Lesung Claudio Magris 29.+30.05.2008

  • Claudio Magris las im Spiegelzelt im Rahmen der Heidelberger Literaturtage am 29.08.08 aus seinem Roman Blindlings, seinem jüngsten Roman, der bei Hanser erschien. Die Veranstaltung eröffnete das Literaturfestival.


    Von der Seite der Heidelberger Literaturtage zitiert:
    Eine Veranstaltung in Zusammenarbeit mit dem Italienzentrum des Romanischen Seminars der Universität Heidelberg.
    Lesung in deutscher Sprache.


    Inhalt:
    „Man muss die Dinge ohne Unterlass erzählen, sonst vergisst man sie”, sagt Salvatore Cippico, der Held des Romans. Und so erzählt auch Claudio Magris: dicht, verschlungen, beinahe rauschhaft, Zeiten und Geschichten, Menschen und Mythen unentwegt ineinanderschwemmend.


    „Blindlings” orientiert sich an wahren Begebenheiten: In einer psychiatrischen Anstalt an der Peripherie von Triest erzählt Salvatore Cippico seine Lebensgeschichte, mit dem politischen Kampf in Australien, dem spanischen Bürgerkrieg, dem Überleben in Dachau und schließlich von seiner Deportation unter Tito auf die Todesinsel Goli Otoko. Salvatore Cippico hält sich für eine Art Reinkarnation des dänischen Seefahrers Jorgen Jorgensen, der von 1780 bis 1841 lebte. Die beiden Jahrhunderte verschmelzen miteinander, ebenso die beiden Protagonisten. Claudio Magris erzählt vom Untergang der Illusionen. „Ein großartiges Werk, das Weltgeschichte und private Geschichten in einem komplexen, poetischen Erzählstrom vermischt”, schreibt die Neue Zürcher Zeitung.


    Biographie:
    Claudio Magris, 1939 in Triest geboren, lehrt an der dortigen Universität deutsche Literatur. Als Autor, Übersetzer, Universitätsprofessor, Kolumnist und Philosoph zählt er zu den bedeutendsten Intellektuellen und Schriftstellern Italiens. Er ist Träger zahlreicher internationaler Auszeichnungen.




    Meine Eindrücke von der Lesung:
    Was ich bei den Heidellittagen so genial finde, ist, dass viele Veranstalter zusammenarbeiten und so dem Publikum eine Atmosphäre und einen kulturell-literarisch anspruchsvollen Rahmen bieten. Beteiligt sind:
    Kulturamt der Stadt Heidelberg
    Büchergilde Buch und Kultur GmbH
    Bureau de la Coopération Universitaire
    Deutsch-Amerikanisches Institut
    Karl Schmitt & Co
    Stadtbücherei Heidelberg
    Montpellier-Haus
    Theater und Philharmonisches Orchester der Stadt Heidelberg
    Verlag Das Wunderhorn GmbH
    Weiss'sche Universitätsbuchhandlung


    Diese Veranstalter haben links und rechts im Zelt ihre kleinen Abschnitte, in denen Informationsmaterial oder bei den beteiligten Buchhandlungen Bücher der geladenen Autoren erhältlich sind.


    Der Abend im 100jährigen Spiegelzelt war schwül und warm. So wurde schnell der Begriff vom Sauna-Lesen geboren.


    Nach einer anfänglichen, überraschenden Störung durch einen Protestanten gegen Magris, der auch Politiker ist und in seinen Büchern auch die Fragen von Landesgrenzen thematisierte, ging es los. Eine etwas langatmige, lapidare Einführung von dem, der Magris vorstellte, dann begann Claudio Magris mit der Vorstellung seines Buches Blindlings, in dem der Protagonist Salvadore als Insasse einer Irrenanstalt in Triest erzählt. Salvadore erzählt in verschiedenen Formen aus mehreren Perspektiven, es ist wie ein einstimmiger Chor. Imaginationen begleiten reale Geschehnisse. Salvadore spricht manchmal wie im Delirium. Eine schwierige Erzählhaltung, die der Autor gewählt hat.
    Wie er berichtete war eine lineare Erzählmethode bei diesem Stoff nicht möglich, obwohl er es versucht hat. Doch die Handlung war zu gebrochen und irrsinnig. Das musste seinen Ausdruck auch in der Form finden.
    Für meinen Geschmack musste Magris bei der Lesung oft zu viel erklären, da die Geschichte so komplex aufgebaut ist. Trotzdem waren die vorgelesenen Passagen gut gewählt.


    Der Italiener Claudio Magris las auf Deutsch. Nur eine kurze Passage von einer halben Seite las er am Schluss auf Italienisch.
    Magris äußerte sich auch über die Übersetzung. Er meinte, er hätte die italienische Ausgabe geschrieben. Das Deutsche Buch ist eine gemeinsame Arbeit zwischen ihm und der Übersetzerin gewesen. Mal war sie seine Komplizin, mal seine Rivalin, eine gelungene Zusammenarbeit. Schön, dass die Leistung der Übersetzung mal so positiv herausgestellt wurde, zumal bei einem so schwierigen Buch.


    Nach der Lesung gab es die Gelegenheit für Fragen aus dem Publikum. Überraschenderweise wurde Magris dabei zu anderen Autoren, Joseph Roth und der Triester Autor Italo Svevo befragt, worauf er eloquent Antworten gab. Abschließend wurde signiert.


    Am 30.05.08 wird es in der Universität Heidelberg (Hörsaal 10, 18 Uhr, 5 € Eintritt, Studenten frei) noch eine Podiumsdiskussion mit Claudio Magris geben. Thema: Literatur und Politik.


    Der Abend bot für mich eine interessante Buchvorstellung. Ich mochte schon Magris Roman „Ein anderes Meer“ sehr (Siehe Rezension) und werde mich in Zukunft noch mehr mit seinem Werk auseinander setzen.

  • Literatur und Politik /Letteratura e impegno politico


    In der Neuen Universität Heidelberg am 30.05.08
    Veranstalter: Italienzentrum der Universität Heidelberg


    Text zur Veranstaltung vom Instituto Italiona di Cultura:
    Fr. 30.05.2008, 18.00 - 20.00 Uhr, Romanisches Seminar: Tavola rotonda mit den Professoren Claudio Magris, il Wilhelm Kühlmann und Edgar Radtke


    Sind Schriftsteller in besonderer Weise zum politischen Engagement berufen? »Schriftsteller sind keineswegs eine privilegierte Gruppe, welche die Wirklichkeit besser versteht als andere«, sagt Claudio Magris, Literaturprofessor, Autor und Kolumnist des Corriere della sera. Das oftmals widersprüchliche Verhältnis zwischen Literatur und Politik, zwischen gesellschaftlicher Rolle und daraus entstehenden Pflichten, soll in Magris Vortrag und der anschließenden Gesprächsrunde mit den Heidelberger Professoren Wilhelm Kühlmann, Edgar Radtke und Christof Weiand eingehend diskutiert werden.



    Werbeplakat der Veranstaltung:
    http://www.uni-heidelberg.de/i…italienzentrum/magris.pdf


    Meine Eindrücke von der Veranstaltung:
    Nachdem der Autor am Donnerstag so gelungen die Heidelberger Literaturtage eröffnet hat, ist natürlich auch diese Podiumsdiskussion für mich von großem Interesse.
    Schwere Unwetter in der Region halten weder Publikum noch Autor ab, auch wenn der eine oder andere durchnässt ankommt.


    Das Thema Literatur und Politik soll aus drei Perspektiven betrachtet werden: Die italienische Perspektive, die der Germanisten und die journalistische Perspektive.


    Es stellen sich die Fragen:
    Verstehen Schriftsteller und Künstler die (politische) Welt besser als der Durchschnitt?
    Hilft ein politischer Diskurs dazu, die Welt besser zu verstehen?
    Wie ist es um die politische und engagierte Haltung in der Literatur bestellt?


    Eine Einführung zum Thema wird auf Italienisch abgehalten. Dazu wird für die Zuhörer eine deutsche Übersetzung ausgeteilt.


    Dann beginnt Claudio Magris einen langen Vortrag (in Deutsch) zum Thema, anschließend wird auf dem Podium diskutiert, zuletzt Fragen des Publikums beantwortet.


    Das Thema ist in letzter Zeit in der italienischen Presse intensiv behandelt worden. Auslöser sind Aussagen von wichtigen Autoren wie Doris Lessing und Orhan Pamuk, die befürchten dass „die Schönheit der Literatur zerstört werden könnte, wenn man sich für eine politische Sache einspannen lässt-“ Ein Roman soll kein politisches Manifest sein.
    Claudio Magris sieht das etwas anders. Er meint, es kommt auf die Art und Weise an.
    Engagierte Literatur kann den Opfern Hilfestellung geben, wenn die Schriftsteller moralische Wertung zu politischen Ungerechtigkeiten abgeben.


    Obwohl Magris weit ausholt und bei Platon beginnt, dann zahlreiche Autoren und ihr politisches Engagement im positiven wie negativen benennt, kommt erst spät zur aktuellen Situation der intellektuellen und der überwiegenden Menschen unter der Regierung Berlusconi, die momentan eher kultur- und kunstfeindlich eingestellt ist.


    Ansonsten betont auch Magris eine Skepsis, ein Gefühl der Entzauberung. Politische Einflussnahme zur Rettung der Welt. Kann das ein Schriftsteller leisten?
    Und doch, der Schriftsteller hat auch eine Verantwortung. Eine selbstgefällige Abkoppelung ist unverantwortlich.


    Mich überraschte anfangs die Thematik überhaupt. Politisches Engagement in der Literatur ist für mich die Regel. Wichtige Autoren sollten nicht schweigen, wenn politische Ungerechtigkeit widerfährt. Dazu müssen sie nicht notwendigerweise in den Wahlkampf gehen. Die moralische Überzeugung kann durch Literatur sehr gut vermittelt werden. Wenn sie fehlt, entsteht eine Lücke.


    Ich teile Magris Ansicht, dass der Schriftsteller die politischen Gegner erst verstehen sollte, bevor er sich äußert, da nur spöttisch zu regieren wirkungslos wird.
    Politisches Engagement als Verpflichtung für jeden Menschen, auch den Autoren, ist wünschenswert.
    Nicht umsonst zitiert Magris Brecht so wirkungsvoll: Ändere die Welt, sie braucht es!




    Passend zur Veranstaltung, ist vielleicht Claudio Magris Buch, das beim Carl Hanser-Verlag erschienen ist:
    Utopie und Entzauberung
    Geschichten, Hoffnungen und Illusionen der Moderne