten, wie sie ihre Diagnose bekamen, und häufig bewiesen die meisten Ärzte nicht gerade großes Fingerspitzengefühl. Da wurden Diagnosen per sms durchgegeben, oder einfach auf die Mailbox gesprochen, die das ganze bisherige Leben eines Menschen verändern sollten. Patienten wurden zum Teil vertröstet und erst Monate später zur Kontrolluntersuchung bestellt, so dass der Krebs noch unbemerkt weiter wachsen konnte. Viele berichten über die unpersönliche Atmosphäre in den Kliniken, überforderte Krankenschwestern und Ärzte, über unfreundliches Personal generell. Gerade in einer Zeit, in der sie mit sich und ihrem Körper haderten, in der sie unsicher waren und jedes freundliche Wort gut tat, fanden sie bei denen, die ihnen helfen sollten gesund zu werden, wenig menschliche Zuwendung und Wärme. Dazu kommt immer noch die von unseren Politikern so gern geleugnete Zweiklassengesellschaft unseres Gesundheitssystems. Wer prominent ist, der wird häufig als Privatpatient wesentlich besser versorgt, als ein Null-Acht-Fünfzehn- Kassenpatient. Dass das so ist, kann man auch aus diesen Berichten gut herauslesen. So schreibt z.B. Nino de Angelo, dass er zu seinen Therapien „durch die Hintertür“ hereingelassen wurde und gleich an die Reihe kam, während andere Patienten mit einer ähnlichen Erkrankung bis zu vier Stunden warten mussten.


    Ich arbeite selbst in einer großen Uniklinik und habe mich nachdem ich das Buch gelesen habe, mit einigen angehenden Ärzten unterhalten. Niemand bringt ihnen die menschliche Seite ihres Berufes bei – niemand sagt ihnen, wie sie einem Patienten z.B. die Diagnose Krebs am besten beibringen, und so bleibt es für sie eine unangenehme Situation, in der sie häufig genauso unsicher sind, wie der Patient selber und froh sind, wenn sie das hinter sich gebracht haben. Diejenigen, die sensibel sind, die im Laufe der Jahre unter harten Klinikbedingungen noch nicht abgestumpft sind und sich ein Stückchen Empathie bewahrt haben, denen gelingt es noch, sich in ihren Patienten hineinzufühlen, sich für ihn Zeit zu nehmen und ihn schonend auf das vorzubereiten, was vor ihm liegt.


    Der zitierte Ratschlag der Präsidentin der Deutschen Krebshilfe im Geleitwort des Buchanfangs scheint mir, nach der Lektüre dieses Buches besonders wichtig. Man muss selbst kämpfen, selbst entscheiden, was man will und was man nicht will. Man muss um sein Leben kämpfen! Niemand kann einem dabei wirklich helfen und schon gar nicht unser oft unmenschliches Gesundheitssystem.



    Noch etwas habe ich aus den Schilderungen der Meisten herausgehört – Sie wollen kein Mitleid. Sie wollen ihr Leben leben, mit Freunden und Familie, wollen nicht wie Aussätzige behandelt werden, wie Schwerkranke, denen man mit traurigem Blick über den Arm streicht, den Eindruck erweckend, sie seien bereits tot. Vielleicht hilft diese Einsicht auch den Leuten, die bisher unsicher waren, wie sie mit einem an Krebs Erkrankten umgehen sollten. Der Wunsch war bei allen gleich: Für sie da sein, wenn sie jemanden brauchen, ihnen zuhören, wenn sie reden wollen und ihnen Verständnis entgegenbringen statt Mitleid.


    Um zum Ende zu kommen – Ich kann dieses Buch jedem empfehlen. Es ist ein Buch von dem ich mir wünsche, dass es möglichst viele Menschen lesen, das eventuell auch ein Umdenken in einigen Köpfen stattfinden lässt, und das möglicherweise auch einige Ärzte erreicht und ihnen den Spiegel ihres Verhaltens vor das Gesicht hält.


    Edit: Immer entdecke ich noch einen Tippfehler...

  • Sehr gelungene Rezi. :anbet Normalerweise mache ich um die Ratgeberecke immer einen großen Bogen. Umso mehr war ich erstaunt, was für ein Buch sich hier verbirgt. Kommt auf die Liste.


    Diese fehlende Sensibilität habe ich zwar nicht im Zusammenhang mit Krebs kennengelernt, wohl aber bei einer eher seltenen Krankheit. Da wurden in einer Uniklinik ganz schnell mal ein Haufen angehender Ärzte um mich versammelt, nur um einen Blick auf das faszinierende Krankheitsbild zu werfen, es wurde über Aufnahmen für Fachbücher gesprochen und ich war auf einmal kein Mensch mehr, sondern nur noch der lateinische Fachausdruck für meine Krankheit. Der Chefarzt hat völlig ausgeblendet, dass keine 30 cm vor ihm ein Mensch sitzt. Hab ich ihm bis heute nicht verziehen.


    Eigentlich ist es schon fast unvorstellbar, dass Ärzte in ihrer Ausbildung nicht auch auf den richtigen Umgang mit kranken Menschen vorbereitet werden. Sie werden ja wahrscheinlich sehr häufig mit solchen Situationen konfrontiert.

  • Ich habe das Buch in den letzten Tagen gelesen. Oft saß ich dabei auf der Terrasse und habe zwischendurch den Blick durch den Garten schweifen lassen. Habe gesehen, wie rund um mich herum die Natur zum Leben erwacht. Das war ein wohltuender Ausgleich zu den Geschichten rund um den Krebs.


    Bei fast allen Geschichten kommt der Krebs völlig unverhofft, er hinterlässt die Menschen nachher anders, auch wenn einige sagen, sie hätten die Krankheit nicht als "Lebensschule" gebraucht. Viele verschweigen die Krankheit in ihrem beruflichen und familiären Umfeld. Das hätte ich nicht erwartet, dass Krebs immer noch so ein Tabuthema ist. Wie Eskalina schon erwähnt hat, geht das Gesundheitssystem und das Personal nicht eben schonend mit den Patienten um. Man muss schon hartnäckig sein und nachfragen, damit man selbstbestimmt mit seinem Körper umgehen und seine eigenen Entscheidungen treffen kann. Bei einigen Geschichten klingt durch, dass die Patienten nach sorgfältiger Abwägung selbst entschieden haben, welche Behandlungsschritte sie gewählt und wo sie sich anders entschieden haben. Aber das setzt voraus, dass sie als Patienten aktiv an ihrer Behandlung beteiligt sind und nicht das eigene Entscheidungsvermögen an der Krankenhauspforte abgeben. Sie kämpfen und das beeinflusst vielleicht maßgeblich den Verlauf dieser immer noch tückischen Krankheit.


    Ich stufe dieses Buch als wichtig ein, weil es zeigt, dass die Diagnose Krebs auch bei nicht so guter Prognose nicht automatisch ein Todesurteil ist, das man stoisch erträgt. Und weil es erzählt, wie die meisten Patienten eben nicht behandelt werden möchten, nicht mit Mitleid, sondern eher mit Beistand.


    Ich bin auf ganz unterschiedliche Art mit dieser Krankheit konfrontiert worden. Es gibt kein Patentrezept für den "richtigen" Umgang mit Krebspatienten. Ich glaube, man muss sich auf den jeweiligen Menschen einlassen können, heraushören, was ihm wichtig ist. Und wenn es einen selbst trifft: nicht sofort aufgeben. Sterben kann man immer noch.

  • Ich habe das Buch hier auch liegen, habe es aber noch nicht gelesen. Bei dieser Art von Büchern kostet es mich immer Überwindung, die erste Seite aufzuschlagen und mit dem Lesen zu beginnen.

    Lieben Gruß,


    Batcat


    Ein Buch ist wie ein Garten, den man in der Tasche trägt (aus Arabien)

  • Stimmt, ich habe das Buch auch nicht am Stück lesen können.


    Übrigens hat mir gut gefallen, dass es zu jeder Geschichte ein Bild gab. Die Geschichten wurde so sehr viel persönlicher.