Ja, eben. Ich habe nur die moderne Version. 1932 kann man wohl auch nicht mehr mit viel Wohlwollen zum Mittelalter zählen.
'Die Kapelle der Glasmaler' - Seiten 157 - 306
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Ich überlege gerade, ob man irgendwo die Original-Fassungen hören kann
Das scheint keine Orff'sche Fassung zu sein:
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Es klingt speziell, einmal wegen der quietschenden, knarzenden und schrillenden Instrumente, dann, weil die Stimmen manchmal so seltsam kippen und dann basiert die mittelalterlichen Musik, wenn ich es jetzt richtig in Erinnerung habe, auf der Pentatonik. Manches klingt dann eher arabisch, was auch daran liegen mag, dass Einflusse von dort aufgenommen worden sind.
LG
Kirsten
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Das ist eine hochinteressante Runde.
Also, schwarz-weiß habe auch ich nirgends entdecken können, stattdessen echte Menschen, Schwächen und Stärken, aber das hatten wir ja schon.
Was mir in diesem Abschnitt besonders aufgefallen ist, sind die vielen kleinen aneinander gereihten Szenen der verschiedenen Charaktere. Ich möchte nicht von Flickenteppich sprechen, das klingt abwertend, sondern vielleicht von Patchwork, wo (wie bei Glasfenstern, wie mir eben noch einfällt ... oder Schachbrettern) viele bunte Details ein Großes Ganzes ausmachen, und das gefällt mir an diesem Buch besonders. Man kann sich von vielen Seiten ins Geschehen ziehen lassen, der Armen, den Wohlhabenden, den Arbeitern oder Meistern, den Versehrten ...
Ich versuche mir Paris vorzustellen, wie es damals gewesen sein muss. Aber es will mir einfach nicht richtig gelingen, Obstgärten, Wiesen und Schafherden zwischen den eng bebauten und vielbefahrenen Straßen von heute unterzubringen.
Neben Jehanne spricht mich Alix sehr an, was wohl an meiner Schwäche für Ghislain liegen mag. Ihr Verhalten reizt mich, diese Mischung aus mädchenhafter Unsicherheit und abgeklärter Geschäftsfrau, dem Pragmatismus und der überdurchschnittlich großen Freude an dem wenigen schönen Dingen, die sie besitzt oder erfährt. Und ihre große Klappe.
Das Aimon nicht lesen kann nahm ich hämisch erfreut zur Kenntnis. Weiberkram. Tststs.
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In Thomas findet sich eine explosive Mischung wieder. Er hat einen großen Eifer und Standhaftigkeit und dabei eine große Selbstbeherrschung, wenn er an seinen Plänen arbeitet, während es auch immer wieder zu Gewaltexzessen an Personen kommt, an denen er sich gefahrlos vergehen kann. Sosehr er dann ausflippt, hier wohl auch in der Art eines Stellvertreterkampfes, so kontrolliert ist er dann, wenn er es sein muss, um sein Ziel zu erreichen, welches genau das auch sein mag.
Sein Arbeitsangebot an Clement ist daher auch widersprüchlich. Einerseits die deutlich erkennbare Absicht Edwige in der Nähe zu haben, eine gewisse Macht über Clement zu haben. Andererseits hat man aber auch den Eindruck, dass ihn die Notsituation Edwiges ihn nahe geht. Wenn seine Lösung wohl eher auf eine Abwerbung hinauslaufen dürfte, denn als auf eine wirkliche Hilfe.
Sehr bezeichnend da der Gedanke "er musste nur geduldig sein." Obwohl er im Grunde sehr viel mehr aufbringen muss.
Da fallt mir der schöne Name Thomas le Boef auf. Ist das ein sprechender Name?
Hier ist auch die weitere Entwicklung zwischen Clément und Edwige interessant. Sie zwingt ihn sich im Interesse der Familie künstlerisch unter Thomas einzuordnen, obwohl er glaubt besser zu sein. Direkt im Gespräch hat er dem nichts mehr entgegen zu setzen. Vernunft in der Not oder Resignation, dass der Wunsch nicht in Erfüllung geht.
In der Praxis funktioniert es ja nicht.Der Bettler und Pierre. Hier wird viel angedeutet, aber was mag da wohl dahinterstecken. Sieht Pierre in dem Bettler "nur" die Verkörperung seiner Ängste oder steckt mehr dahinter. Wenn er beginnt die Pläne auszubessern, damit es "seine" Kapelle wird, dann hat das auch einen sehr eigenwilligen Touch. Vll. steckt hinter den Gerüchten wirklich mehr und er hat hier ein Plagiat begangen und es dann verdrängt.
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Zitat
Original von taciturus
Da fallt mir der schöne Name Thomas le Boef auf. Ist das ein sprechender Name?Ja. Das war mal eine Gelegenheit, mit der Entwicklung von Nachnamen zu spielen. Ich hätte ja auch gerne den Namen Pinkepank untergebracht, der möglicherweise auf das Geräusch beim Schmieden zurückzuführen ist, aber der klingt erstens zu lustig und zweitens gar nicht französisch.
Liebe Grüße
Kirsten
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Mais au contraire, liebe Solas. Du hättest einfach Monsieur Pinquepange daraus machen können.
Ich finde die Namenswahl sehr schön. Sie helfen mir, mich in meiner Vorstellung in die Zeit zu versetzen.
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Zitat
Original von Büchersally
Monsieur PinquepangeIch habe mich mal bei youtube umgeschaut und zumindest etwas in dem Musikstil gefunden, der mich durch die Recherche hindurch begleitet hat. Teilweise (wieder?) gewöhnungsbedürftig:
Lo ferm voler qu'el cor m'intra
Liebe Grüße
Kirsten
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Danke für die Links. Das werde ich mir heute abend anhören. Wenn ich das hier in der Firma laufen lasse, schaut mich mein Chef bestimmt schrägt an
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Danke für die Links. Sehr interessant.
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Eure Beiträge habe ich mit viel Interesse gelesen. Vielen Dank für die Links und auch für die Fotos.
Mit jedem neuen Charakter in diesem Buch wird ein neues Fenster geöffnet. Die Personen sind so lebensnah, das Kopfkino geht automatisch los. Wenn ich dazu noch die kleinen Details, die das Buch auszeichnen betrachte, die Wanzen und Föhe im Badewasser, betrachte ist jede Seite Lesefreude pur. Aber euren Beiträgen kann ich ja entnehmen, dass ihr ähnlich denkt wie ich.
Sehr zwiespältig stehe ich Thomas gegenüber. Habe ich anfangs noch bedauert, empfand ich schon bald Wut über seinen grenzenlosen Jähzorn. Da möchte ich schon fast sagen, welch ein Glück, dass Edwige sich für Clément entschieden hat. Aber was hat er mit Lise vor??? Er wird doch nicht... Aus Rache, weil ihn Edwige zurück gewiesen hat und ihr Lise so ähnlich sieht?
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Zitat
Original von Bouquineur
Erbsenzähler
Danke für den Link. Ob die De Luzys etwas mit Robert de Luzarches zu tun haben?
Der Sohn kam ja erstmal sehr brutal rüber. -
Zitat
Original von taciturus
Sein Arbeitsangebot an Clement ist daher auch widersprüchlich. Einerseits die deutlich erkennbare Absicht Edwige in der Nähe zu haben, eine gewisse Macht über Clement zu haben. Andererseits hat man aber auch den Eindruck, dass ihn die Notsituation Edwiges ihn nahe geht. Wenn seine Lösung wohl eher auf eine Abwerbung hinauslaufen dürfte, denn als auf eine wirkliche Hilfe.Ich empfinde Thomas eher als rachsüchtigen Charakter, und vor allem als Unvergesslichen, der lieber alle in den Abgrund reisst, als seine Schmach vergessen zu können. Ich habe den Eindruck, es geht ihm nicht um Edwige sondern um Vergeltung.
Um Lise habe ich mich auch gesorgt.
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Zitat
Original von Liesbett
Ich empfinde Thomas eher als rachsüchtigen Charakter, und vor allem als Unvergesslichen, der lieber alle in den Abgrund reisst, als seine Schmach vergessen zu können. Ich habe den Eindruck, es geht ihm nicht um Edwige sondern um Vergeltung.
Da ich momentan nicht zum lesen komme, kann ich wenigstens ein bissl wieder drüber nachdenken. Deine Interpretation ist auch interessant. Da kniffle ich grad an der Art des Angebots: warum geht Thomas gleich zu Edwige und spricht nicht mit Clément?
Das er sie nur sehen will, wäre mir hier als Erklärung zu plump. Weil er glaubt, Clément würde nie annehmen oder weil er einen Spalt zwischen die Beiden treiben will?Andererseits, wenn es ihm nur um Vergeltung ginge, ist sein Angebot kontraproduktiv.
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Im vorigen Leseabschnitt merkte ich an, dass Jehanne von ihren Eltern mit dem Vornamen denkt anstatt, wie mir passender erscheint, als "Papa" und "Mama". In diesem Leseabschnitt ist das anders (S. 196ff). Kirsten hat bereits angemerkt, dass sie beim Schreiben eine gewisse Zeit benötigt, um sich in die Figuren hineinzufinden - wäre es übertrieben, hier einen Zusammenhang zu vermuten? Jedenfalls werden die Figuren für mich immer greifbarer.
Dieser Leseabschnitt hatte viele schöne Szenen, zum Beispiel das Wiedersehen von Jehanne und Ghislain, bei dem sie ihn "durch die gespreizten Finger" beobachtet. Ein interessantes Detail ist hier, dass sie die Entstellungen in seinem Gesicht nicht zu bemerken scheint, die ihm durch die Gerte de Luzys beigebracht wurden. Vielleicht ist die Narbe doch nicht so schlimm, wie er selbst sie einige Seiten später wahrzunehmen scheint?
Auch schön ist das Entfernen des pieksenden Strohhalmes aus der Matratze des Bettes - eine Feinheit, die die Alltagswelt der damaligen Zeit für mich greifbarer macht.
Mit Thomas betritt ein rechter Schurke die Bühne. Er schlägt seinen Sohn, nutzt seine Haushälterin aus, ist ein prototypischer Egoist, Selbstmitleid eingeschlossen. Da hilft es auch nichts, dass er Lise durchfüttert - man unterstellt ihm direkt ein niederes Motiv dazu, irgend eine Art von Rache an den Eltern.
Die Sexszene im Badezuber sowie Ghislains Affäre überhaupt erscheint mir etwas unmotiviert, aber ganz nett.
Ich habe das Gefühl, dass in diesem Leseabschnitt das Lektorat nicht ganz so gründlich war wie zuvor. Es gibt ein paar fragwürdige grammatikalische Konstruktionen (S. 220 "wendete" statt "wandte", S. 178 "ergreifen hätte können" statt "hätte ergreifen können", S. 275 Genitivbildung "Mersandas de Luzy" statt "Marsanda de Luzys", S. 295 fehlendes Wort bei "Ihre Finger ... verschwanden in seiner.", sowie ein paar weitere, die mir aufgefallen sind).
Das Sprachniveau als solches empfinde ich nach wie vor als erfrischend. So wird etwa eine Zeitspanne mit "ein Zögern lang" bezeichnet. Solange eine Autorin die von mir geschätzte Vorvergangenheit so ausgiebig anwendet wie auf Seite 180f verzeihe ich ohnehin alles.ZitatOriginal von Nomadenseelchen
Das mit dem Klauen habe ich jetzt nicht in Erinnerung ...
Sein Adoptivvater denkt glaube ich mal daran, dass Ghislain auch im Beutelschneiden gut ist.ZitatOriginal von Herr Palomar
Beispiel für Alix auf Seite 286: Ghislain zu Alix: "Es heißt, Frauen deines Schlages wissen viel."
Ohje, was hat sich Ghislain da für einen Fauxpaux erlaubt, aber Alix ist schlagfertig und schießt zurück: Ansonsten verkehre ich nur mit feinen Herren."
Hm, bei mir steht: "Ansonsten verkehre ich selten ... mit feinen Herren." -
Zitat
Original von Bernard
Hm, bei mir steht: "Ansonsten verkehre ich selten ... mit feinen Herren."
Richtig, so muss es heißen. Ich hatte es auch so verstanden, nur falsch geqoutet. -
Zitat
Original von Bernard
Solange eine Autorin die von mir geschätzte Vorvergangenheit so ausgiebig anwendet wie auf Seite 180f verzeihe ich ohnehin alles.Mérsandas de Luzy muss es, meiner Ansicht nach, wirklich heißen. Wäre es ein moderner Name, dann wäre das anders. Es heißt beispielsweise auch Hartmanns von der Aue. Ich muss allerdings zugeben, dass ich mich erst daran gewöhnen musste. Für mich klang es lange falsch.
Ansonsten hoffe ich mal, dass beim nächsten Mal weniger Fehler durchkommen. Hast Du ein eingebautes Gen für so was!?
Zu Ghislain und Alix habe ich meine ganz einigen Vorstellunge. Ich möchte aber vorerst nicht herumpsychologisieren.
Liebe Grüße
Kirsten
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Zitat
Original von Solas
Ansonsten hoffe ich mal, dass beim nächsten Mal weniger Fehler durchkommen. Hast Du ein eingebautes Gen für so was!?
Für Fehler? Oh ja, ich mache ständig welche. -
Zu diesem Abschnitt kann ich nicht viel schreiben, nachdem ich letzte Nacht den diesen und den darauffolgenden direkt hintereinander verschlungen habe.
ZitatOriginal von Sylli7
Mir gefallen die detailreichen Schilderungen des Alltaglebens besonders gut. Da kann man sich das mittelalterliche Paris so richtig gut ausmalen.Das ist mir auch im Gedächnis geblieben. Wie lebendig die Schilderungen sind, durch die kleinen Details und genauen Beschreibungen.
Bei Thomas vermute ich, dass er einen Keil zwischen Clément und Edwige treiben will. Es ist für Clément auch nicht gerade angenehm, so ein Angebot über seine Frau zu bekommen. Angesichts der finanziellen Situation der Familie kann er nicht ablehnen. Für Thomas ist es außerdem die billigste Möglichkeit, einen guten Glasmaler zu bekommen. Hinzu kommt noch, dass er so unter Kontrolle hat, wann Clément sich wo aufhält.
Hinter seinen Bemühungen um Lise vermute ich auch nichts Gutes. Sie ist viel jünger als er und sehr naiv. Ich frage mich, was sie in ihm sieht. Ob sie so unglücklich ist und sich so ungeliebt fühlt? Sicher ist es nicht einfach, dass der Vater sich mit ihrer jüngeren Schwester besser versteht. Aber dann in die Arme eines Mannes zu laufen, der ihr Vater sein könnte? Bisher ist Lise für mich noch recht blass.Ich glaube, dass Ghislain bei Alix Freundschaft und auch körperliche Nähe sucht. Diese Nähe hatte er seit frühster Kindheit nicht mehr und außer Alix und der Glasmalerfamilie kennt er in Paris niemanden. Alix ist ungefähr so alt wie er und nicht auf den Mund gefallen. Mich wunderte es aber schon, dass er Jehanne auf der Reise nach Paris recht viel Aufmerksamkeit schenkte und nach der Ankunft dort keinerlei Kontakt mehr zu ihr suchte.
Guedelon ist für den Herbst schon fest eingeplant. Danke für den Tipp.
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Zitat
Original von ottifanta
Ich glaube, dass Ghislain bei Alix Freundschaft und auch körperliche Nähe sucht. Diese Nähe hatte er seit frühster Kindheit nicht mehr und außer Alix und der Glasmalerfamilie kennt er in Paris niemanden.
Ich meine mich zu erinnern, dass geschildert wurde, dass er inzwischen einige Gaukler getroffen hat, die er schon seit seiner Kindheit trifft, zum Beispiel den kleinen Messerwerfer.