Reihe 70 Dr. Beutin über Kurt Hiller am 4.6.08 in Laatzen-Gelidingen

  • Der Literaturhistoriker und Schriftsteller Dr. Wolfgang Beutin referierte am Mittwoch über den Schriftsteller Kurt Hiller und seine schlimmen Erfahrungen während der Nazizeit.


    Frau Zastrow aus Gleidingen hatte für ein angenehmes Ambiente und einen Imbiss gesorgt, so dass die knapp vierzig Besucher sehr aufmerksam und interessiert den Ausführungen des Tucholski-Preisträgers folgen konnten.


    Wolfgang Beutin hatte den 1955 aus dem England-Exil zurückgekehrten Kurt Hiller an der Universität Hamburg persönlich noch als Student und später als Dozent kennengelernt und wusste somit auch erster Hand die eine oder andere persönliche Begegnung mit ihm zu schildern. Besonders eindrucksvoll war eine Tonbandaufzeichnung aus dem Jahr 1964, in der Hiller selbst seine Misshandlungen in der Haft durch die Nazischergen schilderte.


    Nach dem Vortrag entwickelte sich, insbesondere durch die vielen Facetten der Person Kurt Hiller, der nur unter unglaublich glücklichen Umständen lebendig der Folterhaft entkam, eine angeregte Diskussionsrunde, die diese Veranstaltung der REIHE70 allmählich ausklingen ließ.


    Bericht: Ortsbürgermeister Andreas Neumann, Gleidingen :danke

  • Endlich ein wenig Zeit, diesen Bericht über den Vortrag noch ein wenig zu ergänzen.
    Dr. Beutin schilderte zunächst, wie die Diktatur zustande kam. Am 23.03.1933 wurde vom Deutschen Reichstag mit dem Ermächtigungsgesetz ("Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich") die gesamte Staatsgewalt an Adolf Hitler übertragen. Das Gesetz bildete bis Mai 1945 die rechtliche Grundlage der NS-Gesetzgebung. Die Folgen sind bekannt: Verbot der linken Parteien, Zerschlagung der Gewerkschaften, absolute Alleinherrschaft.
    Den 23.3.1933 nannte Kurt Hiller den "Tag der Schande".


    Kurz zuvor wurde das Erscheinen der linksliberalen Zeitschrift "Weltbühne" verboten.
    In der zuletzt erschienenen Ausgabe vom 7.3.1933 hatte Hiller (einer der Hauptautoren der Weltbühne) seinen Artikel "Heroismus und Pazifismus" publiziert. An jenem 7.3.1933 wurde Hillers Wohnung von den Nationalsozialisten verwüstet. Am 23. März wurde Hiller erstmals verhaftet.


    Im Juli 1933 wurde Hiller als "Schutzhäftling" im "Columbiahaus" interniert.
    Die Tonbandaufzeichnungen einer Lesung Kurt Hillers von 1964 folgte, in denen er die bestialischen Haft- und Foltererfahrungen beschrieb.


    Es war sehr still geworden im Vortragsaal - eine beklemmende Stille.


    Wie unerträglich es nach der Folter mit Peitschenhieben war, zwei Nächte lang mit Handschellen, die das Fleisch einschnitten, bewegungsunfähig gemacht worden zu sein, nicht schlafen zu können, haben die ZuhörerInnen erfahren.
    Der nachfolgende Link führt auf die Seiten der Hiller-Gesellschaft, auf denen die
    Haft-und Foltererfahrungen Hillers nachzulesen sind.


    Noch zwei Links zu Internetseiten, auf denen der ehemalige Berliner Polizeipräsident Klaus Hübner über die lange Zeit unbekannte Mordstätte "Columbiahaus" zu Wort kommt:
    1. Link
    [URL=http://www.tagesspiegel.de/berlin/;art270,2255181]2. Link[/URL]


    Nachdem die Lesung Hillers beendet war, berichtete Dr. Beutin noch über die Flucht Hillers nach Prag, über das weitere Erscheinen der "Weltbühne" dort und über Hillers Engagement, die kriminalistische Aufklärung der Ermordung Erich Mühsams der Öffentlichkeit bekannt zu machen.


    Kurt Hiller remigriete 1955 nach Hamburg, wo er 1972 starb.


    Anbei noch drei Fotos des Abends:
    1. Hörerschaft im Gemeindesaal der St. Gertrudenkirche, Mitte: Wolfgang Beutin
    2. v.l.n.r.: Thomas Prinz (Bürgermeister von Laatzen), Dr. Wolfgang Beutin,
    Andreas Neumann (Ortsbürgermeister von Laatzen-Gleidingen)
    3. auf Vorschlag von Wolfgang Beutin kam es zum Büchertausch. Ich bin jetzt stolze Besitzerin seiner kritischen Studie "Barlach oder der Zugang zum Unbewussten", erschienen im Königshausen & Neumann Verlag.


    Lieben Gruß,
    Corinna

  • Den Bandaufzeichnungen Hillers zuzuhören war wirklich sehr hart! Er erzählt von seine Haft und den an ihm begangenen Grausamkeiten in einem beinahe lockeren "Plauderton", man erwartet fast irgendeine Pointe, doch diese besteht nur aus weiteren Grausamkeiten! Dazusitzen und Hillers Worten zu lauschen erfüllte mich nicht nur mit ungeheurer Trauer und Hilflosigkeit, sondern auch mit eine ungeheuren Wut, und damit umzugehen war schwer, da ich diese Gefühle nirgendwohin "abfließen" lassen konnte. Und das kann ich heute noch nicht!