Michael Schweßinger
In darkest Leipzig: Über die seltsamen Sitten und Gebräuche der Lindenauer
Klappentext
"Als ich 2004 für ein studienbegleitendes Praktikum nach Afrika aufbrach, vermutete ich noch, dass Fremdartigkeit und Exotik notgedrungen in anderen Kulturen beheimatet wären und ich mit jedem Flugkilometer diesem Phänomen näher kommen könnte. Doch nicht in der Weite jenes Kontinents sollte ich auf das Gesuchte treffen, sondern die Fremde wartete, nach meiner Rückkehr, mit bizarren Gesichtern und unbekannten Sitten, direkt vor meiner Wohnungstür. In Leipzig-Lindenau."
Meine Meinung
Als mir kürzlich dieses Buch in die Hände fiel, konnte ich es natürlich nicht liegenlassen, und heute nun ließ ich Spargel Spargel sein, und habe einige sehr vergnügliche Stunden im Garten verbracht.
Wo zum Teufel liegt Lindenau, mag man sich fragen und, vorallem, warum sollte jemand darüber ein Buch schreiben?
Nun, den Autor, studierender Ethnologe, hat es aus dem „alternativen“ Leipziger Süden nach Lindenau verschlagen, bis dahin No-go-area, und auch jetzt, wo er mittendrin lebt, bleiben die Lindenauer und ihre Rituale ihm fremd:
Lindenau ist absolut uncool, fast eine Reinkultur einer ganz spezifisch deutschen Subpopulation: dem Spießer. Dessen Rituale wollen erstmal durchschaut werden, und obwohl der Autor und seine Freundin sich alle Mühe geben, und sogar das Überreichen eines Willkommensgabe, wie bei einigen Naturvölkern üblich, in Erwägung ziehen, bleiben sie draußen und so bleibt nichts anderes übrig, als von der Dachterrasse aus das putzige treiben der Nachbarn zu beobachten.
Und was gibt es da nicht alles zu sehen: längst ausgerottet geglaubte Vokuhilas, vollbusige Blondinen, die ihren Ehemännern das Cabrio polieren, Faschos oder die „Straßenlindenauer“, die den Tag früh vor der Kaufhalle, an einen Verteilerkaste gelehnt, mit einer oder meist mehreren Flaschen Sternburg Export beginnen, die Gesichter verwittert wie die Fassaden.
Und auch die Wanderungen durch die Straßen fördern so manches absonderliche zu Tage: Verkäuferinnen, die alles daran zu setzen scheinen, sich Kunden möglichst vom Leib zu halten, verkommene Kneipen, in denen die Frage nach einem sauberen Bierglas gar nicht erst aufkommt und verfallene Häuserzeilen, die richtiggehend dazu einladen, hineinzugehen und melancholisch zu werden.
Dieses Buch ist politisch absolut unkorrekt, stellenweise deprimierend und wahnsinnig ungerecht.
Aber es ist auch zum Brüllen komisch, gut beobachtet und, man kann es nicht verleugnen, irgendwie auch wahr. Es zeigt Leipzig abseits von Boomtown und Medienstadt, wo es reich ist an Vergangenheit und arm an Zukunft.