Am 8. Mai 1945 wird Vera Jepsen in Oslo Opfer einer Vergewaltigung und dabei schwanger. Weil sie nach dem Zwischenfall in eine 8-monatige Stummheit verfällt, merkt das zunächst niemand und als es Mutter und Großmutter bemerken ist es zu spät für eine Abtreibung. So wird Fred geboren. Einige Jahre später fährt ein kleiner dicker Mann mit einem Buick vor und macht Vera den Hof. Er bringt sie zum Lachen und so heiraten Vera Jepsen und Arnold Nilsen kurze Zeit später. Frucht dieser Verbindung ist Barnum Nilsen, der ähnlich klein ist wie sein Vater (über 1,51 kommt her nicht hinaus) und unter dieser Tatsache und seinem gleichzeitigen engelhaften Aussehen (er ist ein kleiner blondgelockter Knabe) leidet.
Fred und Barnum sind ein ungleiches Brüderpaar. Während Barnum von den Frauen geliebt und von den Jungs in seiner Klasse gehänselt wird, ist Fred ein zugeknöpfter Mensch, der wegen seiner Legasthenie viele Probleme in der Schule hat, wegen seiner düsteren und morbiden Art allerdings von allen gefürchtet, selbst von den Schlägern geachtet wird.
Erzählt wird die Lebensgeschichte des Brüderpaars, dessen einer anfängt zu schreiben und zu trinken, dessen anderer immer wieder verschwindet – auf der Suche nach seinem Vater, den er unbedingt ausfindig machen will, was ihm am Ende auch gelingt.
Lars Saabye Christensen ist einer der erfolgreichsten Schriftsteller Norwegens. Für „Der Halbbruder“ wurde er mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet.
Tatsächlich ist das Buch ein Familienpanorama, wie ich es lange nicht gelesen habe. Die Zufälle sind ein bisschen unwahrscheinlich, die Figuren immer ein bisschen übertrieben, doch das tut dem Lesevergnügen kaum einen Abbruch. Denn die Figuren sind plastisch geschildert und der Text steckt voller Weisheiten über das Leben steckt, die er sehr gut illustriert, aber den Figuren auch immer wieder sentenzhaft in den Mund legt.
Ich möchte sagen: So wie Lars Saabye Christensen sollte John Irving schreiben, wenn er als Schriftsteller ernst genommen werden wollte. Das Kunststück, das Christensen nämlich gelingt, Irving hingegen eher selten, ist das Einbauen unwahrscheinlichster Zufälle, die trotzdem kaum einmal reißerisch wirken. Das gelingt einerseits, weil Christensen ein sehr bedächtiger und überlegter Erzähler ist, der es schafft, Unwahrscheinlichkeiten nicht zu Kulminations- oder Wendepunkten eines Lebens zu stilisieren. Vielmehr gewinnt man bei ihm den Eindruck, dass auch sehr einschneidende Ereignisse häufig keinen oder nur eine kurzzeitigen Effekt auf das Leben haben.
Ein Buch, zu dem ich so gut wie nur applaudieren kann.
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