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Aus der Amazon.de-Redaktion
Beim Klagenfurter Bachmann-Wettbewerb 2005 lag er in der Publikumsgunst ganz vorn. Dennoch machte Am Seil, Thomas Langs “Kammerspiel auf der Tenne” (Jurymitglied Heinrich Detering), das Rennen. Nun winkt dem Publikumsliebling auch noch der renommierte Deutsche Buchpreis. Saša Stanišiæ? Wer ist das? Was ist passiert? Nicht viel. Ein junger Bosnier hat lediglich uns Deutschen auf deutsch ein kleines Meisterwerk vorgelegt. Vom heiter-sentimentalen bosnischen Familienidyll zum blutigen Massaker und Verlust der Heimat. Eine solche Erfahrung lässt sich offenbar nur träumend und fabulierend bewältigen. Saša Stanišiæ tat dies, in einer Sprache, in der sich Wehmut, Verlustschmerz, Erinnerungswonne und der Kinderblick auf den Wahnwitz einer tollwütigen Welt aufs Schönste vereinigen. Man kann sich gut und gerne in ihr verlieren.
Verantwortlich für Aleksandars (Sašas alter ego) Überlebenswerkzeuge war Opa Slavko, der kurz vor seinem Tod seinem Enkel Zauberhut und Stab vermacht hatte. Erfindung und Fantasie, so der Opa, seien die wertvollsten Gaben. „Merk dir das und denk dir die Welt schöner aus“. Und war gestorben, schnell wie Carl Lewis, der im Fernsehen gerade in Tokio den 100-Meter-Weltrekord brach. Was auf den ersten Blick lächerlich wirkt, waren simple aber mächtige Instrumente. Die Erinnerungssterne, mit denen Aleksandar fortan seinen Zauberhut beklebte, wandelten sich zu Schreckensbildern, als der 14-Jährige 1992 mitansehen musste, wie serbische Truppen in seine Heimatstadt Višegrad einfielen und sie dem Erdboden gleichmachten. Hier half auch kein Zauberstab.
Eine Restfamilie und ihr zukünftiger Autorensohn fand damals Zuflucht in Deutschland. Essen, dann Heidelberg. Welch anheimelnde Neue Heimat! Und doch wurde auch in der merkwürdigen Kältezone namens Deutschland Aleksandars Zauberhut mehr als nötig. Wegträumen. Bilder aufkleben. Nicht verdrängen, spielend verarbeiten. Aleksandars Briefe an die zurückgebliebene Freundin Asija zerreißen fast das Herz. Saša Stanišiæ studierte die deutsche Sprache. Wie sehr ihm dies gelang, liegt nun vor uns. Ein Kind als Spielball zwischen massakrierenden Horden, gefangen im Epizentrum der Kriegsgräuel und Unmenschlichkeit. Und die poetische Reise in eine Heimat die einst Jugoslawien hieß, zurück zur quirligen Tante Taifun, zurück an die Drina, den ewigen Schicksalsstrom, zurück in eine Zeit, als alles gut war. Was Aleksandars Zauberstab berührt, bleibt für immer am Leben. Und ist -- man darf es sagen --, eindringlicher als manche Kriegsberichterstattung.