Ramiro Pinilla - Der Feigenbaum

  • Titel: Der Feigenbaum
    Originaltitel: La higuera
    Autor: Ramiro Pinilla
    Verlag: dtv premium
    Erschienen: Juni 2008
    Seitenzahl: 318
    ISBN-10: 342324660X
    ISBN-13: 978-3423246606
    Preis: 14.90 EUR


    Ramiro Pinilla wurde 1923 in Bilbao geboren und gehört zu den bedeutendsten baskischen Schriftstellern. 1971 verabschiedete er sich vom offiziellen spanischen Literaturbetrieb, hörte aber nie auf zu schreiben. 2004 trat er dann wieder in das literarische Rampenlicht. Für sein monumentales Familienepos „Verdes valles“ erhielt er 2005 den Premio de la Critica, die bedeutendste spanische Literaturauszeichnung. 2006 erhielt er den Premio Nacional de Narrativa. „Der Feigenbaum“ ist sein neuestes Buch.


    Es ist 1937, die Zeit des spanischen Bürgerkriegs. Francos Truppen stehen im Baskenland und die Anhänger der Republik sind ihrer Willkür und ihren Todeskommandos hilflos ausgeliefert. Und so werden auch Gabinos Vater, der Lehrer des Dorfes, und sein sechzehnjähriger Bruder Opfer einer Gruppe von Falangisten. Der Falangist Rogelio fesselt dem Vater und dem Bruder die Hände auf den Rücken. Während dieser ganzen Zeit schaut ihn der zehnjährige Gabino unentwegt an. Kein Muskel zuckt, kein Zwinkern ist in dem Blick des kleinen Jungen. Rogelio wird es immer unbehaglicher. Doch der Ehrenkodex der Falangisten verbietet es ein Kind zu töten. Vater und der sechzehnjährige Sohn werden dann in der Dunkelheit erschossen. Doch Rogelio findet keine Ruhe. Der Blick des zehnjährigen Gabino verfolgt ihn.


    Am nächsten Tag sucht Rogelio den Platz der Hinrichtung auf und findet dort nur einen in die Erde gesteckten Schössling vor. Er markiert offenbar das Grab der beiden ermordeten Dorfbewohner. Rogelio reißt die Pflanze heraus. Doch am nächsten Tag befindet sich wieder ein Schössling an genau derselben Stelle. Nun steht aber Gabino mit einer Gießkanne hinter dem Falangisten. Worte fallen nicht zwischen diesen beiden Menschen. Rogelio aber begreift, dass sein Leben nun untrennbar mit diesem Feigenbaum verbunden ist. So gießt er jede Nacht den Baum, schlägt dort sein Lager auf, unbeirrt vom Spott und Hohn seiner Kameraden und lebt dreißig Jahre als Eremit und verehrter Heiliger direkt neben diesem Baum, sehr zum Leidwesen einer vor Fäulnis zerfressenen spanischen Kirche.


    Es ist ein Buch über Schuld, Vergebung, aber in allererster Linie ein Buch um die Angst vor der Last der eigenen Schuld. Der Feigenbaum als Symbol für das Werden und Sterben, als Symbol des eigenen Lebens. Rogelio weiß, solange er diesen Baum bewacht und ihn pflegt, wird ihn Gabino verschonen, denn der Feigenbaum soll den Falangisten auch täglich zu jeder Stunde an die eigene Schuld erinnern und das ein Vergeben durch die Überlebenden nicht immer einfach zu haben ist, auch wenn die göttliche Vergebung vielleicht bereits erfolgt ist.


    Ramiro Pinilla hat ein beeindruckendes Buch geschrieben. Er schreibt ruhig, unaufgeregt und er lässt sich auch durch den Leser nicht antreiben. Geduldig wird die Geschichte erzählt, eine Geschichte die nicht für eine Zeitrafferschilderung geeignet ist. Mit einfachen Worten werden die Grausamkeiten des spanischen Bürgerkrieges beschrieben, die Verbrechen der Kirche dabei nicht ausgespart, trotzdem steht immer wieder das Leiden des Einzelnen im Vordergrund; niemand wird einfach nur zum Teil einer nicht näher bestimmbaren Masse. Das Deutschlandradio sprach „..von einer Perle der Weltliteratur…“; dieser Beurteilung kann man nur beipflichten.


    Hoffentlich bekommen wir hier bald mehr von Ramiro Pinilla zu lesen.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Zitat

    Original von Anton
    Hallo Voltaire!
    Der Roman erinnert in seiner Aufmachung des Covers und der Kurzbeschreibung des Themas etwas an "Die Stimmen des Flusses" von Jaume Cabre.
    Ich war davon sehr begeistert. Ist es mit diesem zu vergleichen?


    Den Roman "Die Stimmen des Flusses" von Jaume Cabre kenne ich leider nicht. :-(

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Die Wortverliebtheit, die spanische Schriftsteller an den Tag legen, ist in diesem Buch nicht zu finden. Sprachlich ist es zwar einfach gehalten, aber nichts desto trotz geht die Erzählung unter die Haut.


    Der Bürgerkrieg ist frisch zu Ende, doch unter Franco treiben die Falangisten nach wie vor ihr Unwesen, nämlich die Säuberung der politischen Gegner. Sie reisen hunderte von Menschen aus ihren Häusern und verschleppen sie um sie später an die Wand zu stellen oder auch gleich an Ort und Stelle zu exekutieren.


    Die Erzählung handelt von einem Falangisten, der diese Greueltaten als seine Pflicht sieht. Er ist überzeugt von seiner Aufgabe, bis er eines Tages auf einen kleinen Jungen trifft dessen Vater und älterer Bruder der Familie von seiner Gruppe entrissen und hingerichtet wird. Beim Anblick des kleinen Jungen und dessen Blicke gerät er in unerklärliche Emotionen. Er möchte sich nicht eingestehen, daß das was sie tun Unrechtens ist und doch lassen ihn die Blicke des kleinen Jungen nicht mehr los.
    Getrieben von panischer Angst, daß der kleine Junge einst mal ihm selbst an den Kragen als Rache gehen wird, sucht er die Stelle auf, wo sie den Vater und den älteren Bruder hingerichtet haben. Er kann sich selbst nicht erklären warum er das tut, aber gefangen in seiner Angst tut er es doch und riskiert so einiges.
    Diese eine Nacht verändert sein Leben.


    Eine Geschichte, die unter die Haut geht. Ich habe es in einem Rutsch durchgelesen.

  • Ein merkwürdiges und sehr gutes Buch. Anfangs kamen mir die Figuren sehr hölzern von. Richtig eingetaucht in den Roman bin ich erst durch die Geschichte Rogelios. Die Perspektive der Täter und die unterschiedliche Weise, wie sie mit ihren Taten umgegangen sind, fand ich besonders interessant und überzeigend.
    Im Übrigen ist ja die Frage, was mit den Gräbern der von den Falangisten ermordeten, geschehen soll, bis heute eine große Frage. Bis heute gibt es in Spanien genug, die dies verhindern wollen, damit an ihre Taten nichts erinnert. Ich denke, in diesem Zusammenhang muss man auch Pinillas Buch sehen.