Brüder Presnjakow
Tötet den Schiedsrichter
Roman
Kiepenheuer & Witsch
2007
Seiten: 207
Kurzbeschreibung (von Amazon)
Mit Stücken wie »Fußbodenbelag« und »Terrorismus« feiern die Brüder Presnjakow internationale Erfolge und sind die weltweit meistgespielten russischen Theaterautoren. Die Verfilmung ihres Dramas »Opfer vom Dienst« wurde mit dem Großen Preis der Filmfestspiele Rom ausgezeichnet. »Tötet den Schiedsrichter« ist ihr erster Roman. Pepsi und Hot Dog jobben als Parkplatzwächter, Natascha betreibt die Agentur »Amour Transit« und vermittelt heiratswillige Frauen ins Ausland und der Erzähler ist Scharfschütze beim örtlichen Atomkraftwerk. Vier Loser, die nur an das Fernsehen und die Werbung glauben: »Wir leben in einer Comic-Welt. Und wer wird uns retten? Ein Mutant im Latexanzug?« Der Fußball vielleicht: Die russische Mannschaft steht im Finale der Europameisterschaften, und die vier sind vor dem geklauten Fernseher mit dabei. Russland hat die Chance auszugleichen, aber der Schiedsrichter gibt den entscheidenden Elfmeter nicht. Die Freunde beschließen, den »Unparteiischen« umzulegen und fliegen von ihrem letzten Geld nach Antalya, wo er Urlaub macht. Die Versuchungen der Minibar im »All-inclusive«-Hotel und die spontane Idee, in der Stripteasenummer der baltischen Tänzerin Ilse mitzuwirken, lenken sie eine Weile ab, doch schließlich nimmt ihr Plan Gestalt an: Das Attentat soll in der Sauna verübt werden, mit einem Bogen von der Schießbude und einer tödlichen Pfeilspitze aus Amalgam ... »Tötet den Schiedsrichter« ist eine durchgeknallte Komödie, ein moderner Schelmenroman, ein aberwitziger Trip durch eine globalisierte Welt, die verdammt nach B-Film aussieht.
Über die Autoren (von Amazon)
Oleg und Wladimir Presnjakow, 1969 und 1974 als Söhne russisch-iranischer Eltern in Jekaterinburg (Ural) geboren, sind die Begründer eines Studios für neues experimentelles Theater. Ihre Stücke sind sowohl Produkt der Popkultur als auch subtile Gesellschaftskritik und spiegeln zugleich die politische, mentale und soziale Verfassung nicht nur des heutigen Russland sondern der gesamten globalisierten Welt wider.
Meine Meinung
Zwei junge russische Brüder, die bis jetzt nur durch ihre unkonventionellen Theaterstücke auffielen haben nun auch einen wunderbaren kleinen Roman geschrieben. Quasi ein russischer Roadmovie, irgendwie.
Die Brüder Oleg und Wladimir Presnjakow, haben studiert, promoviert, ein kleines Theater gegründet und unterrichten heute an der Universität. Ihre Stücke werden europaweit aufgeführt.
Auch in „Tötet den Schiedsrichter“ bleiben die vier Chaoten, Pepsi, Hot Dog, Natascha und der namenlose Erzähler, nicht lange in der russischen Provinz, sondern machen sich nach dem missglückten Endspiel einer Fußball-EM auf den Weg in die Türkei um den dort urlaubenden Schiedsrichter zu töten. Denn er ist es, der die Niederlage der schwachen und von der Mafia bezahlten russischen Mannschaft zu verantworten hat.
Hätten die drei Männer ihre Natascha nicht, würden sie es wohl kaum bis zum heimischen Flughafen schaffen. Natascha vermittelt über das Internet russische Frauen an ausländische Männer und arbeitet eng mit dem FSB zusammen. Deshalb ist sie es auch, die über die jeweils dürftigen, aber ausreichenden Barschaften und über englische Sprachkenntnisse verfügt.
Mit analytischem Denken haben es die Männer jedenfalls nicht. Obwohl der Erzähler, der über eine blaue Aura verfügt und Scharfschütze in einem Atomkraftwerk ist, durchaus über Potential verfügt und seine Freunde bisweilen mit aller Kraft zum Denken animiert. Bisweilen. Und oft auch nur deshalb, damit er sie noch mehr verwirrt, als sie ohnehin schon sind. Aber dumm ist er jedenfalls nicht. Und es will hier auch niemand irgendwem etwas Böses. Auch wenn natürlich jeder der drei irgendwie an Natascha interessiert ist. Aber das gemeinsame Ziel die Exekution des glatzköpfigen Schiedsrichter schweißt zusammen.
Schweißtreibend ist auch der Aufenthalt in demselben fünf Sterne all-inclusive Hotel, in dem auch der Unparteiische residiert. So richtig verstehen die vier potentiellen Volkshelden das Prinzip dieser Art der Unterkunft nämlich nicht. Aber das stört zunächst wenig. Eher stört sie die vermeintlich ungleiche Behandlung der Gäste. Wenn ein Deutscher sich lautstark artikuliert, dann ist das nun mal so seine Art, sie als Russen gelten jedoch sofort als Barbaren. Aber Russen mag ihrer Meinung nach eh niemand, nicht mal beim Fußball.
So kritisch wie das Verhalten der deutschen Touristen sieht der Erzähler auch das eigene Land. Es wird vermutet, dass wegen eines Geheimprogramms der Stadtverwaltung Kondome durchstochen werden. Man hofft auf Bevölkerungswachstum. Er und seine Freunde haben sich auf Anraten der Eltern schon früh Auslandspässe ausstellen lassen, man weiß ja nicht, wie lange es die Obrigkeit noch zulässt. Würde sich allerdings ein Ausländer als Tourist in ihr Land verirren, wäre er unter Umständen sein Leib und Leben in Gefahr. Raubmord.
Es wird nicht wenig kritisiert in diesem Roman. Aber nie lamentiert. Auch wenn über das ganze russische Volk, über die Regierung, den Terrorismus und Vorgesetzte geschimpft und philosophiert wird. Der Humor ist staubtrocken und zarte Gemüter mögen politisch fast unkorrekte und klischeehafte Aussagen monieren. Dafür gibt es wirklich eine Menge wunderbare Dialoge, hochintelligent und unglaublich witzig, sogar auch etwas Herzenswärme, aber nie Kitsch. Jedenfalls eine junge russische Literatur, die weit über den eigenen Tellerrand hinaussieht und hoffentlich noch weitere Blüten treibt.