'Anna Karenina' - Teil 1, Kap. 01 - 16

  • Sooo dann will ich mal beginnen. Ich muss zugeben, angesichts der Länge und Bekanntheit dieses Werks ziemlich großen Respekt zu haben, und bin auf die Leserunde deshalb sehr gespannt! :-]


    Den ersten Abschnitt hier konnte ich - zu meiner eigenen Überraschung - zügig lesen, die Sprache ist angenehm zu lesen und leicht zu verstehen. Um spätere Verwirrung zu vermeiden, habe ich mir allerdings direkt eine Personenliste angelegt, die könnte noch nützlich werden :grin


    Die bisher aufgetretenen Figuren sind schon recht lebendig vor meinem inneren Auge aufgetaucht, Tolstoi hat ein gutes Händchen für Beschreibungen. Besonders geschickt empfand ich die Beschreibungen von Konstantin Lewin und Graf Wronskij - ich zumindest habe mich eigentlich eher der Ansicht von Kittys Mutter angeschlossen, fand Lewin auch irgendwie seltsam und Wronskij ganz sympathisch. Doch das 16. Kapitel in Teil 1 belehrt mich da ja wohl eines besseren... :wow


    Ich bin bisher sehr angetan und werde auch gleich mal weiterlesen! :wave

  • Mich hätte jetzt erstmal etwas zu den unterschiedlichen Ausgaben gewusst- in meiner Übersetzung heist der Herr nur Wronski ohne j. Habt ihr Fußnoten oder Anmerkungen zu den französischen oder Lateinischen Abschnitten oder zu den Namen wie Herrn Wurst?

  • Gute Idee! Also ich habe ja die diogenes-Ausgabe - ohne Anmerkungen oder Fußnoten, lediglich ein Nachwort von Egon Friedell (entnommen aus Egon Friedel: "Abschaffung des Genies") ist zusätzlich enthalten.


    Vorne drin steht:
    "Die vorliegende Ausgabe von Anna Karenina folgt unverändert Band II und III der Gesamtausgabe des dichterischen Werkes von Leo Tolstoi, herausgegeben von Erich Boehme im Malik Verlag, Berlin 1928"

  • Was für ein ungewöhnlicher Anfang für ein Buch. Wir sind nicht dabei, als Stiwa seine Frau betrügt, auch nicht, als sie es ihm auf den Kopf zusagt, nein, wir steigen erst später in diese Geschichte ein und erleben den "moralischen Kater" mit. Prinzipiell kann Stiwa nichts schlechtes an seiner Handlung finden, er hat für alles eine Erklärung und ist sogar verwundert, nahm er doch an, seine Gattin wüsste längst über alles bescheid. Er scheint, trotz Bildung und hohen Standes doch ein recht einfältiger, wenn auch gutmütiger Mensch zu sein, der seine Meinung nach der Zeitung ausrichtet um sich das mühsame Selbstdenken zu ersparen.


    Auch der Charakter des Lewin ist interessant und eigenartig. Eine Art Landadliger, wenn ich das richtig verstanden habe, der für den Überfluss und die Genusssucht der Großstätter nur Verachtung übrig hat. Papierkram ist in seinen Augen keine Arbeit für einen Mann. Auch seine Standpunkte scheinen aber verrückbar, so entnimmt man zumindest Stiwas Feststellungen: "Du bist schon wieder in eine neue Phase eingetreten - die konservative!".


    Wronskij scheint dem Bild, dass Kittys Vater entworfen hat zu entsprechen. Ein junger Tunichtgut der nicht im Traum daran denkt der Dame, mit der er flirtet, nähere Avancen zu machen. Aber ob Lewin wirklich eine so viel bessere Wahl wäre? Natürlich meint er es ernst, aber sein kategorisches "abklappern" aller drei Töchter bis nur noch eine zum Heiraten übrig ist, in die er sich dann gewollt rettungslos verliebt, finde ich durchaus auch merkwürdig.


    Tolstoi zeigt dem Leser bisher sehr viele verschiedene Varianten der Liebe. Die des Ehemannes, der zwar seine Frau liebt und sie nicht verletzten möchte, sich aber nicht mehr körperlich zu ihr hingezogen fühlt. Die leidenschaftliche Liebe zur Geliebten die nichts fordert. Die Zuneigung zu einem Lieblingskind. Die Liebe zu einer Vorstellung von einer Familie und die damit verbundene übertragbare Liebe zu den drei Töchtern (wie es Lewin ergeht). Die schwärmerische Liebe einer jungen Frau und die brüderliche Liebe zu einem guten Freund den man nicht verletzen will und es doch tun muss.
    Und doch ist keine davon das, was ich als die "wahre Liebe" bezeichnen würde (und die es vielleicht in der Realität auch gar nicht gibt...?). Nichts desto trotz bisher ein sehr interessantes Psychogramm der aufgetauchten Figuren.


    Mir geht es wie milla, ich bin überracht von der gut verständlichen und einfach zu lesenden Sprache und fand auch das eine oder andere zum Schmunzeln, ebenso habe ich ein Personenverzeichnis angelegt, denn die russischen Namen sind schon ein Problem für sich (Stscherbazkij ... ). In Anbetracht der Länge des Werkes ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass die eigentliche Hauptperson Anna auf den ersten knapp 100 Seiten nur einmal kurz erwähnt wurde. Bin gespannt wann sie persönlich auftaucht und ob sie mir sympathisch ist oder nicht.

    „Furcht führt zu Wut, Wut führt zu Hass. Hass führt zu unsäglichem Leid.“

    - Meister Yoda

  • ich war auch ziemlich überrascht wie einfach es sich doch liest. war aber leider nicht so vorausschauend eine Personenliste anzufertigen, mal sehen wann sich das rächen wird und ich einen von euch um hilfe anbetteln muss :grin


    In Bezug auf Wronskij hab ich das Gefühl, dass er gar nicht weiß bzw sich gar nicht vorstellen kann, dass in der "modernen" Gesellschaft des 19.Jh von ihm erwartet wird, dass er Kitty einen Heiratsantrag macht. Er genießt einfach ihre Gesellschaft aber mehr Gedanken macht er sich diesbezüglich nicht.

  • Eine Personenliste gibt es bei Wikipedia (nehme ich als als Lesezeichen :lache ) Allerdings wird durch die Namen, wenn z.B. Frauen verheiratet werden im Laufe des Romans auch diese Namen genannt. Auf Wunsch kann ich es so edititiert reinstellen, dass nichts verraten wird.


    http://de.wikipedia.org/wiki/Anna_Karenina

  • Ich bin nun auch bereits mit dem 1. Abschnitt durch und muss sagen, für das das ich dachte es würde sehr schwer zu lesen werden bin ich erstaunt wie flüssig es sich eigentlich lesen läßt. Das war schon mal sehr positiv da ich dachte ich würde bei den ganzen Namen vielleicht nicht durchblicken, aber bisher stellte das kein Problem dar.


    Man steigt gleich direkt in eine Familiengeschichte ein ohne das davor mitzuerleben wie beispielsweise den Betrug um den sich ja erstmal alles dreht, oder auch wen Kitty bekommen sollte bzw. für wen sie sich entscheiden würde. Man erfährt auch gleich wie welche Person ist und kann sich dann direkt ein eigenes Bild dazu machen was ich persönlich ganz gut finde. Generell ist es nicht mit Friede-Freude-Eierkuchen geschrieben sondern wie bei der Liebe nun mal üblich werden auch sämtliche Probleme und die Verschiedenheit an Beziehungen beleuchtet.


    Bisher ein überraschend nettes Buch - ich hätte mit schwerer Kost gerechnet :lache

    Man kann im Leben auf vieles verzichten, aber nicht auf Katzen und Literatur! :-]


    :lesend Sophie Kinsella - Kein Kuss unter dieser Nummer

  • Zitat

    Original von Nomadenseelchen
    Eine Personenliste gibt es bei Wikipedia (nehme ich als als Lesezeichen :lache ) Allerdings wird durch die Namen, wenn z.B. Frauen verheiratet werden im Laufe des Romans auch diese Namen genannt. Auf Wunsch kann ich es so edititiert reinstellen, dass nichts verraten wird.


    http://de.wikipedia.org/wiki/Anna_Karenina


    Danke für den Link! Sehr hilfreich.


    Ich lese diese Ausgabe. :lesend

  • Zitat

    milla
    Den ersten Abschnitt hier konnte ich - zu meiner eigenen Überraschung - zügig lesen, die Sprache ist angenehm zu lesen und leicht zu verstehen.


    :write


    Mir kommt so vor, als würde Stiwa nicht bereuen, dass er seine Frau betrogen hat. Er liebt sie zwar, aber fühlt sich zu ihr nicht körperlich hingezogen. Dolly tut mir leid... Sie will ihn verlassen, aber kann sich dazu nicht überwinden.


    Wronskij find ich symphatisch. Er flirtet mit Kitty, möchte sie aber nicht heiraten und soweit ich verstanden habe, liebt er sie auch nicht. Auf Bällen tanzt er fast nur mit ihr und besucht sie sehr oft. Versteht er denn nicht, dass sie von ihm einen Heiratsantrag erwartet? :rolleyes (Wie alt ist er ungefähr?)

  • Zitat

    Original von Ketisa


    :write


    Mir kommt so vor, als würde Stiwa nicht bereuen, dass er seine Frau betrogen hat. Er liebt sie zwar, aber fühlt sich zu ihr nicht körperlich hingezogen. Dolly tut mir leid... Sie will ihn verlassen, aber kann sich dazu nicht überwinden.


    Ist doch heute immer noch so: Wenn die eigene Frau zu unakttartiv wird, werden gewisse Dienstleistungen in Anspruch genommen. Nach 5 Kindern sieht eine Frau nun Mal nicht mehr taufrisch aus. Zudem wird meines Wissens nicht verraten, ob es eine Liebes- oder Vernunftheirat war, was sicherlich auch eine Rolle spielen mag.

  • Zitat

    Original von Nomadenseelchen
    Zudem wird meines Wissens nicht verraten, ob es eine Liebes- oder Vernunftheirat war, was sicherlich auch eine Rolle spielen mag.


    Doch, das wird im nächsten oder übernächsten Abschnitt mal erwähnt.

    „Furcht führt zu Wut, Wut führt zu Hass. Hass führt zu unsäglichem Leid.“

    - Meister Yoda

  • IIch bin mit dem Abschnitt noch nicht ganz fertig, muss aber sagen, dass es sich leichter lesen lässt als ich erwartet habe. Die Ansichten von Stiwa finde ich herrlich. Zum Beispiel dieser Satz: " Und das fürchterlichste ist, dass ich alles allein verschuldet habe - ja, ich bin schuld - und doch bin ich unschuldig!"
    Nach dem Motto - ich, armer Mann, was kann ich den dafür, dass es so viele schöne Mädchen gibt. So eine alte verbrauchte Frau wie meine sollte doch Verständnis für mich haben. Die Angehörigen des Haushalts scheinen da ähnlich zu denken, denn sie stehen alle hinter Stiwa.
    Zum Alter:
    ich hatte mal eine Interpretation zu Puschkin gelesen und da stand, dass damals eine Frau mit 36 Jahren als alt galt. Wenn man bedenkt, wie früh die heirateten, waren die mit 36 auch schon Großmütter. Die Männer galten ja eher als reif als alt, aber mit 34 ist Stiwa nach damaliger Vorstellung sicher kein junger Mann mehr. In Kap. 3 wird auch von " reifen Jahren" gesprochen.
    In der Interpretation stand auch, dass die Menschen damals mit 36 Jahren oft keine Zähne mehr hatten und auch sonst vom Leben ziemlich "verbraucht" waren.

    "Das Schicksal macht Fehler. Eigentlich sogar ziemlich oft. Es kommt nur selten vor, dass jemand in der Lage ist, es auch zu bemerken."
    aus Eine Hexe mit Geschmack von A. Lee Martinez

  • Zitat

    Original von milla
    Ich würde Mitte/Ende, eher Ende 20 schätzen - allerdings war ich auch total baff, dass Stiwa erst 34 sein soll


    Ich hab auch gedacht, dass er 28/29 Jahre alt ist. Mich interessiert auch, ob er jünger als Anna ist. :gruebelIhr Sohn ist 8 Jahre alt, d.h. sie ist auch ca. 26/28...


    Zitat

    Original von Paradise Lost


    Doch, das wird im nächsten oder übernächsten Abschnitt mal erwähnt.


    :write

  • Zitat

    Original von beowulf
    Mich hätte jetzt erstmal etwas zu den unterschiedlichen Ausgaben gewusst- in meiner Übersetzung heist der Herr nur Wronski ohne j. Habt ihr Fußnoten oder Anmerkungen zu den französischen oder Lateinischen Abschnitten oder zu den Namen wie Herrn Wurst?


    Ich habe tatsächlich einen umfangreichen Anhang.


    Wurst, Knaust, Pripasow und Keyes sind frei erfundene Namen. Die sind als Parodie gedacht. Die Diskussion bezieht sich auf die damal modische Frage -
    Gibt es eine Grenze zwischen den psychischen und den physischen Erscheinungen des menschlichen Handelns und wo liegt sie?...

    "Das Schicksal macht Fehler. Eigentlich sogar ziemlich oft. Es kommt nur selten vor, dass jemand in der Lage ist, es auch zu bemerken."
    aus Eine Hexe mit Geschmack von A. Lee Martinez

  • Zitat

    Original von Ketisa
    Ich hab auch gedacht, dass er 28/29 Jahre alt ist. Mich interessiert auch, ob er jünger als Anna ist. :gruebelIhr Sohn ist 8 Jahre alt, d.h. sie ist auch ca. 26/28...


    Ich meine mich zu erinnern, dass Anna älter ist als Wronskij, aber ich habe auf Anhieb keine entsprechende Stelle mehr gefunden. Hm.

  • Wer heißt denn Herr Wurst? :gruebel Daran erinner ich mich gar nicht.


    In meiner Ausgabe sind die Worte mit Sternchen gekennzeichnet, die im Original Deutsch sind. Finde ich interessant, dass Dostojewksi ab und an deutsche Worte verwandt hat. Aber es sind ja auch französische Passagen dabei. War vermutlich damals Mode mit den Fremdworten :-) (ist es ja teilweise heute auch noch)


    Ich fühl mich ein wenig in die Handlung reingeschmissen. Wobei ich damit jetzt keine großen Schwierigektein habe, was mir aber nicht gefällt, sind die ständigen Personenwechsel. Erst aus der Sicht von Stiwa, dann Lewin, dann Wronski... Ich habs nicht so mit Perspektivwechseln. Besonders, weil die Personen zwar immer wieder Schnittpunkte hat, aber man sich jedes Mal wieder in eine völlig neue Geschichte einarbeiten muss. Und gerad, wenn man drin ist, verfolgt man wieder die Geschichte einer andern Person.


    Das Anna bisher noch gar nicht aufgetaucht ist, hat mich verwundert :gruebel Ich hatte sogar zwischenzeitlich vergessen, dass das Buch ja nach ihr benannt ist und dachte, ich lese die Geschichte von Stiwa und seiner Frau.

  • Der Perspektivenwechsel hat mich jetzt nicht gestört, allerdings irritierte mich schon, dass die Figuren teilweise unterschiedlich genannt werden - also z.B. Stipa, Stepan, Arkadjewitsch, Oblonskij. In Russland muss man ein gutes Namensgedächtnis haben, wie mir scheint, sonst ist man bald aufgeschmissen :grin

  • @ JASS


    Dostojewksi? ?(


    Ich habe gelesen, dass russische Aristokraten teilweise sehr schlecht russisch sprachen. Russisch war die Sprache des Volkes, der Ungebildeten.
    Die Sprache der Aristokratie war Französisch, auch in der Familie. Ihre Kinder wurden von Franzosen, Deutschen und Engländern erzogen.
    Herr Wurst kommt in Kap. 7 vor.


    milla
    In Russland ist es normal, dass ein Mensch verschieden gerufen wird.
    Z. B. werden Kinder mit einem oder mehreren Namenskürzel gerufen. Meine Bekannte ruft ihre Tochter Maria mal Marie mal Mascha mal Marja und wenn sie mit ihr schimpft - Maria Aleksandrovna.

    "Das Schicksal macht Fehler. Eigentlich sogar ziemlich oft. Es kommt nur selten vor, dass jemand in der Lage ist, es auch zu bemerken."
    aus Eine Hexe mit Geschmack von A. Lee Martinez