'Die Kapelle der Glasmaler' - Seiten 079 - 156

  • Nach einem kurzen Intermezzo mit unserer unbekannten Glasmalerin, lernen wir in diesem Teil Clement und seine Familie kennen. Nachdem ein Auftrag in einer Stadt beendet, muss er mit seiner Familie wieder auf Suche bzw. Wanderschaft gehen, zur nächsten Anstellung. Sein Traum ist Paris, er hofft auf die Chance für sein Meisterwerk. Edwige, seine Frau, steht dem skeptisch gegenüber, wähnt sie doch ihren früheren Verehrer und Clements Widersacher in Paris. Doch sie leben ihre Wünsche gemeinsam, wie sie an späterer Stelle sagt, sicher nicht selbstverständlich für diese Zeit.
    Auf dem Weg nach Paris werden sie überfallen. Seine Tochter verletzt, rast Clement vor Wut und versucht diese zu rächen, dabei wird er selbst verletzt. Nur durch das Eingreifen von Ghislain wird schlimmeres verhindert und er begleitet von nun an die Familie, auch wenn Edwige ihm misstraut.
    Gehe ich recht in der Annahme das Namenlose Figuren, wie der Gesetzlose, nach ihrem Auftreten keine weitere Rolle spielen?
    Clements Wunde entzündet sich und die Familie sucht Hilfe in einem Kloster, welches wir uns Dank Beowulf um so bildhafter vorstellen können. Ehrlich so groß hatte ich mir die Krankenstation nicht vorgestellt. Nachdem ihm die Mönche das Leben gerettet haben, gelangt die Familie gemeinsam mit Ghislain nach Paris, wo sich deren Wege erstmal wieder trennen. Ich hoffe nicht für sehr lange.


    Wenn ich meine Schreibe so betrachte, hat es mich wohl endgültig gepackt. Den Geruch eitriger Wunden in der Nase, schaudernd den Schmerz erahnend mache ich mich nun an Teil 3.

  • Ein neuer Abschnitt und es werden wieder neue Figuren eingeführt. Die Famile von Clément war mir auf Anhieb sympathisch. Die sehr unterschiedlichen Schwestern, die besorgte Mutter und der ehrgeizige Vater, der nicht sesshaft sein möchte. Keine der Figuren ist unglaubwürdig oder eindimensional.


    Dass sie auf dem Weg durch den Wald so übel überfallen werden, hat mich zwar überrascht, aber ich ging davon aus, dass sie nicht ohne Probleme bis Paris kommen würden. Hier begegnen sie dann Ghislain, der sich in Jehanne verguckt und anfangs vermutlich die Sicherheit der Gruppe sucht. Oder möchte er nur helfen und es ist für ihn mit dieser Familie eher noch gefährlicher?


    Zitat

    Original von Sylli7
    Ich wußte auch nicht, dass man Sterbende, so wie bei dessen Tod erwähnt, auf den Boden legt, da jedem Menschen im Tode Demut ziemt.


    Ganz nebenbei wird anschaulich sehr viel Wissen vermittelt. Ich wusste das auch nicht.


    Zitat

    Original von Herr PalomarDer Gesetzlose hat wahrscheinlich auch kaum alternativen als Überfälle, da er durch sein geschlitztes Ohr immer erkennbar und dauerhaft von der Gesellschaft ausgeschlossen ist.


    Heutzutage fast unvorstellbar, dass jemand für ein Vergehen wie Diebstahl so dauerhaft gezeichnet ist, dass er praktisch für immer aus der Gesellschaft ausgeschlossen wird. Mir gefällt sehr gut, wie die Nebenfiguren nicht völlig blass bleiben. Der Gesetzlose hat keine andere Wahl. Entweder er stirbt oder er stürzt andere ins Unglück.


    Ich glaube auch, dass Ghislain und Jehanne sich wieder über den Weg laufen werden.


    Und jetzt wird weitergelesen. :lesend

    "It is our choices, Harry, that show what we truly are, far more than our abilities." Albus Dumbledore
    ("Vielmehr als unsere Fähigkeiten sind es unsere Entscheidungen, die zeigen, wer wir wirklich sind.")


    "An allem Unfug, der passiert, sind nicht etwa nur die Schuld, die ihn tun, sondern auch die, die ihn nicht verhindern."

    Erich Kästner.



  • Ich sage nur: Internet. Auch heute gibt es *wohlmeinende* Zeitgenossen, welche ihren Mitmenschen nach einem Fehltritt gerne das Leben schwer machen.


    http://www.heise.de/tp/r4/artikel/28/28129/1.html


    http://www.rottenneighbor.com/



    Ganz davon abgesehen, dass es in Ländern, in welchen z.B. die Scharia gilt immer noch üblich ist, Dieben die Hände abzuschlagen.

  • Was ich im letzten Leseabschnitt noch als stilistische Besonderheit bemerkt hatte, erscheint mir in diesem als Schwäche des Romanes, nämlich die Eigenheit, beim Erzählen nicht an einer Perspektivfigur haften zu bleiben. Die Perspektivwechsel im Erzählfluss stören mich nicht, sie machen mir eher noch Spaß. Allerdings führt nach meinem Eindruck dieses "Nicht-Verhaftetsein" leider manchmal dazu, dass die Sichtweise einer Figur nicht konsequent dargestellt wird, man nicht vollständig in die Figur eintaucht, vielleicht auch die Autorin sich beim Schreiben nicht ganz auf ihre jeweilige Perspektive eingelassen hat. Wenn man beispielsweise aus Jehannes Sicht eine Szene beobachtet, hätte ich erwartet, dass sie "Vater" oder "Papa" denkt, nicht Clement, Gleiches bei der Mutter. Solche Feinheiten hätten mich noch mehr in die Geschichte mit hineingenommen.
    Es gibt noch weitere kleine Schwächen; dass ein "Bleinetz" aus "Blei" gemacht wird, wird jedem klar sein, und auch der "Schweiß auf der Oberlippe" bildet sich bei verschiedenen Figuren immer wieder. Auf S. 141 "umringen" zwei Personen ein Bett (zwei Leute sind zum "Umringen" dann doch etwas wenige ...), eine Seite später "drehen sie sich zu ihr um", damit ihr dann im nächsten Satz "ihre Blicke zufliegen" - das hätte man in einem Satz zusammengezogen dichter erzählen können. Was mir persönlich auch nicht klar ist, ist das Verfahren der Herstellung von Glasbildern - werden die nun gemalt (wie auf S. 140 angedeutet) oder aus buntem Glas zusammengestückelt (wie man nach den Einschüben mit der Glaserin meinen könnte)? Ich bin sicher, dass kluge Leute die Antwort kennen, aber mir erschließt sie sich aus dem Text bisher nicht.
    Was mir im formalen Bereich positiv auffällt, sind Rechtschreibung und Grammatik. Hier sind mir keine Fehler ins Auge gesprungen, was sich angenehm mit dem allgemein hohen sprachlichen Niveau ergänzt.


    All das sind Nebenbemerkungen. In der Hauptsache bleibt mir von diesem Abschnitt ein großes Lesevergnügen im Gedächtnis. Der Überfall durch den Gesetzlosen, das Schlitzohr, ist meisterhaft erzählt. Zu Beginn spekulierte ich noch, ob vielleicht Ghislain durch die harte Zeit zum Strauchdieb geworden sein könnte, war dann aber doch froh, ihm stattdessen als heldenhaftem Retter wiederzubegegnen. Die Welt des Buches ist greifbar, nicht zuletzt durch die schönen Details mit Käfern, Ameisen und Spinnen (S. 118), vor allem aber, weil sie sich echt anfühlt. Nichts passiert einfach, weil es dem Leser ein wohliges Gefühl gäbe. Ein Räuber ist kein Robin Hood, sondern ein verzweifelter Mann, der versucht, durch seine Brutalität zu überleben. Das Gepäck wird geklaut und bleibt verschwunden. Trotzdem ist nicht einfach alles Brot, Not, Tod: Das Kind überlebt, obwohl es zunächst für tot gehalten wird. Die Figuren sind nicht allwissend, können sich auch einmal irren. Durch solche Wendungen hat mich die Autorin inzwischen soweit, dass echte Spannung aufkommt, weil ich ihr sowohl das "bad end" als auch das "happy end" zutraue.



    Zitat

    Original von Bouquineur
    In Jehanne vermute ich auch die Frau, die in den Zwischenkapiteln an der Entstehung des Glasfensters arbeitet.


    Auf den Gedanken bin ich bislang nicht gekommen, aber jetzt, wo Du es schreibst, erscheint es mir plausibel ...


    Zitat

    Original von Liesbett
    Die Einführungen über andere Personen finde ich auch wunderbar


    Da schließe ich mich an.

  • Zitat

    Original von Bernard
    Was mir persönlich auch nicht klar ist, ist das Verfahren der Herstellung von Glasbildern - werden die nun gemalt (wie auf S. 140 angedeutet) oder aus buntem Glas zusammengestückelt (wie man nach den Einschüben mit der Glaserin meinen könnte)?


    Beides. Ich habe hinten noch etwas dazu geschrieben. Grundsätzlich sind es aus buntem Glas zusammengestückelte Bilder, auf die mit Bleilot (bräunlich oder schwarz) gemalt wird. Die Glasstückchen werden mit Bleiruten zusammengehalten.


    Liebe Grüße


    Kirsten

  • Zitat

    Original von Bernard
    Was mir persönlich auch nicht klar ist, ist das Verfahren der Herstellung von Glasbildern - werden die nun gemalt (wie auf S. 140 angedeutet) oder aus buntem Glas zusammengestückelt (wie man nach den Einschüben mit der Glaserin meinen könnte)?


    Ich muss gestehen, dass ich damit auch Probleme hatte. Ich hatte auch die Glasstücke vor Augen, aus denen sich so ein Fenster zusammensetzt. Das ist ja auch richtig. Aber wenn man darüber nachdenkt, und sich vor allem so ein Bild anschaut, dann sieht man, dass es zwar aus Stücken zusammen gesetzt ist, die Details aber gemalt sind. Gesichter, Falten in Gewändern etc.


    http://www.glasmalerei-museum.…schof-Leguntius_400px.jpg


  • Da hatte ich mich wohl etwas ungeschickt ausgedrückt. Ich hatte eher vor Augen, was hier in Deutschland in manchen Fällen alles versucht wird, um jugendliche Straftäter wieder auf den "rechten Weg" zu bringen. Durch so ein geschlitztes Ohr war für jeden anderen sichtbar, dass hier ein Dieb vor einem steht. Da bekam man auch keine Arbeit mehr, wenn man noch beide Hände hatte.

    "It is our choices, Harry, that show what we truly are, far more than our abilities." Albus Dumbledore
    ("Vielmehr als unsere Fähigkeiten sind es unsere Entscheidungen, die zeigen, wer wir wirklich sind.")


    "An allem Unfug, der passiert, sind nicht etwa nur die Schuld, die ihn tun, sondern auch die, die ihn nicht verhindern."

    Erich Kästner.

  • Das war auch mein erster Gedanke, als ich von dem aufgeschlitzen Ohr las: Wie soll er sich je wieder in die Gesellschaft eingliedern können? Das ist aber zu nachhaltig-modern gedacht, damals war wohl wichtig, die Gesellschaft von solchen *Elementen* rein zu halten bzw. sicherlich stand auch da sRachebedürfnis im Vordergrund.

  • Bouquineur
    Schönes Beispiel. Bei "meinen" Glasbildern müsst ihr euch dann noch das Gelb wegdenken, das wurde erst im 14. Jahrhundert entdeckt. Im 13. Jahrhundert sähen die gemalten Strukturen dann eben bräunlich schwarz aus.


    Was den Gesetzlosen angeht, war so etwas auch als Warnung gedacht. Sicherlich konnte ein Diebstahl oder Betrug damals größere Folgen für das eigene Leben haben. Wie z.B. der Verlust der Werkzeuge für Clément und seine Familie.


    Liebe Grüße


    Kirsten

  • Bei der Bitte von Clément "Lass mir wenigstens meine Werkzeuge." wurde sehr deutlich, dass die nicht so einfach wiederzubeschaffen sind. Für die Familie bedeuten sie aber das Überleben, wo sie jetzt schon um ihre Ersparnisse erleichtert wurden. Erschwerend kommt noch hinzu, dass sie keinen festen Wohnsitz haben und erst noch sehen müssen, wo sie bleiben. Da ist die Beschaffung von ordentlichen Werkzeugen bestimmt doppelt schwierig.


    Dass der Gesetzlose die Werkzeuge gelassen hat, verdeutlichte für mich, dass er damit rein gar nichts anfangen kann. Wozu sollte er sie also Clément wegnehmen. Das hat auch wieder so etwas Rationales.

  • Kann man die Glasmalerei bzw. das Zusammensetzen von Glas mit der Tiffany-Glaskunst vergleichen? Da wird das Blei, glaube ich, mit dem Glas verschmolzen. Wie sonst kann man diese Ruten mit Nägeln zusammen halten?


    Mein liebstes Wort bisher ist übrigens Kröselzange.

  • Bei der vorliegenden Methode wird das Glasstück in eine Bleischiene gelegt, und das Blei wird dann vorsichtig festgehämmert. Ich habe das auch so beschrieben und habe mit eigenen Augen gesehen, dass das so gemacht wird. Trotzdem fällt es mir seltsamerweise schwer zu glauben, dass das hält. Was es ja definitiv tut.


    Liebe Grüße


    Kirsten

  • Ottifanta hat mich noch auf etwas Wichtiges hingewiesen, was ich unbedingt präzisieren muss. Natürlich gibt es auch im 13. Jahrhundert gelbes Glas. Das, was es erst ab dem 14. Jahrhundert gibt, ist das Silbergelb oder Silberlot, eine reine Lasurfarbe, die gerne für Heiligenscheine und so etwas verwendet wurde. Mit dem Silberlot wurde, wie auch mit dem Blei- oder Schwarzlot, wirklich gemalt.


    Liebe Grüße


    Kirsten

  • Ich kann meinen Vorrednern nur zustimmen.


    Viele wunderschöne, kleine Details schaffen die Atmosphäre in diesem Buch. Ich bin mit Edwige und Clement durch den Wald gewandert, hab beim Überfall den Atem angehalten, dann die Annäherung der Familie an den Jongleur, die Töne des Misstrauens und jetzt sind sie in Paris angekommen und ich bin gespannt, wie es weitergeht.


    Für mich übrigens wieder eindrucksvoll: Der Dialog zum Ende des zweiten Kapitels, S. 155. In den wenigen Worten drücken sich hier in besonderer Weise Vorfreue, Spannung, Angst und Sorge der beiden aus, ohne dass es dazu vieler Worte bedarf.

  • Zitat

    Original von Solas
    Bei der vorliegenden Methode wird das Glasstück in eine Bleischiene gelegt, und das Blei wird dann vorsichtig festgehämmert. Ich habe das auch so beschrieben ...


    Jep, ich habe es jetzt auch gelesen. Wunderbar in den Text eingebettet. Und noch als extra Erläuterungen. Manchmal ignoriere ich die Extras vor lauter Spannung :grin

  • Auch ich bin nach wie vor begeistert von der Sprache, von den anschaulichen Beschreibungen und der Atmosphäre im Buch. Klasse. Man kann wirklich eintauchen in die Geschichte.


    Zu Loup möchte ich noch kurz etwas sagen, auch wenn es im Grunde den vorigen Abschnitt betrifft. Aber es bedingt (denke ich) Ghislains Verhalten zumindest in Teilen.


    Loup wurde von den meisten Vorkommentatoren sehr positiv empfunden. Als Charakterzeichnung sehe ich das ebenso, weil die Figur Tiefe hatte. Und genau deshalb beurteile ich ihn (in moralischer Hinsicht) zwiegespalten - er ist weder einfach nur gut noch einfach nur schlecht. Beispielsweise hätte ich im Grunde erwartet, dass er auf dem Totenbett Ghislain sein Amulett zurückgibt. Das tut er aber mitnichten. Er möchte es sogar veräußern, um sich mit dem Erlös Gebete für sein eigenes Seelenheil kaufen zu können. Das hätte er weniger nötig gehabt, wenn er das, was er gestohlen hat (und das hat er), wieder zurückgegeben hätte. :grin Aber das Verhalten, das er zeigt, passt im Grunde viel besser zu seinem bisher gezeigten Charakter. Zwar machte er sich zuletzt immer mehr Gedanken um Ghislain, hatte immer mehr Angst davor, ihn zu verlieren. Sicher war daran auch eine wachsende Sympathie/Zuneigung schuld. Aber hauptsächlich waren es egoistische Motive. Ghislain trug nachher den weitaus größeren Teil zu ihrem Auskommen bei - allein hätte Loup sich nicht mehr ernähren können. Ich finde es schön, dass die Autorin also auch auf dem Totenbett dem Charakter ihrer Figuren treu bleibt und nicht in (weniger glaubwürdigen) Kitsch abdriftet.


    Diese Anmerkung wollte ich hier nur noch nachholen, denn ich denke, die lange Zeit mit einem solchen Mann hat auch Ghislain geprägt, was man auf seiner Wanderung mit der Familie des Glasmalers gut erkennen kann. So hadert er mit sich, ob er sich ihnen wirklich anschließen soll, ob er sie führen und ihnen somit helfen soll. Allein wäre er wesentlich schneller unterwegs. Es sind also auch egoistische Motive, die ihn zögern lassen. Loup lässt grüßen. Aber er entscheidet sich schließlich doch dazu, ihnen zu helfen, ohne dass er selbst sagen könnte, warum er das tut. Meine Interpretation: Allen anerzogenen und rationalen Überlegungen zum Trotz rührt sich etwas in ihm, das stärker ist: sein wahres Wesen, sein wirklicher Charakter, der mitfühlende Mensch, der er schon als kleiner Junge war, und der von den harten Jahren auf Wanderschaft und durch einen sicherlich härteren Mentor zwar überdeckt, aber nie ganz ausgelöscht wurde. Eigentlich macht genau das ihn so überaus sympathisch: Dass er an seiner Entscheidung zweifelt, auch negative, egoistische Überlegungen anstellt, sich vielleicht selbst ein wenig über die eigene Hilfsbereitschaft ärgert - aber dass er eben trotzdem hilft. *schwafel* Das schoss mir nur noch durch den Kopf.

  • Im zweiten Teil begegnen wir dem Glasmaler Clément und seiner Familie. Auch hier wieder schön die Ausarbeitung der Details. In nur wenigen Worten charakterisiert Kirsten den Glasmaler, seine Frau und die Töchter.


    Wieder taucht das Motiv Glas in der Beschreibung der Umgebung auf: "In dieser Nacht wirkte die Umgebung wie mit Silber überzogen, und der kleine Fluss war ein Band aus schwarzem Glas."


    Sehr gut gefallen mir die Beschreibungen des Waldes, das tropfende Wasser, die aufgeweichten Wege, die Geräusche und Gerüche. Hier folgt der Leser zunächst einem Gesetzlosen, der seinerseits Cléments Familie verfolgt. Diese Nebenfigur ist ebenso liebevoll und detailgenau gezeichnet worden wie die Hauptfiguren. Ein Mann, der durch sein geschlitztes Ohr nie wieder ein normales Leben innerhalb menschlicher Gesellschaft führen kann, der einen einzigen Gefährten gehabt und diesen verloren hat und glaubt, er sei verdammt, weil er die Leiche einfach liegen gelassen hat. Für den Gesetzlosen gibt es nur eine Art, zu überleben: indem er Reisende ausraubt. Dass es ihm um das reine Überleben geht, wird daran deutlich, dass er Clément auf dessen Wunsch hin seine Werkzeuge überlässt und nur Essen und Kleidung haben möchte. Er bemächtigt sich Lises, um den Sack mit Nahrungsmitteln zu erhalten und schlägt das Mädchen nieder, um eine Verfolgung zu verhindern, wobei es allerdings zunächst den Anschein hat, das Mädchen sei tot und Clément nun umso wütender hinter dem Mann her ist.


    Hier trifft die Familie auf Ghislain, und somit werden die beiden Handlungsstränge gelungen zusammengeführt.


    Edwige begegnet Ghislain mit Argwohn und möchte ihn unbedingt loswerden. "Schick diesen Fremden fort." (S. 131)
    Als sie aufgrund Cléments Verletzung auf ihn angewiesen ist, sagt sie zu ihm: "Du willst uns im Stich lassen." (146)


    Was ich von Edwige halten soll, weiß ich noch nicht so recht. Ich fand ihre Haltung sehr egoistisch, aber andererseits hat sie drei Töchter, an deren Sicherheit sie denken muss, und sie ist ohnehin beunruhigt, was die Reise nach Paris angeht, daher kann ich ihr ihr Misstrauen und ein gewisses Maß an Egoismus, mit dem sie sich und ihre Familie schützen will, nicht einmal übelnehmen. Als Leser, dem Ghislain vertraut ist, muss man noch einmal komplett umdenken und ihn aus Edwiges Sicht sehen: Ein heimatloser Jongleur, für den keine Familie Zeugnis ablegen kann, und mit dem sie sich allein im Wald befinden. Dass er Clément gerettet hat, muss ja nicht zwingend heißen, dass man ihm vertrauen kann, Clément hat ja selbst zunächst Angst, als er sich von Ghislain zurück zu seiner Familie führen lässt.


    Zitat

    Diese Anmerkung wollte ich hier nur noch nachholen, denn ich denke, die lange Zeit mit einem solchen Mann hat auch Ghislain geprägt, was man auf seiner Wanderung mit der Familie des Glasmalers gut erkennen kann. So hadert er mit sich, ob er sich ihnen wirklich anschließen soll, ob er sie führen und ihnen somit helfen soll. Allein wäre er wesentlich schneller unterwegs. Es sind also auch egoistische Motive, die ihn zögern lassen. Loup lässt grüßen. Aber er entscheidet sich schließlich doch dazu, ihnen zu helfen, ohne dass er selbst sagen könnte, warum er das tut. Meine Interpretation: Allen anerzogenen und rationalen Überlegungen zum Trotz rührt sich etwas in ihm, das stärker ist: sein wahres Wesen, sein wirklicher Charakter, der mitfühlende Mensch, der er schon als kleiner Junge war, und der von den harten Jahren auf Wanderschaft und durch einen sicherlich härteren Mentor zwar überdeckt, aber nie ganz ausgelöscht wurde. Eigentlich macht genau das ihn so überaus sympathisch: Dass er an seiner Entscheidung zweifelt, auch negative, egoistische Überlegungen anstellt, sich vielleicht selbst ein wenig über die eigene Hilfsbereitschaft ärgert - aber dass er eben trotzdem hilft.


    :write


    Am Ende des Abschnitts begegnen wir wieder der Glasmalerin. Ob es sich dabei um Jehanne als erwachsene Frau handelt?

  • Zitat

    Original von Laila
    Dass er Clément gerettet hat, muss ja nicht zwingend heißen, dass man ihm vertrauen kann


    Eben. Ich musste bei dieser Episode auch an ein Erlebnis denken, dass ich mit einem Obdachlosen hatte. Der Mann wollte mir helfen, aber ich habe mich sofort misstrauisch gefragt, was der denn jetzt wirklich von mir will und habe seine Hilfsbereitschaft angezweifelt. Das lässt sich jetzt zwar nicht vergleichen, aber es betrifft den Bereich: Wie unvoreingenommen sind wir / können wir sein.


    Liebe Grüße


    Kirsten