Nouvelles
Piper, 2007, gebundene Ausgabe, 121 Seiten
Originaltitel: C'est égal
Aus dem Französischen von Carina von Enzenberg
Kurzbeschreibung
Eine Frau erklärt dem eilig herbeigerufenen Arzt, daß sie nicht versteht, wie die Axt in den Schädel ihres Gatten kommen konnte. Die Axt muß neben dem Bett gelegen haben, und er ist hineingefallen. Sie selbst hat gut geschlafen und fühlte sich beim Aufwachen großartig. Als wäre sie eine Last losgeworden. So ist es nun mal, das Leben: gleichzeitig schrecklich und wunderbar. Und der großen Schriftstellerin Agota Kristof ist es gelungen, dies in Worte zu fassen, pointiert, schwarz und messerscharf. »In »Irgendwo« offenbart Agota Kristof wieder ihr ganzes Können. Der Humor ihrer Erzählungen ist so trocken wie das Holz im Sommer und so düster wie ein Regentag. Hier zeigt sich das Dasein in seinen unterschiedlichsten Formen, grausam, ernst und schön.« Journal du Dimanche
Über die Autorin
Agota Kristof, geboren 1935 in Csikvánd in Ungarn, verließ ihre Heimat während der Revolution 1956 und gelangte über Umwege nach Neuchâtel in die französischsprachige Schweiz, wo sie bis heute lebt. Als Arbeiterin in einer Uhrenfabrik tätig, erlernte sie die ihr bis dahin fremde Sprache und schrieb auf französisch ihre erfolgreichen Bücher, die in mehr als zwanzig Sprachen übersetzt wurden, am berühmtesten »Das große Heft«. Sie wurde unter anderem 2001 mit dem angesehenen Gottfried-Keller-Preis und 2006 für »Die Analphabetin« mit dem Preis der SWR-Bestenliste ausgezeichnet.
Meine Rezension:
Agota Kristof benutzt eine besondere, eigenständige Bildsprache ohne Schnörkel und Verzierung.
Brachial und grimmig eröffnete sie dieses Band von Kurzprosa und Skizzen mit einer ironischen Geschichte einer Frau, deren Mann durch eine Axt ums Leben kam. Und sie konnte so gut schlafen, wie seit Jahren nicht ohne sein Geschnarche und ohne seinen Geruch.
Agota Kristofs Weltsicht ist pessimistisch. Grausamkeiten und Verlust sind Selbstverständlich in den Geschichten. Der Mensch an sich ist schlecht und nutzt selbst diejenigen aus, die er liebt. In „Meine Schwester Line, mein Bruder Lamoé“ macht der Bruder seine geliebte Schwester zur Prostituierten und sie nimmt es fatalistisch hin.
In „Die Mutter“ entschuldigt die Mutter ihren Sohn der zum Zuhälter wurde: Er ist ein guter Junge. Ein netter Junge.
In einigen Geschichten nutzt Kristof oft die Technik, die Szenen einzufrieren und einzelne Abschnitte abzulösen. Eine Technik, die literarische Abstraktionen erlaubt.
Umgekehrt erwacht in Der Zug nach Norden eine Statur aus Stein zum Leben, um eine Verlorenheit auszudrücken und das sichere Gefühl, dass es zu spät ist.
Ihre Themen sind Verlassenheit, Isolation, das reicht von Fatalismus bis zur Verbitterung.
Es sind immer wieder einzelne Sätze mit messerscharfen Worten, die sich herauskristallisieren, deren Wirkung mich überrascht und wie ein Stich in den Magen trifft.
Manche Geschichten besitzen in ihrer Traumhaftigkeit einen phantastischen Symbolgehalt, z.B. Der Kanal. Andere, wie „Tod eines Arbeiters“ drücken Hoffnungslosigkeit aus.
Die Geschichte „Der Schriftsteller“ steckt voller Selbstironie.
In „Die Einladung“ und in „Das Produkt“ gibt es eine Abrechnung mit dem Familienleben, am Schluss steht die Resignation!
Manche Texte kommen nicht über Skizzen hinaus und wirken dann eher wie ein Gedicht, z.B. Der Einbrecher, Ich esse nicht mehr oder Das große Rad.
Obwohl nicht alle Geschichten gleich stark sind, beeindrucken mich doch alle in ihrer eigenen Art.
Agota Kristofs Prosa steckt bei aller Grausamkeit und Härte des Inhalts und Kühle der Sprache sowohl thematisch als auch stilistisch voller Kraft. Ich hoffe, sie wird noch einmal einen Roman schreiben, aber ich glaube es nicht. Egal, sagt schon der Originaltitel!