Hanna Krall als Autorin:
Hanna Krall, 1937 in Warszawa (Warschau) geboren, studiert Journalistik an der Universität Warschau und beginnt 1955 in der Redaktion des „Zycie Warszawy“. 1966 wechselt sie zur Wochenzeitschrift „Polityka“, für die sie drei Jahre als Korrespondenten in der Sowjetunion tätig ist. Mit der Verhängung des Kriegsrechtes kündigt sie ihre Stelle bei der „Polityka“, publiziert fortan für die Solidarnosc-Zeitung „Gazeta Wyoborcza“ und lebt als freie Schriftstellerin in Warschau.
Quelle: Homepage über Deutsch-Polnische Geschichte
"Da ist kein Fluss mehr"
oder "Schließlich 'überrascht uns die Tragödie nicht, welches Ausmaß sie auch hat', den Leser aber gilt es immer von neuem zu überraschen."[*]
Hanna Krall ist Sammlerin.
Sie sammelt keine Münzen, sie sammelt keine Bücher, Auszeichnungen, Blumen oder Schmetterlinge. Sie sammelt Geschichten, Einzelschicksale, Familiengeschichten. Geschichten von Menschen, die den 2.Weltkrieg überlebt haben; von Menschen, die ihn nicht überstanden haben; von Menschen, die umgekommen sind. Von Menschen, die aufgaben, von Menschen, die es nicht taten.
“Erzählen Sie mir was“, bat ich. Jede Lesung beende ich so: „Erzählen mir eine Geschichte. Eine wahre… wichtige… eine fremde oder was über sich selbst.“[*]
Und die Menschen erzählen ihr Geschichten. Von der Großmutter, die den Zug ins ‚sichere‘ Russland verlässt, um drei Silberlöffel von zu Hause zu holen, die ihr die Mutter zur Aussteuer gab. Sie kam um.
Von einer Polin, die von 25 Juden in ihrem Keller versteckte, bis die Deutschen kamen, sie aufspürten und den Offizier, der sie liebte, zwangen sie zu erschießen.
Von der Großmutter Waleria, die noch dreißig Jahre nach dem Krieg auf ihre kleine Tochter wartet, fortgelaufen zu ihrem Liebsten ins Getto, umgekommen beim Warschauer Gettoaufstand.
Hanna Krall dokumentiert sachlich und nüchtern menschliches Grauen; sie kommentiert es nicht, sie reflektiert es nicht. Sie stellt ihre Figuren in den Vordergrund, hinterfragt nicht deren Handeln, nicht deren Verhaltensweisen. Sie lässt sie aufleben in kurzen, eher lapidar gehaltenen Sätzen. Ihr Stil ist steril, fernab davon emotionsgeladen oder auch nur gefühlsbetonend zu wirken.
Eine emotionale Leere findet man vor, eine nüchterne, direkte, unprätentiöse Sprache, die nichts verheimlicht, nichts verklärt, keinem Pathos aufkommen lässt.
Und doch setzt sie Lücken. Das eigentliche Geschehen, nämlich der Tod zahlreicher unschuldiger Menschen ist bei ihr präsent, findet aber niemals Eingang in die Geschichten. Der Tod wird nicht dargestellt in all seiner Traurigkeit, in all seiner Blutigkeit; er ist zwar immer wieder Leitmotiv, dennoch steht für die Autorin die Geschichte in ihrer Dramaturgie im Vordergrund. Der Tod wird nicht beschrieben, geht es doch vor allem darum, das Lebendige zu beschreiben. Und zwar in Form von Einzelpersonen, wie Dan Diner in einer Laudatio über ihr weiteres Werk „Dem Herrgott zuvorkommen“ positiv hervorhebt: In ihren “ Introspektionen in die Erinnerungen Zeugenschaft über das Vergangene ablegender Personen, weigert sich Hanna Krall, Kollektivepen zu spinnen“[1]
Ihr geht es nicht um DAS Leid vieler, sondern das Leid einzelner Menschen.
Und doch bleiben es nur Erfahrungssplitter. Es sind kurze Begebenheiten mit sehr blass anmutenden Figuren. Man verbringt mit den Geschichten nur sehr kurze Zeit; sie hastet geradezu in ihrer Erzählweise, will sie doch viele, und nicht nur eine Geschichte erzählen. In ihrem Denken wirkt, meines Erachtens, dabei ein Fehler mit: Sie möchte nicht über Kollektiverfahrungen sprechen, aber angesichts der Vielzahl an Geschichten, der Vielzahl an Familienverhältnissen, Familiennamen verliert man bald den Überblick und gestaltet in Gedanken genau das, was sie vermeiden wollte: Eine Geschichtensammlung über Menschen, denen es nicht vergönnt war, lange auf Erden zu leben; aifgrund von idelogischen oder 'rassischen' Gründen.
[*] Da ist kein Fluß mehr, von Hanna Krall, Zweite Auflage 1999, Verlag neue Kritik
[1] Laudatio von Dan Diner
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