Fragen an Tanya Carpenter

  • Toll Tanya - danke.
    Das Buch ist ja jetzt noch ziemlich umfangreich, aber bevor das Lektorat los gelegt hat, war es doppelt so dick, oder? ;-)
    Das war bestimmt eine Heidenarbeit, es in 5 Monaten zu kürzen.


    Die Szene mit Amir gefällt mir auch sehr gut. So, jetzt hab ich mich wieder in deine "Welt" eingestimmt und werde die "Tochter" weiterlesen, bis ich in die Arbeit muss.

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    "Es hat alles seine Stunde und ein jedes seine Zeit, denn wir gehören dem Jetzt und nicht der Ewigkeit."

  • Die Kindheitserinnerungen von Mel sind wunderschön.
    Bemerkenswert finde ich auch, dass Grany ihr einen zärtlichen Kuss gibt.

    "Das Schicksal macht Fehler. Eigentlich sogar ziemlich oft. Es kommt nur selten vor, dass jemand in der Lage ist, es auch zu bemerken."
    aus Eine Hexe mit Geschmack von A. Lee Martinez

  • Und nun noch die letzte Leseprobe aus der Urfassung. Der Anfang des Dialoges am Ende dieser Probe sollte euch bekannt vorkommen, denn der nachfolgende Wortewechsel zwischen Mel und Armand ist in einer anderen Szene später verwendet worden.
    Aber der Disput über die Mythologie verschiedener Kulturen und vor allem der Besuch im Restaurant und das nachfolgende Gedicht von Mussett fielen dem Lektoratsstift zum Opfer. Sehr zu meinem Bedauern, weil ich das Gedicht und seine Bedeutung in Bezug auf Armand sehr mochte (außerdem wär's mal ein französischer Dichter gewesen. *seufz*).
    Das Urscript war übrigens ein Drittel länger, aber etliche Sachen sind erst nach dem Lektorat dazu gekommen, so dass ich gut und gerne die Hälfte des Urscriptes streichen musste. Unter anderem auch eine sehr romantische Szene auf einer Insel im Meer, die ich in den nächsten Tagen nochmal raussuchen und posten werde.
    Viel Spaß!


    „Tut mir leid, Großmutter, aber ich habe nie behauptet, ein Naturtalent zu sein.“
    „Nein, natürlich nicht. Aber etwas mehr hätte ich schon erwartet.“
    Ich spürte ihre Enttäuschung und es tat mir leid. Aber was sollte ich denn machen? Ich war nicht zur Heilerin geboren, auch wenn mich die Heilkraft der Pflanzen und Edelsteine sehr interessierte. Aber ich hatte andere Pläne für mich. Auch wenn diese nicht gerade in Großmutters Konzept passen würden. Ich wollte nach Ägypten und an Ausgrabungen teilnehmen. Nur wie sollte ich ihr das sagen? Darüber dachte ich schon die ganze Zeit nach. Es zog mich hinaus in die Welt. Und zwar in die Welt der Vergangenheit. Ich wollte sie erkunden, ihr nahe sein, mich ihr anvertrauen. Das war mir während meines Studiums klar geworden. Alte Tempel, verschollene Zivilisationen, geheimnisvolle Höhlen, unentdeckte Welten. Die alten Ägypter faszinierten mich besonders. Aber auch die Azteken oder Inkas. Und wer wusste schon, wie viele hochentwickelte Kulturen vielleicht bisher noch unentdeckt geblieben waren. Auch der Legende von Atlantis wäre ich nur allzu gern etwas mehr auf den Grund gegangen. Ich hatte viel darüber gelesen und es kribbelte überall in mir, wenn ich an die Möglichkeiten dachte und an all die Geheimnisse, die nur darauf warteten, entdeckt zu werden. Aber Grandma kannte nur ein Ziel für mich. Ich sollte eine Hexe werden, wie sie. Sie würde enttäuscht sein, wenn ich ihr die Wahrheit über meine Zukunftspläne eröffnete. Deshalb schob ich es noch immer vor mir her.
    „Vielleicht gefallen dir ja Geschichten besser“, sagte Grandma über die Schulter. Klar, ich liebe Geschichten. „Hast du schon von Persephones Ausflug in die Unterwelt gehört?“
    Vage erinnerte ich mich an die Geschichte über die Entführung von Persephone durch Hades, den Gott der Unterwelt, und wie ihre Mutter Demeter sie verzweifelt gesucht hatte. Ich nickte zögernd. Und besiegelte damit mein Schicksal für den Rest des Tages. Großmutter hatte mindestens drei Dutzend Bücher, in denen verschiedene Abhandlungen zu diesem Mythos standen. Ich wurde dazu verdonnert, sie alle zu lesen und einen gemeinsamen Sinn zu finden, den ich ins reale Leben übertragen könnte. Das einzige, was mir den Nachmittag versüßte, war der Eistee mit Honig und Zitrone und ein paar Sandwichs. Als die Sonne unterging und ich meinen Platz auf der Veranda aufgab, hatte ich immer noch keine Verbindung zum weltlichen Leben gefunden. Egal, welche der Abhandlungen ich in Betracht zog.
    „Großmutter ich kann das nicht. Wozu soll das überhaupt gut sein?“
    „Red keinen Unsinn. Natürlich kannst du das. Du solltest alle Mythen ins reale Leben übertragen können. Dafür sind sie da. Um reale Abläufe für das Volk zu erklären, ohne wissenschaftliche Abhandlungen zu benutzen, die ohnehin niemand versteht. Sie sollen uns das näher bringen, was wir sonst nicht begreifen könnten.“
    Aber ich begriff gar nichts. Großmutter blieb unnachgiebig und so nahm ich die Bücher mit auf mein Zimmer und suchte weiter nach einem gemeinsamen Sinn, während Großmutter sich in ihre Hexenküche zurückzog.
    Zum X-tenmal blätterte ich nun die alten verstaubten Wälzer durch.
    „Das ist doch zum Verrücktwerden. Es sind Legenden“, tobte ich und schlug den Buchdeckel wütend zu.
    „Sie sollten nicht nur stur auswendig lernen. Das macht keinen Sinn. Sie sollten vielmehr die Mythologie verschiedener Kulturen studieren und sie miteinander vergleichen.“
    Ich erschrak fürchterlich, als Armands Stimme hinter meinem Rücken erklang.
    „Großmutter meint aber....“, begann ich zögernd nachdem ich wieder ruhiger wurde.
    „Was kümmert es mich, was Ihre Großmutter sagt?“ fragte er ironisch und antwortete selbst, bevor ich es konnte. „Richtig, meine Liebe, es kümmert mich nichts. Und Sie sollte es auch nicht kümmern. Sie haben doch ägyptische Mythologie studiert, nicht wahr?“
    „Ja richtig.“
    Er nahm im Schneidersitz neben mir Platz. Das sah seltsam aus, in dem schwarzen Umhang, aber es schien ihn nicht zu kümmern. Er stützte die Ellenbogen auf die Knie und legte die Fingerspitzen aneinander. Seine Miene war geduldig – fast wie die eines großen Lehrmeisters, wenn er einem jungen Novizen gegenübersitzt.
    „Nun, dann dürfte Ihnen die Ähnlichkeiten zwischen dem Kult von Demeter, Persephone und Hades und jenem von Isis, Osiris und Seth doch nicht entgangen sein“, sagte er.
    „Was für Ähnlichkeiten. Im einen Kult geht es um Mutter und Tochter und den Raub einer Jungfrau. In dem anderen um Mann und Frau und einen eifersüchtigen Liebhaber. Ich sehe da keine Gemeinsamkeit.“
    Außer vielleicht, dass es jeweils um Liebe geht, dachte ich noch bei mir.
    „Sie dürfen ja auch nicht die Geschichten direkt vergleichen“, tadelte mich Armand mit einem nachsichtigen Lächeln. „Was Sie vergleichen müssen, ist die Bedeutung, die diese Mythen und deren Kulte haben. Die sie für die Menschen jener Zeit hatten.“
    Ich blickte ihn immer noch verständnislos aber äußerst interessiert an.
    „Nun beide Kulte stehen für das Rad des Jahres“, erläuterte er mir.
    Er rückte näher zu mir und schob die Bücher energisch beiseite, die Großmutter mir über Demeter und Persephone gegeben hatte. Kleine Staubwölkchen stiegen dabei auf.
    „Sehen Sie, Persephone wird von Hades in die Unterwelt entführt, weil er sie haben will. Demeter sucht verzweifelt ihre Tochter. Als sie erfährt, das Hades sie geraubt hat, verlangt sie von Zeus, dass er Hades befiehlt, Persephone freizugeben. Doch Zeus hilft ihr nicht. Darüber ist sie ist so außer sich, dass sie, die Göttin über das Getreide, ihre Pflichten vergisst und so kein Korn wächst. Da nun das Volk Hunger leiden muss, greift Zeus doch ein. Er befielt Hades, Persephone freizugeben. Doch die hat sich inzwischen in den Herrn der Unterwelt verliebt und will bei ihm bleiben. Um allen Beteiligten – und Betroffenen – zu helfen, bestimmt Zeus nun, dass Persephone zwei Drittel des Jahres, nämlich die Zeit des Grünens, Blühens und Reifens, bei ihrer Mutter Demeter sein soll. Damit diese die Früchte des Feldes wachsen und reifen lässt. In der dunkeln Jahreszeit des Todes, also das letzte Drittel des vollen Jahres, soll Persephone bei ihrem Geliebten in der Unterwelt verweilen. Das beschreibt den Kreis des Jahres.“
    „Aha“, sagte ich unsicher. „So was ähnliches steht auch in Großmutters Büchern. Aber ich verstehe immer noch nicht, was das mit Osiris zu tun haben soll.“
    „Dann hören Sie gut zu. Isis und Osiris sind ein Paar. Und sie stehen für die Fruchtbarkeit, sowohl der Menschen und des Viehs, als auch der Früchte der Erde – sprich dem Getreide zum Beispiel. Seth, Osiris Bruder, missgönnt den beiden ihre Liebe. Er ist eifersüchtig und so verleitet er Osiris mit Hilfe einer List dazu, sich in eine Lade zu legen, die gerade eben Osiris Körpermaßen entspricht. Als Osiris sich hineinlegt, verschließt Seth die Lade und zerreißt sie in Tausend Stücke. Der Gott der Fruchtbarkeit ist tot, also ruht auch die Fruchtbarkeit der Erde, da Isis, die fruchtbare Erde, ohne den Samen ihres Liebsten, keine Frucht tragen kann. So wie auch die Erde selbst, ohne Samen keine Frucht bringt. Isis nun, sammelt alle Stücke ihres Geliebten wieder ein und fügt sie neu zusammen. Dann haucht sie ihm mit Hilfe von Amun-Re, der Sonne, die bekanntlich in der fruchtbaren Jahreszeit ebenfalls am stärksten ist, wieder neues Leben ein und so erwacht auch die Fruchtbarkeit der Erde zu neuem Leben. Und dieser Kreis wiederholt sich ebenfalls wieder und wieder. Die unfruchtbare Zeit des Jahres, ist jene, in denen Seth den Körper seines Bruders in Stücke schlägt und ihn so tötet. Die fruchtbare Zeit entspricht der, in welcher Isis den Körper des Liebsten wieder zu neuem Leben erweckt und mit ihm zusammen die Fruchtbarkeit sichert.“
    Ich war beeindruckt. Und ich vergaß für einen Moment Großmutters Lehren und ließ mich zu anderen Überlegungen hinreißen, die ich schon während meines Studiums öfter gehegt hatte. Nämlich, dass alle Religionen einen gemeinsamen Ursprung hatten, weshalb sie sich häufig ähnelten.
    „Das ist ja unglaublich. Das ist ein eindeutiger Hinweis darauf, dass die ursprünglichen Kulte alle miteinander verwandt sein könnten.“
    „Sie könnten nicht nur, Mel. Sie sind es“, versicherte mir Armand. Ich war fasziniert, verblüfft und erfreut zugleich. So machte es mir gleich viel mehr Spaß, diese alten Legenden zu studieren. Wenn ich eigene, neue Überlegungen mit einbringen konnte. Etwas, das ich mich bei Grandma seit Tagen nicht traute.
    „Woher wissen Sie das alles?“ fragte ich Armand.
    „Oh, ich hatte einen ausgezeichneten Lehrmeister“, meinte er leichthin.
    „Ihren Schöpfer?“ fragte ich und bereute beim Blick in seine Augen meine Frage sofort. Sein Blick wurde augenblicklich düster und verschlossen.
    „Nein. Von dem habe ich solche Dinge wahrlich nicht gelernt“, sagte er kühl. „Ich denke, für heute haben wir genug gelernt. Sie brauchen Ihren Schlaf. Und ich noch eine Mahlzeit.“
    Ich neigte beschämt den Kopf. Ich hatte ihn wirklich nicht verletzen wollen. Er wurde sofort wieder weich, als er sah, wie betroffen es mich machte etwas gesagt zu haben, was in ihm schmerzhafte Erinnerungen weckte.
    „Es ist nicht Ihre Schuld, mein Herz. Keine Sorge, ich komme morgen Nacht wieder.“
    Damit küsste er mich sanft auf den Mund bevor er ebenso schnell und lautlos verschwand, wie in jeder anderen Nacht zuvor.
    Nicht ohne Stolz erklärte ich Großmutter am nächsten Morgen, welche Verbindung ich zwischen dem Persephone-Mythos und dem Verlauf der Jahreszeiten sah. Sie war sehr zufrieden mit mir. Bis zu dem Punkt, an dem ich auf die Ähnlichkeit im Osiris-Kult hinwies.
    „Was soll der Unfug? Die Ägyptische Mythologie hat hiermit gar nichts zu tun. Wenn dir nicht reicht, was ich dich lehre, dann können wir das Lernpensum gerne noch erhöhen.“
    Mir blieb der Mund offen stehen. War es denn nicht gut, wenn man sein Wissen erweiterte? Das hatte sie doch immer gepredigt. Doch wenn das Wissen nicht von ihr stammte, war es offenbar nicht gut. Das widersprach völlig dem, was Großmutter mir früher einmal beigebracht hatte. Mit offenen Augen und Ohren durch die Welt gehen zu müssen, um überall zu lernen. Warum war es jetzt falsch?
    Sie blieb mir eine Antwort schuldig. Platzierte mich statt dessen wieder mit einem Haufen Bücher über magische Traditionen und magische Gesetze auf der Veranda. Ganz wichtig waren solche Gesetze wie ‚du sollst deinen magischen Lehrer ehren’, ‚du sollst einer älteren Hexe folgen’, ‚du sollst deinen magischen Führer nicht in Frage stellen’. Die einst so wichtigen Regeln, die besagen, dass man niemandem schaden soll und seine eigenen Wege der Göttin finden soll, wurden belanglos. Sie kam mir unheimlich vor, an diesem Tag, und so war ich dankbar, dass sie mich den größten Teil des Tages mir selbst überließ. Alles an ihr war so düster. Ihre Haltung, ihr Blick. Ihre Lippen waren verkniffen, wenn sie mich von drinnen beobachtete. Das fiel mir ein ums andere Mal auf. Doch gegen Abend machte sie das alles wieder wett und es war, als hätte ich mir die Verbitterung des Tages nur eingebildet.
    „So mein Schatz, ich glaube, du hast dir eine Pause verdient. Wie wäre es mit einem Abendessen in London?“
    Sie war bereits fertig angezogen als sie nach draußen kam. Perfekt für einen schicken Abend in der City. Gerade nahm sie den Autoschlüssel aus ihrer kleinen perlmuttbestickten Handtasche und schaute aufmunternd zu mir herüber.
    „Meinst du das ernst?“
    „Aber natürlich. Man kann doch nicht nur lernen. Wie willst du denn das alles in deinen Kopf kriegen, wenn du deinen grauen Zellen nicht auch mal eine Pause gönnst?“
    Sie lächelte mich an wie immer, und ich umarmte sie stürmisch, bevor ich an ihr vorbei schoss und mir in meinem Zimmer saubere Kleidung raussuchte. Als ich mir noch eben schnell durch die Haare fuhr, fiel mein Blick auf den kleinen Labradoritwürfel auf dem Frisiertisch. Ich steckte ihn kurzerhand in die Hosentasche. Gleich morgen würde ich mir einen kleinen Samtbeutel nähen, damit ich den Stein immer bei mir tragen konnte. Das hieß, wenn Grandma mir genug Zeit dafür ließ. Kaum zwanzig Minuten nachdem ich so ungestüm die Treppe hinaufgerannt war, saßen wir nebeneinander im Wagen und fuhren Richtung London.
    „Ich habe einen Tisch im Francine bestellt. Ein wundervolles französisches Restaurant.“
    Mhmmm. Französisch. Das hieß wundervollen Wein, köstliche Salate, wunderbare Fischgerichte und dieses sündhaft gute Brot mit gesalzener Butter, das vor jedem Essen gereicht wurde. Mir lief das Wasser im Mund zusammen.
    Wir brauchten lange, um einen Parkplatz in der Innenstadt zu bekommen. Es war Wochenende. Also war die Hölle los. Aber schließlich fand Grandma eine Parklücke, die groß genug für ihr kleines Auto war und zudem auch noch in erträglicher Entfernung vom Francine lag. Das Lokal war gut besucht. Aber wir hatte ja reserviert. Der Kellner brachte uns zu einem Tisch, etwas abseits. Wir hatten von dort einen guten Blick über das restliche Lokal, ohne uns selbst auf dem Präsentierteller zu fühlen. Es war ein kleines Restaurant, aber sehr exquisit eingerichtet. Mit vielen teuren Gemälden an den Wänden, verschnörkelten Tischen aus schwarzem Eisenguss mit Tischplatten aus Marmor. Und dazu die passenden Stühlen mit weichem roten Samtpolster. Außerdem ein sehr edler weicher Teppich in grau und beige unter unseren Füßen. Ich beneidete die Putzfrau nicht, die diesen Teppich jeden Tag wieder sauber machen musste, bevor die nächsten Gäste kamen. Das war vor allem in der kalten, nassen Jahreszeit sicher kein Zuckerschlecken. Alle Tische waren durch geschickt aufgestellte Pflanzen so abgeschirmt, dass man ein gewisses Maß an Intimsphäre hatte. Ich fühlte mich wohl und überließ es Grandma, für mich mitzubestellen. Sie kam öfter hierher. Ich dagegen war nur wenige Male hier gewesen und kannte mich auf der Speisekarte nicht so recht aus. Ein leichter Roséwein und eine Gemüsesuppe als Vorspeise. Danach Fisch nach Art des Hauses mit frischem Salat nach Jahreszeit. Der Kellner nahm die Bestellung auf und stellte uns ein Körbchen mit frischem Haselnussbrot und ein Tellerchen mit Butterflocken hin.

  • Gerade als ich mir eine Scheibe dick mit Butter bestrichen hatte und herzhaft hineinbeißen wollte, streifte mein Blick ein vertrautes Gesicht in einer Nische am anderen Ende des Raumes. Ich verschluckte mich und der Hustenreiz trieb mir die Tränen in die Augen.
    „Melissa, oh meine Göttin, was ist denn? Himmel, du erstickst ja.“ Großmutter kam eilig um den Tisch herum und klopfte mir ein paar Mal energisch auf den Rücken.
    „Ist....schon.....gut“, sagte ich und versuchte, wieder durchzuatmen.
    „Sicher?“ Sie blickte mich immer noch besorgt an.
    „Ja, ja, ist schon gut.“
    Ich senkte den Kopf in meine Serviette und schielte noch einmal zu dem Tisch hinüber. Äußerst darauf bedacht, dass Großmutter meinen Blick nicht bemerkte. Armand hob grüßend sein Glas in meine Richtung und lächelte. Ein dunkles, verheißungsvolles Lächeln. Und ich schaute schnell weg. Wie lange war er wohl schon hier? Suchte er hier nach einem Opfer oder hatte er auf mich gewartet?“
    „Ich bin hier, um zu speisen. Genau wie Sie, meine Verehrteste.“ Ich fing seine Gedanken mühelos auf und ein Beben lief durch meinen Körper. „Sicher kann ich meinen Besuch auf morgen Nacht verschieben. Sie werden wohl länger ausbleiben, nicht wahr?“ Fragend hob er eine Braue, als ich wieder zu ihm hinübersah.
    „Ja, vermutlich“, dachte ich und er bestätigte mit einem Nicken, dass er meine Antwort vernommen hatte. Dann verlor ich seine Aufmerksamkeit, denn eine junge Blondine kam an seinen Tisch. Ich hatte das zweite Gedeck zuvor gar nicht bemerkt. Er lächelte sie liebevoll an, aber ich sah das Glitzern in seinen Augen, das seinen Jagdtrieb verriet. Die Blonde schien davon nichts zu bemerken. Sah sie denn nicht, dass sein Essen kaum berührt war? Offenbar war das wohl eines der Klischees, die nicht nur auf Aberglauben beruhten. Ich würde ihn danach fragen, wenn er mich das nächste Mal besuchte.
    Wie lange sich die beiden wohl schon kannten? Sie ging so vertraut mit ihm um. Ich hatte immer gedacht, dass er seine Opfer sofort töten würde. Weil er ja stets davon sprach, noch auf die Jagd zu gehen. Aber andererseits, warum eigentlich? Es war immer auch Lust mit im Spiel, wie er mir in einem der wenigen kostbaren Augenblicke, in denen er auch mal etwas von sich preisgab, erzählt hatte. Und nicht jeder war darauf aus, direkt am ersten Abend im Bett zu landen. Also konnte es gut sein, dass er seinen Opfern Zeit gab, um ihn besser kennenzulernen. Schließlich war er ja durch und durch ein Gentleman. Ob diese Überlegung wohl auch auf mich zutraf? Wollte er mir auch nur Zeit lassen, bis der Moment gekommen war, die Jagd mit dem Schlagen der Beute zu krönen? Mir wurde schwindlig bei dem Gedanken daran, dass er vielleicht doch viel gefährlicher war, als ich mir in den letzten Wochen hatte eingestehen wollen.
    „Melissa? Deine Suppe?“
    „Was?“
    Großmutter deutete mit ihrem Löffel auf den Teller, der vor mir stand.
    „Deine Suppe wird kalt.“
    „Oh!“
    Ich nahm mechanisch einen Löffel voll und steckte ihn in meinen Mund. Aus den Augenwinkeln sah ich gerade noch, wie Armand der blonden Frau in einen Swinger-Mantel half, ihr galant den Arm bot und dann mit ihr gemeinsam das Lokal verließ. Doch beim Hinausgehen warf er mir noch einen sehr tiefen, sinnlichen Blick zu, in dem ein dämonisches Feuer glühte, das ich bereits auf meiner Haut spüren konnte. Es schien ein Versprechen darin zu liegen schien, das ich gar nicht haben wollte. Und doch konnte ich meinen Blick nicht abwenden, bis sich schließlich die Glastür hinter ihm und seiner Begleiterin geschlossen hatte.
    Nachdem Armand gegangen war, konnte ich mich kaum noch auf mein Essen konzentrieren. Irgendwie schmeckte alles gleich. Das Brot, die Suppe, der Fisch, ja sogar das Mousse au chocolate, das wir uns als Nachtisch gönnten. Von dem Theaterstück, in das Grandma mich einlud, bekam ich nichts mit. Ich war froh, als wir wieder zuhause waren und fiel, kaum dass ich mich unter die Bettdecke gelegt hatte, in einen unruhigen Schlummer, der bis zum Morgen anhielt.


    Wer mit dem Feuer spielt


    Am nächsten Tag war Großmutter nachsichtiger mit mir. Sie war wieder ganz die Alte. Scherzte, neckte mich bei Fehlern, statt zu tadeln, redete wieder von den altbekannten Idealen, die ich seit jeher von ihr kannte. Die Übungen waren abwechslungsreich, wir probierten von allem möglichen etwas aus. Levitation, Telepathie, Kartenlegen, Pendeln, Kräuterkunde, Heilsteine, Ritualgesänge. Mein Geist wurde im Laufe des Tages wieder wacher und ich kam recht gut mit. Aber als es dunkel wurde, wurde ich wieder unruhig. Ich wollte wissen, was mit der Blonden passiert war. Ob Armand es mir erzählen würde.
    „Müde, mein Schatz?“ ich hatte wieder nicht aufgepasst.
    „Ja, Großmutter, ich glaube schon.“ Zur Unterstreichung gähnte ich herzhaft.
    „Dann machen wir Schluss für heute. Nimm ein heißes Bad mit Melisse und Baldrian, dann schläfst du gut.“
    Ich beherzigte den Rat und spürte, kaum dass ich mich in die warmen Fluten gleiten ließ, wie das heiße Wasser meine Muskeln, die ätherischen Öle meine Seele entspannten. Atmen, tief Atmen. Zur Ruhe kommen. Die Gedanken sortieren, die.....
    „Sie sind sehr freizügig, ma chere.“
    Ich schoss aus der Wanne hoch, dass das Wasser nur so spritzte. Nur um im nächsten Moment wieder bis zum Kinn darin zu versinken. Ein tiefes Dunkelrot überzog meine gesamte Haut.
    „Hat Ihre Mutter Ihnen denn gar keinen Anstand beigebracht? Drehen Sie sich gefälligst um.“
    Er tat es lächelnd und meinte nur, seine Mutter hätte es redlich versucht und es wäre ganz sicher nicht ihre Schuld, wenn sie so kläglich versagt hätte. Ich angelte nach meinem Handtuch und ließ ihn dabei nicht aus den Augen. Sobald ich mich damit einigermaßen züchtig bedeckt hatte, schritt ich hocherhobenen Hauptes an ihm vorbei in mein Schlafzimmer. Er folgte mir gelassen und immer noch amüsiert grinsend.
    „Wie war der Fisch?“ erkundigte er sich.
    „Ich weiß es nicht“, antwortete ich bissig.
    „Sie wissen es nicht? Haben Sie ihn nicht gegessen?“
    „Gegessen schon, aber nach Ihrem Auftauchen dort.....“
    „Oh Melissa, Sie schmeicheln mir ja schon wieder. Ich hätte gar nicht gedacht, dass ich Sie so aus der Fassung bringen kann.“
    Ich blieb abrupt stehen, immer noch den Rücken ihm zugewandt. Einen Augenblick presste ich die Lippen zusammen, um meinen aufwallenden Zorn zu dämpfen. Wie konnte man nur so arrogant sein.
    „Ach halten Sie doch den Mund“, entfuhr es mir.
    Ich ließ das Handtuch fallen – sollte er doch sehen, was er wollte – und zog mein Nachthemd über.
    „Wie geht es Ihrer Begleiterin?“ meine Stimme triefte förmlich vor Zynismus.
    „Oh, ich denke, ihr geht es ausgezeichnet, da wo sie jetzt ist. Sofern sie in ihrem Leben nicht allzu schwer gesündigt hat.“
    Ich fuhr zu ihm herum und blickte in glitzerndes Grau, kaum eine Handbreit von meinem Gesicht entfernt. Seine Augen waren wie Eis.
    „Aber, aber Melissa. Sie wissen doch, was ich bin. Da werden Sie doch wohl nicht böse auf mich sein, wenn ich tue, was ich tun muss.“
    Seine Stimme war Rauch. Er machte mich benommen.
    „Sie hat Ihnen vertraut“, kam es kläglich von mir.
    „Natürlich“, hauchte er und sein Atem streichelte meine Wange. Ich spürte, wie sich meine Härchen im Nacken aufstellten – durchaus nicht unangenehm. Aber ich kämpfte das Gefühl nieder. Denn ich war wütend; und ich hatte Angst.
    „Sie alle vertrauen mir, wenn der Todesbiss kommt. Und sie alle schwelgen in seliger Lust, während ich von ihnen trinke. Halten Sie mich jetzt für ein Monster, Melissa?“
    „Ich halte Sie für einen Mörder.“
    Sein Ausdruck wurde eisig.
    „Das bin ich nicht. Ich bin ein Raubtier, kein Mörder. Jeder Löwe tötet das Zebra, damit er zu fressen hat und nicht verhungert. Deshalb ist er noch lange kein Mörder.“
    „Das ist was anderes.“
    „Nein, Melissa, ist es nicht. Auch ich töte nur, um zu überleben.“
    „Aber Sie töten Menschen.“
    „Ach, darum geht es.“ Zynisch zog er eine Augenbraue hoch. „Ich dachte, der Glaube der Großen Mutter lehrt, dass alle Geschöpfe gleich sind. Und jetzt sagen Sie mir, dass der Mensch etwas besseres ist?“
    „Ja....nein....ach hören Sie doch auf.“
    Ich wendete mich ab und Armand hielt mich auch nicht fest. Aber er verwirrte mich und das war äußert ärgerlich.
    „Seien Sie nicht so selbstherrlich“, belehrte er mich. „Mensch oder Tier. Was macht das schon für einen Unterschied? Blut ist Blut. Aber von Blut allein leben wir nicht. Und die Lust können wir nur mit einem Menschen teilen.“
    Ich schwieg. Darüber wollte ich nicht reden. Die Blonde war also tot. Mehr hatte ich nicht wissen wollen. Eigentlich nicht mal das.
    „Sie war glücklich. Und sie spürte kaum einen Schmerz“, sagte er mit gleichmäßiger Stimme, die keine Gefühlsregung erkennen ließ.
    Das sollte mich wohl trösten. Aber wofür eigentlich? Ich hatte sie ja nicht einmal gekannt.
    „Wie lange waren Sie beide....zusammen?“ meine Stimme zitterte.
    „Etwa einen Monat“, antwortete er ganz offen.
    „So lange? Und sie hat nicht gewusst.....ich meine nie gemerkt, dass Sie.....“
    „Was? Ein Vampir bin? Melissa, ich pflege meine Opfer nur sehr selten davon in Kenntnis zu setzen, dass ich die Absicht habe, sie zu verspeisen.“
    Das brachte mich zum Schweigen. Ich hatte kein Interesse an irgendwelchen Details. Allein seine Wortwahl ekelte mich. Und doch ging mir die Frau nicht aus dem Kopf. Weil ich sie gesehen hatte. Weil sie nicht gesichtslos geblieben war, wie alle anderen, die Armand so offen zugab, getötet zu haben. Es hatte mich vorher nicht gestört, wenn er davon sprach, weil ich es mir nicht bildlich vorgestellt hatte. Jetzt tat ich das sehr wohl.
    „Was hat Ihre Großmutter denn zu Isis und Osiris gesagt?“ Damit war seine tote Gespielin für ihn erledigt. Und ich wagte nicht, auf dem Thema zu beharren.
    „Sie war nicht begeistert.“
    „Das dachte ich mir.“
    „Haben Sie mir deshalb die Geschichte erzählt.“
    Wieder lächelte er nachsichtig. Das Glitzern war aus seinen Augen verschwunden und seine Stimme war wieder klar und warm.
    „Nein, Melissa, wirklich nicht. Aber ich dachte mir, dass Ihre Großmutter keine Fremdeinflüsse in Ihrem Geist haben will. Er lässt sich dann nämlich nicht mehr so leicht formen.“
    „Warum sollte sie ihn formen wollen?“
    „Weil sie ganz bestimmte Ziele hat, die sie in Bezug auf Sie verfolgt. Aber das werden Sie ja noch merken. Und es sollte nichts mit unserer Freundschaft zu tun haben. Vorläufig jedenfalls nicht. Ich habe Ihnen übrigens etwas mitgebracht.“
    Er legte einen sauber gefalteten Bogen Papier vor mir hin. Ich nahm ihn auf und faltete ihn auseinander. Mein französisch war etwas eingerostet, aber ich konnte die Zeilen dennoch übersetzen, wenn auch etwas frei.


    Über eine Tote


    Sie war schön – wenn auch die Nacht
    In düsterer Kapelle schlummernd
    Gleich wo Michelangelo sein Lager aufgeschlagen
    So unbeweglich schön sein kann


    Sie war gut – wenn es genug
    Dass im Vorbeigehn nur die Hand sich öffnet
    Dass Gott dies nicht gesehen
    Und Gold auch ohne Mitleid Almosen ist


    Sie hat gedacht – wenn der vergeblich Laut
    Von einer sanften taktvoll Stimme
    Dem Klagen eines Baches gleich
    Aus dem Gedachten Glauben macht


    Sie hat gebetet – wenn man zwei schöne Augen
    Die mal dem Boden
    Mal dem Himmel nah
    Ein Gebet nun nennen mag


    Sie hat gelächelt – wenn die Blume
    Sich zaghaft nur entfaltet
    Dem frischen Morgenwinde der vorüberweht
    Und sie alsbald vergisst


    Sie hätt geweint – wenn ihre Hand
    Auf mein kaltes Herz gepresst
    Jemals in der menschlich irdenen Hülle
    Die Himmelsröte hätt gefühlt


    Sie hätt geliebt – wenn nicht ihr Stolz
    Gleich einer nutzlosen Kerze
    So nah am Sarge aufgeleuchtet
    Ihr taubes Herz hätt altern lassen


    Jetzt ist sie tot – und hat doch nichts gesehen
    Sie schien zu leben nur
    Aus ihren Händen fiel das Buch
    In dem sie nicht gelesen hat


    Die blutrote Schrift erschien mir ebenso grotesk, wie das Gedicht an sich, in Anbetracht der schönen Blonden von letzter Nacht.
    „Alles ist vergänglich, mein Herz. Musset wusste das.“
    „Musset?“
    „Alfred de Musset. Sie hatten mich doch nach französischen Dichtern gefragt. Ich liebe dieses Gedicht von ihm. Es kommt meinen Wesen so nahe.“
    Seine Stimme war schon wieder dunkel und rau und ich schluckte hart.
    „Aber Sie können doch unmöglich das, was sie tun, mit der poetischen Denkweise von jemandem wie Musset vergleichen.“
    „Warum nicht?“
    „Musset hat solch ein Gedicht sicher aus anderen Beweggründen verfasst.“
    Er lächelte nachsichtig.
    „So sicher, meine Liebe? Denken Sie nicht, dass er womöglich um meinesgleichen wusste und sich davon inspirieren ließ?“
    „Oh hören Sie doch auf“, brauste ich auf, aber mehr, um meine Angst zu verbergen, als aus wirklicher Entrüstung. „Sie berufen sich immer wieder auf die natürlichen Kreisläufe von Leben und Tod, denen sich jeder einmal ergeben muss. Nur um sich und Ihr Tun zu rechtfertigen. Dabei ist das hier doch etwas ganz anderes.“
    „Und was genau ist daran anders?“ Er lauerte. Auf einen Fehler, auf einen falschen Schritt von mir. Um mir dann vor Augen führen zu können, wie falsch ich lag.