'Anna Karenina' - Teil 7, Kap. 01 - 16

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    Original von Clare
    Nun ist es aber wirklich ziemlich deutlich: Anna versucht Lewin zu gefallen und Liebe in ihm zu wecken, ihn zu verwirren, und das alles einfach nur, um zu sehen, ob sie es noch kann und was Kitty an Lewin gefunden hat, nachdem sie erst in Wronskij verliebt gewesen war. Dass es so ist, können wir ihren Gedanken in Kapitel 12 entnehmen.


    Ich muss gestehen, ich war ueber diese Szene etwas schokiert. Als Anna anfing, mit Lewin zu flirten, konnte man regelrecht spueren, wie sein Herz ihr zuflog. Ich musste die ganze Zeit an die arme Kitty denken, die dann auch sofort die Veraenderung in Lewin spuerte, als er nach Hause kam. Wie konnte Anna das nur tun ?! Ausgerechnet mit dem Ehemann Kittys ? Und dann auch noch scheinheilig bei Lewin um Kittys Vergebung bitten ... Depressionen hin oder her, das war ein ganz schlechter Zug von Anna.


    Die Geburtsszene fand ich sehr schoen. Mich hat auch gewundert, dass Maenner damals schon bei Geburten dabei sein durften. Zumindest ist Lewin ja dauernd voellig kopflos ins Schlafzimmer rein und wieder raus. :lache Hat sich hier vielleicht Tolstoi an die Geburt seiner eigenen Kinder erinnert ? Das duerfte die Ausfuehrlichkeit erklaeren. :grin


    Ich bin wirklich gespannt, wie es nun mit Anna und Wronski weitergeht. Wird Karenin in die Scheidung einwilligen und Anna erlauben, ihren Sohn zu sehen ? Schade finde ich, dass wir so lange nichts mehr von Karenin gehoert haben. Ich hoffe, das wird sich in den naechsten Abschnitten aendern.

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    Original von -Christine-


    Ich muss gestehen, ich war ueber diese Szene etwas schokiert. Als Anna anfing, mit Lewin zu flirten, konnte man regelrecht spueren, wie sein Herz ihr zuflog. Ich musste die ganze Zeit an die arme Kitty denken, die dann auch sofort die Veraenderung in Lewin spuerte, als er nach Hause kam. Wie konnte Anna das nur tun ?! Ausgerechnet mit dem Ehemann Kittys ? Und dann auch noch scheinheilig bei Lewin um Kittys Vergebung bitten ... Depressionen hin oder her, das war ein ganz schlechter Zug von Anna.


    ...


    Mich hat es auch sehr gewundert, wie Anna sich hier verhält. Sie muss die Anerkennung und Bestätigung wirklich sehr nötig haben, wenn sie Lewin so anflirtet und um den Finger wickelt, ohne dass er sie als Mann wirklich interessiert. Ich denke nicht, dass das viel mit ihren Depressionen zu tun hatte. Sie war es seit frühester Jugend immer gewohnt, in der Gesellschaft zu verkehren und umschwärmt und begehrt zu sein. Die Isolation hat ihr das alles genommen und treibt sie dazu, Lewin zu ihrer Selbstbestätigung zu benutzen. Das ist vielleicht zu verstehen, aber nicht zu entschuldigen, finde ich.

  • Irgendwie kann ich schon verstehen, daß sie Wronski zeigen möchte, daß sie weiterhin auch für andere Männer begehrenswert ist. Wenn sie in dessen Beisein nun mit ledigen Männern flirtet, ist das ok. Aber das sie sich ausgerechnet Lewin dafür ausgesucht hat, fand ich schon ein starkes Stück.

  • Na ja, Flirten find ich an sich nicht weiter schlimm. Ganz im Gegenteil, es kann Spass machen und tut dem eigenen Selbstbewusstsein ganz gut. Auch - und gerade - verheiratete Leute koennen sowas hin und wieder gebrauchen.


    Solange es beim Flirten bleibt !!!


    Und letzteres ist hier bei Anna eher das Problem. Sie ist doch im Moment so labil, dass man bei ihr wirklich nicht sicher sein kann, dass es beim Flirten bleibt und nicht weiter gehen koennte.


    Was Lewin betrifft, so wird es sicherlich nicht das letzte Mal sein, dass jemand mit ihm flirtet. Dass ihm das erstmal gefaellt ist nur menschlich und normal. Er muss eben lernen damit umzugehen und seine Grenzen zu setzen.

    Gruss aus Calgary, Canada
    Beatrix


    "Well behaved women rarely make history" -- Laura Thatcher Ulrich

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    Original von Beatrix
    Na ja, Flirten find ich an sich nicht weiter schlimm. Ganz im Gegenteil, es kann Spass machen und tut dem eigenen Selbstbewusstsein ganz gut. Auch - und gerade - verheiratete Leute koennen sowas hin und wieder gebrauchen.


    Solange es beim Flirten bleibt !!!


    ....


    Naja, das sehe ich etwas anders. Flirten mit fremden Männern, gut und schön. Aber ich würde nie mit einem Mann flirten, wo ich die Frau kenne.
    Und man darf ja hier auch nicht die Vorgeschichte vergessen.


    Kitty ist verliebt in Wronski, der entscheidet sich für Anna. Kitty entscheidet sich dann für Lewin, und dann fängt Anna mit dem an zu flirten. Daher hätte sich Anna wenigstens bei Lewin zurückhalten können .. zumindest meiner Meinung nach.

    Kein Buch ist so schlecht, dass es nicht auf irgendeine Weise nütze.
    (Gaius Plinius Secundus d.Ä., röm. Schriftsteller)

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    Original von -Christine-
    Irgendwie kann ich schon verstehen, daß sie Wronski zeigen möchte, daß sie weiterhin auch für andere Männer begehrenswert ist. Wenn sie in dessen Beisein nun mit ledigen Männern flirtet, ist das ok. Aber das sie sich ausgerechnet Lewin dafür ausgesucht hat, fand ich schon ein starkes Stück.


    Das finde ich auch. Allerdings kann ich ihr Verhalten nachvollziehen, wenn man ihre psychische und gesellschaftliche Lage berücksichtigt.


    Was mich viel mehr geärgert hat in dieser Szene, ist, daß Lewin hier als Opfer dargestellt wird. Er ist zum einen tatsächlich betrunken, zum anderen berauscht von Annas Schönheit. Netter Versuch einer Ausrede, die ich aber nicht gelten lassen mag.


    Dieses ewige Spiel, Frauen seien seit Evas Sündenfall im Paradies die großen Verführerinnen und Männer immer die Opfer, ist mir zu klischeehaft.

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    Original von Saiya
    Was mich viel mehr geärgert hat in dieser Szene, ist, daß Lewin hier als Opfer dargestellt wird. Er ist zum einen tatsächlich betrunken, zum anderen berauscht von Annas Schönheit. Netter Versuch einer Ausrede, die ich aber nicht gelten lassen mag.


    Hmm, nein, als Opfer würde ich Lewin nicht sehen. Er wäre auch von Annas Anblick berauscht, wenn diese nicht mit ihm geflirtet hätte. Wenn man überhaupt von einem "Opfer" sprechen kann, dann ist das meiner Meinung nach Kitty.

  • Ich habe mich mißverständlich ausgedrückt, sorry! :wave


    Mit Opfer meine ich nicht, daß Lewin tatsächlich das Opfer dieser Situation ist, sondern es so dargestellst wird, als sei er vollkommen schuldlos an dieser Situation. Tolstoi stellt es so dar, daß Anna die Schuld daran trägt, daß er sich überhaupt von ihr hat "berauschen" lassen.

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    Original von Saiya
    Ich habe mich mißverständlich ausgedrückt, sorry! :wave


    Mit Opfer meine ich nicht, daß Lewin tatsächlich das Opfer dieser Situation ist, sondern es so dargestellst wird, als sei er vollkommen schuldlos an dieser Situation. Tolstoi stellt es so dar, daß Anna die Schuld daran trägt, daß er sich überhaupt von ihr hat "berauschen" lassen.


    Zumindest ist der Alkohol aber eine Erklärung, warum Lewin sich überhaupt auf einen Flirt einlässt. Im nüchternen Zustand ist er ja so hölzern, dass er vom Flirt vielleicht nicht einmal etwas gemerkt hätte.


    Wenn sich Tolstoi tatsächlich ein Stück weit in der Figur Lewins widergespiegelt sieht, dann ist es verständlich, dass er Lewin nicht im schlechtesten Licht dastehen lassen wollte.


    Allerdings muss ich sagen, dass ich von Anfang an nicht die größte Begeisterung für Lewin empfunden habe. Er ist zwar nett, aber irgendwie auch sonderbar. Ein komischer Kauz mit verschrobenen Ansichten.

  • Zitat

    Original von Clare
    Ich denke nicht, dass das viel mit ihren Depressionen zu tun hatte. Sie war es seit frühester Jugend immer gewohnt, in der Gesellschaft zu verkehren und umschwärmt und begehrt zu sein. Die Isolation hat ihr das alles genommen und treibt sie dazu, Lewin zu ihrer Selbstbestätigung zu benutzen. Das ist vielleicht zu verstehen, aber nicht zu entschuldigen, finde ich.


    Das hast du hervorragend analysiert, Clare. Genauso sehe ich das auch. Anna wird fast von Anfang an als kapriziöse und eigenwillige Frau geschildert, die keine Chance hat, in die Herzen der Leser zu gelangen. Aber ich muss Tolstois Einfühlungsvermögen bewundern, diese komplexe Figur so gut darzustellen. Auch wenn ich vieles, das Anna tut, nicht gutheißen kann, ist alles schlüssig. Keine der Handlungen und Entscheidungen, so falsch sie einem auch erscheinen mögen, sind unmöglich oder unbegründet.


    Das ist die wahre Leistung Tolstois. Auf der Rückseite meines Buches wird Daniel Kehlmann zitiert:


    Tolstoi ist einer der größten Psychologen; weil wir seine Figuren nicht wirklich verstehen, begreifen wir sie im Inneresten.


    Ich finde diese Aussage sehr zutreffend.

  • Zitat

    Original von Clare
    Ich habe mich ein wenig gewundert, dass die Geburt so ausführlich beschrieben wurde. Scheinbar waren die Erwähnung von Geburtswehen und den ganzen Umständen kein Tabu in einem Roman, während sich Tolstoi bei der Beschreibung dessen, was zwischen Anna und Wronskij passiert sehr nebulös ausgedrückt hat. :gruebel


    Die Ausführlichkeit bei der Beschreibung lag für mich weniger auf Seiten der Geburt, als viel mehr bei den Befindlichkeiten Lewins.


    Die "technischen" Aspekte einer Geburt bleiben gänzlich unerwähnt: Wann die Fruchtblase platzt, ob Herztöne abgehört werden, ob die Öffnung des Muttermundes kontrolliert wird, wer die Nabelschnur durchschneidet usw.


    Ich finde, die Geburt bleibt ebenso nebulös wie der ehebrecherische Beischlaf von Anna und Wronski.


    Ich konnte mir allerdings ein Augenrollen nicht verkneifen, dass sogar in dieser Situation Kitty ihren Mann beruhigen muss, statt umgekehrt. Was für ein Rehstreichler! :rolleyes


  • Ich hab bei Lesen festgestellt, dass ich die Protagonisten auch deshalb verstehen konnte, weil sie Tolstoi so beschrieb, dass ich mich auch selber in ihnen wieder erkennen konnte! Mir ging es zu der Zeit als ich das Buch las selber nicht sehr gut und so hab mich mehr als mir lieb war auch mit Anna identifizieren koennen. Aber auch mit Lewin :grin

    Gruss aus Calgary, Canada
    Beatrix


    "Well behaved women rarely make history" -- Laura Thatcher Ulrich

  • Zitat

    Original von Rosha
    Ich konnte mir allerdings ein Augenrollen nicht verkneifen, dass sogar in dieser Situation Kitty ihren Mann beruhigen muss, statt umgekehrt. Was für ein Rehstreichler! :rolleyes


    Ich bin da ganz bei dir, Rosha. Lewin hat meine Geduld auch so manches Mal arg strapaziert. :lache

  • Zitat

    Original von -Christine-
    Ich bin da ganz bei dir, Rosha. Lewin hat meine Geduld auch so manches Mal arg strapaziert. :lache


    Uff, das beruhigt mich. Bei der allgemeinen Begeisterung für Lewin kam ich mir schon vor wie eine Ketzerin... :lache

  • Auch dieser Abschnitt hat mir sehr gut gefallen.
    Während Kitty und Ljewin immer mehr zusammenwachsen, driften Anna und Wronski immer weiter auseinander.


    Zitat

    Original von Beatrix


    Ich kannte ja das Ende schon bevor ich als Teenager den ersten Film sah und dann erst Jahrzehnte spaeter das Buch las. Mich wuerd schon mal interessieren, ab wann du eine Ahnung hast, wie es enden koennte bzw. insbesondere wie Annas Entwicklung weiter gehen wird. Oder was deine Vermutungen zum jetzigen Zeitpunkt sind!


    Ich weiß immer noch nicht, wie das Buch ausgeht, aber nach dem letzten Abschnitt bin ich mir sicher, dass Anna das Buch nicht überleben wird. Das erste Mal hatte ich diese Gedanken als sie unbedingt Serjoscha noch einmal sehen wollte. Da dachte ich, dass sie sich umbringt. Mittlerweile denke ich, dass sie vielleicht durch den Morphiumkonsum stirbt. Vielleicht ein Unfall?
    Ich frage mich nur, was dann aus Anni wird? :gruebel


    Anna ist geltungssüchtig und ist sich dabei nicht zu schade, andreen Männern schöne Augen zu machen. Sucht spielt bei den Geschwistern Stiwa und Anna überhaupt eine große Rolle. Bei ihm ist es die Verschwendungssucht- auch eine Art Geltungsbedürfnis.


    Ljewin und die Geburt seines Sohnes- köstlich. :rofl
    Ich habe Tränen gelacht. Hat mir gut gefallen.


    Endspurt! :lesend

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Zitat

    Original von Regenfisch
    Auch dieser Abschnitt hat mir sehr gut gefallen.
    Während Kitty und Ljewin immer mehr zusammenwachsen, driften Anna und Wronski immer weiter auseinander.
    ...


    Die Liebe zwischen Kitty und Lewin ist eine sanfte, friedliche Liebe. Sie entwickelt sich mit der Zeit und reift, so wie es in den meisten Bezeihungen ist.
    Anna und Wronskij haben eine ganz andere Beziehung, die ich mit einer Kerze vergleichen würde, die man an beiden Enden angezündet hat. Pure Leidenschaft - kein Raum für Entwicklung, die auf Zukunft angelegt wäre.

  • Zitat

    Original von Zwergin


    Ich glaube, ich muss das Buch rausholen und die Stelle nochmal lesen. Beim ersten Lesen habe ich den ganzen Abschnitt mit der Geburt nur überflogen, mir war nicht danach.


    Darf man den jetzt gratulieren? :knuddel1 *neugierig frag*

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin