Ähhh, ich wollt jetzt eigentlich keine Rezi schreiben... sondern nur vermerken, dass ich mir das Buch vorgestern gekauft, und es auch schon ausgelesen hab... hab ich mal gesagt, ich lese keine historischen Homane? - vergesst das, denn wenn sie in etwa so sind, les ich sie dann doch...
Als ich vorgestern eigentlich meinen Gottestreiter von Sapkowski in der Paperback-Ausgabe suchte, und nicht fand, musste ich mich dringend darüber hinweg trösten, und fand da
das BUCH: Der Chirurg Napoleons
Zuerst dachte ich, he, ist das ein Krimi? Von wegen meiner sofortigen geistigen Verbindung: Napoleons Leberleiden, Tod, Autopsie, Mord... etc, - aber nein, es entpuppte sich als Lebens- und vor allem Arbeitsgeschichte des berühmten Chirurgen Jean-Dominique Larrey, der mir schon zuvor in der Medizingeschichte untergekommen war.
Warum ich Larrey kenne*, und was man über ihn wissen sollte: er war einer der berühmtesten Chirurgen seiner Zeit, und der erste Chirurg, der sich darüber getraut hat, im Feldlazarett eine Exartikulation an der Hüfte vorzunehmen, und das mitten auf Napoleons Afrika-Feldzug. Davor galten schwere Verletzungen am Oberschenkel im Hüftbereich zumeist als inoperabel und tödlich. Auch sein erster Patient hat nicht überlebt, aber nicht wegen der Amputation selbst, sondern wegen einer Seuche im Lazarett.
Das Buch beginnt - und endet auch - mit der Bestattung von Napoleons Leichnam in Paris. Dazwischen springt es in den einzelnen Kapiteln oft heftig zeitlich und räumlich, aber ich mag das in Büchern, denn das hält den Leser geistig und auch tatsächlich wach.
Ich hatte irgendwie das Gefühl, dass sein - zugegeben als Feldscherer von Napoleons Armee naturgemäß eher minimales - Privatleben nur sehr flüchtig geschildert wurde, das Buch erscheint eher wie ein Bericht seiner Arbeit als Wundarzt. Es geht - kunststück - die meisste Zeit um sein Soldatenleben, und seine Reisen im Heer. Für seine Krankengeschichten, bzw Operationsberichte, die seitenweise aufeinanderfolgen wie Perlen auf einer Schnur braucht man als Leser einen guten Magen und Ausdauer. Tipp: querlesen und hoffen, dass man danach nicht von mit Säbeln zerschlagenen Gesichtern, heraushängenden Innereien und zermatschten Körperteilen träumt, ist hier hilfreich.
Die Gewichtung ist eigentlich nicht verwunderlich, denn Larrey, der mit seiner 'fliegenden Ambulanz' und seinem Sanitätsdienst, der Verwundete aller Seiten behandelte, auch eine Art Vorläufer des Roten Kreuzes schuf, war ein beinahe besessener Arzt, und er und sein Team operierten etwa den oberen, komplizierten Fall binnen vier Minuten, und brachte es am Tag einer Schlacht vom Morgengrauen bis spät in die Nacht auf etwa 200 Amputationen, die maximal je drei Minuten dauerten, und 30-50 andere, kompliziertere Fälle.
Die am Cover versprochenen Intrigen der Salons von Paris und sein persönliches Drama/Trauma kommen angesichts der gewaltigen und auch lebenszeitaufwändigen Kriegsfahrten Napoleons eher etwas zu kurz, aber das ist - zumindest für mich - erträglich, und im Rahmen der zeitlichen Ereignisse verständlich. Fernbeziehungen funktionieren nun mal nicht gut, wenn die Post nur jeden zehnten Brief ans Ziel bringt.
EDIT: *sprunghaft wie ich bin, vergaß ich das warum: Anatomie für Archäologen: Wer vor 1780 ein Skelett findet, dem ein ganzer Haxen samt Oberschenkel fehlt, hat es mit einem gestörten Grab zu tun. Wer nach 1780 ein Skelett mit nur einem Haxen findet, steht möglicherweise vor dem Opfer einer Arztes, der sich nach Larrey versucht hat...
Den AUTOR, Johannes K. Soyener,
kennen bewanderte Eulen vom 'Meister des siebten Siegels', von 'Teeclipper' und der 'Venus des Velazquez', wie auch dem neuen 'Pharma Komplott'.
Er war Manager der Pharma-Industrie, beschäftigte sich nebenher mit Schiffahrts- und Seekriegsgeschichte der Neuzeit, und kam von dort auch auf die Medizingeschichte, und von dieser auf Larrey.