'Die Kapelle der Glasmaler' - Seiten 409 - 560

  • Zitat

    Original von Joschi


    Ein Schicksal was heute noch junge schwangere Mädchen erleben!


    Stimmt, an diese Schicksale musste ich auch denken und an eine Beschreibung rund um eine Kindsmörderin im 18. Jahrhundert (ich glaube, es war Susannah Margaretha Brandt, Gretchens Vorbild). Wie oft sieht man nur, was man sehen will.


    Liebe Grüße


    Kirsten

  • Dies war einer der beiden recht langen Abschnitte für die Leserunde und es passierte tatsächlich eine ganze Menge. Ich habe mir keine Notizen beim Lesen gemacht (wie bei den vorigen Abschnitten auch nicht), ich gebe einfach mal wieder, was mir an Gedanken noch in Erinnerung ist. Völlig unchronologisch.


    Die Szene, in der Edwige Clément die Meinung sagt und aus dem Haus stürmt, finde ich sehr stark. Die ganze Bitterkeit (von Edwige, aber auch der Situation - also zwei Ansätze) transportierst du hier sehr gut. Clément tat mir regelrecht leid. Insgesamt bildet er sich immer mehr zu meiner Lieblingsfigur heraus - Seite an Seite mit Jehanne.


    Nun endlich weiß Ghislain, woher er stammt. Schade, dass (noch?) so viele Erinnerungen verschüttet sind. Vor allem Raymond hätte es verdient, nicht vergessen zu sein. Vielleicht kommen ja mit der Zeit noch mehr Erinnerungen.


    Für mich gewöhnt er sich sehr schnell ein. Erst ist er Jongleur, wird verfolgt, fast umgebracht - und findet sich plötzlich als Erbe von Ländereien, mindestens einer Burg und zahlreicher Besitztümer wieder. Er geht damit recht unaufgeregt um - um es mal so zu sagen. Dafür, dass er zuvor so oft über das Wappen auf seinem Medaillon und seine Herkunft gegrübelt hat, hätte ich etwas mehr an Gedanken und Gefühlen erwartet, als er endlich Bescheid weiß.


    Die Mutter von Ghislain ist mir noch leicht suspekt. Sicher hat sie eine Menge mitgemacht und ist daher so hart geworden. Aber das ist der Wesenszug, der mir bei ihr am ehesten einfällt: Härte. Durchaus auch sich selbst gegenüber. Ihr Motto könnte lauten: Der Zweck heiligt die Mittel. Sicher hat sie Gutes für Ghislain im Sinn (zumindest aus ihrer Sicht), aber sicher ist auch, dass es auch und vor allem ihr selbst Gutes bringen soll. Zumindest schätze ich sie so ein.


    Lise ist mir witzigerweise erst annähernd sympathisch geworden, als sie schon dabei war, durchzudrehen. Was sagt das jetzt über mich aus? :gruebel :grin Na ja, als ihre Not immer größer wurde, hast du ihr Leiden sehr gut eingefangen. Da müsste man schon ein Holzklotz sein, wenn einem das nicht etwas nahegehen würde. Vorher habe ich sie zunächst als graue Maus (trotz mehrfach erwähnter Schönheit, graue Maus vom Typ her, charakterlich), dann als schon anstrengend naiv empfunden. Wobei Letzteres zum Beispiel natürlich prima passt. Kein Fehler in der Charakterentwicklung, sie war schlicht keine Identifikationsfigur oder auch nur sympathisch. In ihrer großen Not empfand ich dann Mitleid, wobei ich aber sagen muss, dass ich am Ende fast erleichtert war, als sie umkam. Einen anderen Weg hätte es wohl auch kaum geben können. Er erscheint mir nahezu zwingend und sehr schlüssig.


    Nun ist noch ein Fünftel des Buches "übrig". Zwar sind beide Handlungsstränge (Glasmalerfamilie, Ghislain; wobei es im Grunde ja noch den dritten Handlungsstrang um den Baumeister gibt) sehr interessant, aber ich weiß noch nicht, was sie so zwingend miteinander verbindet, dass beide in einem Buch erzählt werden. Viel mehr als zwei flüchtige Begegnungen hat noch nicht stattgefunden, was die Verbindung angeht. Bis hierher hätte man zwei Bücher daraus machen können. Momentan scheint es sogar so, als hätten sich die Wege der Figuren noch weiter voneinander entfernt. Aber erst vor 20 Seiten oder so hat Ghislain durch eine kurze Begebenheit noch einmal an den Glasmaler und seine Familie gedacht (das erste Mal seit ewigen Zeiten, wenn nicht sogar überhaupt). Da wird sicher noch was kommen. Ich bin gespannt.


    :lesend

  • Zitat

    Original von katzano
    Lise ist mir witzigerweise erst annähernd sympathisch geworden, als sie schon dabei war, durchzudrehen. Was sagt das jetzt über mich aus? :gruebel :grin


    :lache



    Zitat

    Original von katzano
    Für mich gewöhnt er sich sehr schnell ein. Erst ist er Jongleur, wird verfolgt, fast umgebracht - und findet sich plötzlich als Erbe von Ländereien, mindestens einer Burg und zahlreicher Besitztümer wieder. Er geht damit recht unaufgeregt um - um es mal so zu sagen. Dafür, dass er zuvor so oft über das Wappen auf seinem Medaillon und seine Herkunft gegrübelt hat, hätte ich etwas mehr an Gedanken und Gefühlen erwartet, als er endlich Bescheid weiß.


    Ich würde sagen, Anpassung ist seine bisherige Überlebensstrategie. Sein zweites Bestreben war, seinen Platz in der Welt zu finden. Jetzt hat er ihn ...


    Liebe Grüße


    Kirsten

  • Zitat

    Original von Solas
    Ich würde sagen, Anpassung ist seine bisherige Überlebensstrategie. Sein zweites Bestreben war, seinen Platz in der Welt zu finden. Jetzt hat er ihn ...


    Ja, das passt auch. Mir ist beileibe nicht aufgestoßen, dass er sich gut anpasst. Ich hätte mir hier nur etwas mehr "Innensicht" gewünscht. Ein wenig Erstaunen über manche Dinge, vielleicht mal etwas Unsicherheit, die er nach außen aber nicht zeigt, Ehrgeiz, die neue Situation gut zu meistern, vielleicht Freude, Stolz, eventuell aber auch Wehmut, sowas eben. Ein kurzes Aufgreifen, dass die lange Suche nach seinen Wurzeln endlich ein Ende hat und wie er das Vorgefundene bewertet.


    Dass er die Situation annimmt und sich gut arrangiert passt zu ihm und seinem Charakter. Auch zu seinem Werdegang. So ganz fremd ist ihm ein solches Leben ja nicht, wenn er es bisher auch nur aus anderer Perspektive gesehen hat.


    Ich hoffe, es ist jetzt deutlicher, was ich meinte. Es passt alles. Im Grunde hätte ich mir nur ein paar wenige Sätze mehr gewünscht.

  • Das ist schon in Ordnung. Danke schön für Deine Antwort. :-) Das Dir hier etwas gefehlt hat, werde ich sicherlich im Kopf behalten, falls ich in einem Roman mal an eine ähnliche Stelle komme. Und dann wieder eine Entscheidung treffen.
    Übrigens hatte ich den Eindruck, dass Ghislain zu diesem Zeitpunkt noch keine Ahnung hat, wie er das Vorgefundene bewerten soll.


    Liebe Grüße


    Kirsten