'Anna Karenina' - Teil 5, Kap. 01 - 17

  • Achje, kaum sind sie verheiratet kriselt es bei Lewin und Kitty auch schon. So dringlich wollte Lewin heiraten, wie sicher war er sich, in Kitty seine Seelenverwandte gefunden zu haben... und jetzt zweifelt er doch ein wenig an ihr. Oder besser: an sich selbst. Denn sie sind ja so eng miteinander verwachsen, dass sie zu einer Person geworden sind; und wenn Lewin Kitty kritisiert, kritisiert er sich selbst. Ein schöner Gedankengang, wie ich finde. Ich denke, dass ihre kleine Krise auch wieder vorbei gehen wird. Ja, ich bin eigentlich davon überzeugt. Aber beim Lesen dieses Abschnitts wurde mir wiedermal bewusst, wie seltsam unsere heutige Gesellschaft in dieser Hinsicht eigentlich ist. Damals haben sie geheiratet, oder wurden geheiratet, ohne sich wirklich zu kennen. Vor der Heirat kannte man sich höchstens oberflächlich, hat davor (sofern man eben zum ersten Mal verheiratet ist) keinerlei Erfahrung, wie es ist, mit dem Liebsten (und Liebster ja auch nur im besten Fall) zusammenzuleben, den Alltag zu teilen. Und dennoch haben sie sich irgendwie zusammengerauft, auch wenn die Ehe alles andere als glatt ging, Scheidung war nicht gerade populär und es wurde nur darauf zurückgeriffen, wenn es gar nicht anders ging. Meist gingen die Ehen also wie man es eben erwartet: ein leben lang.
    Und heute... hat man in unserer Gesellschaft zumindest so gut wie immer die Möglichkeit, und die wird ja auch meist wahrgenommen, zuerst mal eine ganze Weile ein Paar zu sein, zusammenzuziehen, sich eben im Alltag kennenzulernen... und man heiratet im Allgemeinen erst dann, wenn man sicher ist oder es zu sein glaubt, dass der Partner der richtige für einen ist. Man heiratet also jemandne, von dem man glaubt, er sei der Traumpartner schlechthin (im besten Fall wiederum) und dennoch haben nur so wenig Ehen auf Dauer Bestand... zumindest im Verhältnis zu damals. Damals musste man sich eben irgendwie zusammenraufen, heute versucht man's in den meisten Fällen gar nicht erst. Die Prioritäten haben sich nunmal sehr stark verschoben und eine Heirat hat heute längst nicht mehr den Stellenwert, die sie einmal gehabt hat und den meisten Menschen ist es ziemlich einerlei, ob ihr Gegenüber nun Ehebruch begangen hat und jetzt mit neuem Freund zusammenlebt (es sei denn, man ist selbst betroffen^^), aber verliert in der Gesellschaft seine Stellung - sofern sich das überhaupt noch mit früheren zeiten vergleichen lässt). In der Hinsicht haben wir's eigentlich schon gut^^


    Achja, zurück zum Thema, mir hat's der Maler Michailow angetan. Was sind Tolstois Charaktere aber auch menschlich! Kaum irgendwo in der Literatur findet man derart vielschichtige und... ja, eben menschliche Figuren. Und das ist, denk ich, der springende Punkt. Viele Autoren gestalten mit ihren Charakteren Modelle, die in ihren Büchern zwar gut funktionieren, aber eben nur einen Bruchteil an Menschlichkeit darstellen und sich in der realen Welt so gar nicht durchsetzen könnten ... weil es technisch gar nicht so leicht möglich ist, in eine Figur - gerade in eine Randfigur wie Michailow - soviel Charakter (nicht in wertendem Sinn zu verstehen) hineinzustecken. Randfiguren dienen meist dazu, die Handlung voranzutreiben. Bei Tolstoi zwar i.w.S. auch, aber sie sind dabei charakterlich präsent, stellen vielschichtige Figuren dar. Vielschichtiger, als Protagonisten in vielen, vielen anderen Büchern.
    Und das finde ich an Tolstoi einfach ausschlaggebend, es geht nicht direkt um die Handlung, es geht darum, wie die Charaktere in der Handlung agieren und reagieren, der Plot funktioniert dann auch von allein.

  • Zitat

    Original von melancholy
    Achja, zurück zum Thema, mir hat's der Maler Michailow angetan. Was sind Tolstois Charaktere aber auch menschlich! Kaum irgendwo in der Literatur findet man derart vielschichtige und... ja, eben menschliche Charakteren. Und das ist, denk ich, der springende Punkt. Viele Autoren gestalten mit ihren Charakteren Modelle, die in ihren Büchern zwar gut funktionieren, aber eben nur einen Bruchteil an Menschlichkeit darstellen und in sich der realen Welt so gar nicht durchsetzen könnten ... weil es technisch gar nicht so leicht möglich ist, in eine Figur - gerade in eine Randfigur wie Michailow - soviel Charakter (nicht in wertendem Sinn zu verstehen) hineinzustecken. Randfiguren dienen meist dazu, die Handlung voranzutreiben. Bei Tolstoi zwar i.w.S. auch, aber sie sind dabei charakterlich präsent, stellen vielschichtige Figuren dar. Vielschichtiger, als Protagonisten in vielen, vielen anderen Büchern.
    Und das finde ich an Tolstoi einfach ausschlaggebend, es geht nicht direkt um die Handlung, es geht darum, wie die Charaktere in der Handlung agieren und reagieren, der Plot funktioniert dann auch von allein.


    Das ist mir auch aufgefallen und mir geht's ebenso - etwas vergleichbares hab ich bisher noch nicht in der Literatur entdeckt, Tolstoi ist eben zu Recht so berühmt für seine Werke :anbet

  • Endlich haben sie es geschafft - Kitty und Lewin sind miteinander verheiratet. Die Hochzeit hat mir doch ganz gut gefallen - auch wenn das Verhalten von Kitty und Lewin tatsächlich total übertrieben dargestellt ist irgendwie :chen
    Ich muss sagen, dass mir Kitty dann nach der Hochzeit sehr, sehr leid getan hat. Lewin kommt wirklich kein bisschen mit dem Eheleben klar.
    Im Gegensatz dazu, wirkt Kitty immer erwachsener. Ich muss auch sagen, dass sie sogar erwachsener handelt als Lewin. Vor allem ihren Beschluss, Lewin zu seinem kranken Bruder zu begleiten ist sehr stark.
    Ich denke der weitere Verlauf der Beziehung von Kitty und Lewin kann noch ganz spannend werden...


    Zwischen Anna und Wronski sieht es wirklich nicht mehr so rosig aus wie in der Zeit, als deren Beziehung noch geheim war.
    Anna scheint tatsächlich in einer Scheinwelt zu leben. Dass sie die Gedanken an ihren Ehemann und ihren Sohn einfach so weg schiebt kann ja auf Dauer nicht gut gehen.
    Wronski wird mir von Kapitel zu Kapitel unsympathischer... Wahrscheinlich werde ich ihm nie etwas abgewinnen können :rolleyes

  • Lewin und Kitty haben endlich geheiratet, darüber habe ich mich sehr gefreut.


    Bei Wronskij und Anna frage ich mich, was Wronskij noch gegen seine Langeweile tun wird und ob das Ganze auf Dauer gut geht :gruebel

  • Für diesen Abschnitt habe ich lange gebraucht, ich habe einfach nicht genug Zeit zum Lesen. Aber ich gebe nicht auf!


    Über die ersten Alltagsversuche von Kitty und Ljewin musste ich schmunzeln und habe mich sehr an meine eigene Ehe denken müssen. Man muss sich eben zusammenraufen, Kompromisse eingehen, daran hat sich nicht viel geändert.


    @ melancholy: Die Charakteristik des Schreibstils hat du sehr treffend formuliert. Das empfinde ich genauso und macht das besondere Lesevergnügen aus.


    Kitty erweist sich als handfest beim Besuch des vom Tode gezeichneten Bruders. Das hat sie schon gezeigt als sie Dolly bei der Krankenpflege ihrer Kinder geholfen hat. Sie ist eben eher praktisch veranlagt, das ist mir sympathisch.


    Was mich verwundert oder was ich überlesen habe, wo der plötzliche Geldsegen bei Wronskij herkommt. :gruebel

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Zitat

    Original von Regenfisch
    ...
    Was mich verwundert oder was ich überlesen habe, wo der plötzliche Geldsegen bei Wronskij herkommt. :gruebel


    Darüber wurde an anderer Stelle schon mal gerätselt. Hat er Geld von seiner Mutter geliehen? Macht er einfach weiter Schulden, wie alle anderen auch?
    Ich neige dazu zu glauben, dass er bei seiner Verabschiedung aus dem aktiven Dienst im Regiment eine Abfindung oder Ähnliches erhalten hat. Genaueres erfährt man aber nicht, oder ich habe es auch überlesen ;-) .

  • Zitat

    Original von Regenfisch
    Für diesen Abschnitt habe ich lange gebraucht, ich habe einfach nicht genug Zeit zum Lesen. Aber ich gebe nicht auf!


    halte durch, Regenfisch :-) es lohnt sich wirklich :knuddel1


    Zitat

    Original von Clare


    Darüber wurde an anderer Stelle schon mal gerätselt. Hat er Geld von seiner Mutter geliehen? Macht er einfach weiter Schulden, wie alle anderen auch?
    Ich neige dazu zu glauben, dass er bei seiner Verabschiedung aus dem aktiven Dienst im Regiment eine Abfindung oder Ähnliches erhalten hat. Genaueres erfährt man aber nicht, oder ich habe es auch überlesen ;-) .


    Darüber habe ich mich auch sehr gewundert. Kurz vorher war noch die Rede von seinen Schulden und dass er kein Geld mehr hat, dann hört er auf, zu arbeiten und fährt erst einmal nach Italien :gruebel Dass er eine Abfindung bekommen hat, kann ich mir auch gut vorstellen.


    Seine Mutter war ja auch eigentlich dagegen, ihm zu helfen, solange er mit Anna zusammen ist

    :wave