China Mieville- Un Lon Dun

  • Klappentext (von der Verlagsseite):
    Die Mädchen Zanna und Deeba gelangen durch Magie nach UnLondon: in eine Wunderstadt, wo alle verlorenen und kaputten Dinge Londons enden. Hier laufen alte Regenschirme wie bedrohliche Spinnen umher, streifen gefährliche Giraffen durch die Straßen und wuchern dichte Dschungel gleich hinter den Eingangstüren von ganz normalen Häusern.
    UnLondon lebt in Angst. Ein finsteres Wesen bedroht die Stadt. Die Bewohner verlangen von den Mädchen, die Stadt zu retten, schließlich ist eine von ihnen die Auserwählte! Plötzlich lastet alle Verantwortung auf den beiden, und der dunkle Feind rückt immer näher ...


    Über den Autor (von der Verlagsseite):
    China Tom Miéville, geboren am 06. 09. 1972, ist Brite und schreibt fantastische Literatur. Er beschreibt seine Werke gern als "weird fiction" (in Anlehnung an die frühren Autoren des Pulp und Horror-Genres wie etwa H. P. Lovecraft). Er gehört zu einer Gruppe von Schriftstellern, die bewusst versuchen, das Fantasy-Genre weiterzuentwickeln, fort von der verbreiteten tolkienesken Fantasy. Miéville wurde in London geboren, wo er gegenwärtig auch lebt. (...)


    eigene Meinung:


    Die Idee eines "anderen" Londons ist nicht wirklich neu, s. Neil Gaiman (auf den auch in den Danksagungen verwiesen wird) oder Christoph Marzi. Da ich sowohl "Niemalsland" als auch die Geschichten um die Uralte Metropole kenne, würde ich sagen, daß Mieville diese Idee dennoch neu und eigenständig umgesetzt hat. Er bringt allerdings fast ein paar Ideen zu viel unter (damit erinnert er mich dann doch wieder ein bißchen an Christoph Marzi ;-)). An manchen Stellen hätte ich mir jedenfalls gewünscht etwas länger zu verweilen und genaueres zu erfahren.


    In den Danksagungen wird auch Walter Moers erwähnt und es scheint so als hätte Mieville sich an ihm ein Beispiel genommen, denn auch "Un Lon Dun" wurde vom Autor eigenhändig illustriert, allerdings ohne an die Klasse von Moers heranzukommen.


    Was für mich "Un Lon Dun" im Wesentlichen von anderen Büchern dieser Art unterscheidet, ist wie der Autor mit den Erwartungen der Leser bricht. Dieses Mal wird die fantasytypische Aufgabe eine Stadt/ein Land/ein Königreich vor einem bösen Feind zu retten nämlich ganz anders angegangen! An dieser Stelle möchte ich aber nicht zu viel verraten... Wen das Buch wirklich interessiert, der sollte im Übrigen auf die Buchbeschreibung bei amazon verzichten- sie spoilert bzw. stimmt so nicht ganz und nimmt damit unnötigerweise einiges an Lesespaß.


    Einen Kritikpunkt habe ich dann doch noch: gerade im ersten Drittel ging mir einiges zu schnell, so als hätte der Autor Szenen gekürzt, die notwendig sind um das Verhältnis einiger Personen zueinander besser verstehen zu können.


    Insgesamt hat mir das Buch aber gefallen, es war spannend und durch die kurzen Kapitel stellte sich bald ein "Nur noch ein Kapitel lesen"-Effekt ein.
    fazit: Wer bereits "Niemalsland" und die Geschichten um die Uralte Metropole mochte, der greift auch bei "Un Lon Dun" nicht daneben.

    Ich weiß nicht, was das sein mag, das ewige Leben.
    Aber dieses hier, das diesseitige, ist ein schlechter Scherz. (Voltaire)

  • Von Moers hat Miéville gelernt, dass parodistische Elemente eine (Fantasy-)Geschichte nicht zerstören oder Pratchett-hafter Lächerlichkeit preisgeben. Z.B. die Mr.-Speaker-Episode könnte so auch in Zamonien passiert sein.


    Ich finde das Buch toll und bin am Überlegen, ob ich es mir auf englische besorge, weil viele Sprach- und Wortwitze halt nur da richtig funktionieren: „un gun“, „un lun dun“, „un sun“ usw. Heißt der Unschirm auf englisch „unumbrella“? Und wie nennt man den Re-Regenschirm? Da bin ich arg neugierig ...



    Ach ja: der Gedanke, dass die "Un-Sonne" das ist, was übrigbleibt, wenn man die Sonne wegnimmt, ist grandios. Könnte vom alten Mathematiker Lewis Carroll sein, wirklich! :anbet

    Ein Buch zu öffnen, meint auch zu verreisen.
    Heißt mehr noch: sich auf Neuland vorzuwagen.
    Ob seine Worte brechen oder tragen,
    muss sich beim Lesen Satz für Satz erweisen.

    (Robert Gernhardt)

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  • Vielen Dank für die Rezension, ich habe den Titel gleich mal auf meine Wunschliste gesetzt.
    Sind denn Moers Parallelen vorhanden, oder kann man die beiden Autoren nicht so wirklich vergleichen?



    interessierte Grüße von Elbereth :wave

    “In my opinion, we don't devote nearly enough scientific research to finding a cure for jerks.”

    ― Bill Watterson

  • Elbereth :


    Es ist zwar schon wieder eine Weile her seit ich "Un Lon Dun" gelesen habe, aber ich kann mich an keine klaren Parallelen zu den Zamonien-Romanen erinnern. Hätte ich das mit Moers nicht in meiner eigenen Rezension gerade eben gelesen, hätte ich gar nicht mehr daran gedacht. *grins*

    Ich weiß nicht, was das sein mag, das ewige Leben.
    Aber dieses hier, das diesseitige, ist ein schlechter Scherz. (Voltaire)

  • Hallo Elbereth!


    Un Lon Dun liegt definitiv nicht in Zamonien, aber es ist sehr bunte Spektakelwelt mit skurrilen Gegenden und Gestalten, in der eine an sich konventionell aufgebaute Fantasy-Geschichte in origineller Weise abläuft.


    Insofern schon mit Moers verwandt.


    Natürlich ein anderer Stil und ein anderer Humor, wie z.B. die oben erwähnte "Un-Sonne".


    Ich - als Moers-Fan - hatte viel Spaß beim lesen (bin aber allerdings auch schon länger Mieville-Fan). :lache


    Ach ja: es fehlen die Mythenmetzschen Abschweifungen (mir nicht) - aber vielleicht sind die ja für Dich die conditio sine qua non ...


    :wave
    GleichSamm

    Ein Buch zu öffnen, meint auch zu verreisen.
    Heißt mehr noch: sich auf Neuland vorzuwagen.
    Ob seine Worte brechen oder tragen,
    muss sich beim Lesen Satz für Satz erweisen.

    (Robert Gernhardt)

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  • Ein sehr bemerkenswertes Buch. Obwohl die Handlung bestenfalls Durchschnitt ist. Das WAS ist es nicht, was mich fasziniert hat, sondern das WIE.


    Was Miéville aus diesem Grundkonzept macht, ist in besten Sinn des Wortes phantastisch. Bizarr wie Alice's Adventures und voll sprühendem Wortwitz und Einfällen, die einem Moers nicht nachstehen. Als Beispiele für genial-groteske Ideen nenne ich Krissel, den Milchkarton - noch nie wurde ein Ding derart liebenswert dargestellt. Ich habe tatsächlich Gefühle für dieses Stück Müll entwickelt...
    Oder die Schwaflinge von Mr. Speaker im Schwafelland, zudem alles vortrefflich und perfekt illustriert. Herrlich auch die Wortschöpfungen, -abwandlungen und -spiegelungen wie Netzminster Abbey, das UnLondon-Ei, Smeeth (dauerte eine Weile, ehe ich in dem Wort die Themse erkannte) oder die Formel E=cm² (Emission gleich Cash in Massen hoch ²), oder N'est-Paris-pas, PolizistSäusel und Kollege Grob.


    Aber auch die ernsten Untertöne kamen bei mir durchaus an, wie beispielsweise der Phlegma-Effekt. Nun weiß ich endlich, wie ich es nenne, wenn jemand, den ich lange nicht gesehen habe, in Vergessenheit gerät... Oder die Botschaft von der Umweltverschmutzung bzw der Geschäftemacherei damit.

    Kinder lieben zunächst ihre Eltern blind, später fangen sie an, diese zu beurteilen, manchmal verzeihen sie ihnen sogar. Oscar Wilde