Lied für eine dunkle Königin - Rosemary Sutcliff (ab ca. 14 J.)

  • Ich habe es nicht vergessen. Obwohl es mehr als fünfundzwanzig Sommer her ist, habe ich das Versprechen an Boudicca nicht vergessen, die Siege einer Königin in einem großen Lied zu besingen. (Seite 15)


    196 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag
    Originaltitel: Song For A Dark Queen
    Aus dem Englischen von Astrid von dem Borne
    Verlag: Verlag Freies Geistesleben, Stutgart, 1996
    ISBN-10: 3-7725-1191-0
    ISBN-13: 978-3-7725-1191-2



    Kurzinhalt / Klappentext
    In einem letzten verzweifelten Aufstand versuchten die keltischen Stämme Britanniens im ersten Jahrhundert nach Christus, ihre Freiheit gegen die Römer zu verteidigen. Den Aufstand führte eine Frau, die icenische Königin Boudicca. Wer war sie? Wie sah das Leben in einem keltischen Stamm aus, der nur Herrscherinnen kannte?
    Cadwan, der alte Harfenspieler am Hofe der Icener, ersinnt und singt das Heldenlied der Boudicca. Er kennt die stolze, eigenwillige Königin seit ihrer Geburt und hat sie liebgewonnen. Keiner könnte genauer und teilnahmsvoller aus ihrem Leben erzählen als er: von ihrer Geburt, vom Tod des Vaters und der Mutter, von Prasutagus, ihrem Gemahl, den sie zunächst energisch ablehnt, von der Geburt ihrer beiden Töchter Essylt und Nessan. Doch über die glücklichen Jahre senkt sich immer bedrohlicher der Schatten der Eroberer, der Römer. Als sie die Kelten schließlich ganz ihrer Freiheit berauben wollen, erhebt sich Boudicca und sammelt ein Zehntausende zählendes Herr um sich.
    Anhand historischer Quellen und Darstellungen entwirft Rosemary Sutcliff ein großes, eindrucksvolles Lebensbild, ein „Heldenlied“ für eine Königin aus dunkler Zeit.


    Die Altersangabe ab ca. 14 Jahre stammt vom Verlag. Ich würde es bedenkenlos meiner 12-jährigen Tochter zum Lesen geben. Allerdings geht die in jeder Hinsicht für 14 durch. ;-) (Will sagen, letztlich hängt es vom einzelnen Kind ab, ob ab 12 oder erst ab 14.)
    Bartimaeus schrieb an anderer Stelle, er habe mit der Übersetzerin schon mal schlechte Erfahrungen gemacht. Wie gut - oder schlecht - die Übersetzung ist, kann ich nicht beurteilen, da mir die englische Fassung nicht vorliegt. Sprachlich kam ich gut zurecht. Ich hatte regelrecht das Gefühl, in eine andere Zeit versetzt zu sein.



    Über die Autorin (Quelle: Verlag Freies Geistesleben / DTV)


    Rosemary Sutcliff wurde am 14. Dezember 1920 in England geboren und starb am 23. Juli 1992.
    Sie besuchte eine Kunstschule und arbeitete zunächst als Malerin, bis sie Mitte der vierziger Jahre zum Schreiben fand, wobei sie von Rudyard Kipling beeinflußt ist.
    Trotz ihrer starken Behinderung durch die Still’sche Krankheit, an der sie seit ihrem zweiten Lebensjahr litt, pflegte sie von jedem ihrer Romane wenigstens drei handgeschriebene Entwürfe anzufertigen, ehe sie mit ihrer Arbeit zufrieden war.
    Intensiv an Geschichte, besonders derjenigen Großbritanniens, interessiert und im Erzählen hoch begabt, hat sich Rosemary Sutcliff mit ihren Kinder- und Jugendbüchern zu historischen Themen weit über England hinaus einen Namen gemacht.
    Ihre Bücher sind in vielen Sprachen erschienen und mehrfach ausgezeichnet worden
    1975 erhielt sie als »geniale und kompromisslose Chronistin« den »Orden des British Empire« für ihre herausragenden Verdienste um die Jugendliteratur.


    Informationen im Internet
    - < Klick > das sagt Wikipedia
    - < Klick > hier der englische Wikipedia-Eintrag
    - < Klick > Die Autorenseite beim DTV
    - < Klick > ein Blog in englischer Sprache



    Zum historischen Hintergrund
    Boudicca war eine keltische Königin vom Stamm der Ikener und verheiratet mit Prosutagos. Rosemary Sutcliff geht, wie sie im Nachwort näher ausführt, davon aus, daß bei den Ikenern das Matriarchat (eher wohl Matrilinearität) galt. Das heißt, das Königtum wurde in der weiblichen Linie vererbt, der Mann war König auf Grund seiner Heirat mit der rechtmäßigen Königin. (Das habe ich allerdings anderweitig (noch?) nicht bestätigt gefunden.) Übergriffe der Römer gegen Boudicca und ihre Töchter lösten 60 n. Chr. den großen Aufstand, der von Kelten wie Römern mit großer Brutalität geführt wurde. Nachdem die Kelten zunächst siegreich waren, unterlagen sie - obwohl zahlenmäßig weit überlegen - den Römern, die durch ihre Disziplin und Ausrüstung die geringeren Mannschaftsstärken mehr als wett machten.


    Informationen im Internet
    Google wirf auf die Eingabe des Namens ca. 578.000 Ergebnisse aus. Ich beschränke mich auf ein paar wenige.
    - < Klick > das sagt Wikipedia
    - < Klick > Wikipedia über den Aufstand der Kelten gegen die Römer
    - < Klick > Eine Kurzbiographie der BBC (in englischer Sprache)
    - < Klick > und hier eine lustig gemachte Seite über Boudicca und den Aufstand (in englischer Sprache, eher für Kinder und Jugendliche, ursprünglich wohl als Begleitung zu einer Lektüre gedacht?)


    Zusätzlicher Hinweis
    Ich verlinke hier zu den Rezis der anderen Boudica-Bücher:
    - < Klick > „Die Hüterin von Avalon“, Marion Zimmer Bradley und Diana L. Paxson (im Wesentlichen historisch korrekt, aber dennoch eher ein Fantasy-Roman, da etliche Fantasy-Elemente enthalten sind)
    - < Klick > „Der Adler und der Rabe“ von Pauline Gedge
    - < Klick > „Boudica - Queen of the Iceni“ von Joseph E. Roesch (in englischer Sprache)
    Ich werde wohl noch mehr Bücher zum Thema lesen und jeweils die Links hier ergänzen.



    Meine Meinung


    Es klingt ein Lied herüber aus dunklen Tagen, das uns kündet von heldenhaften Taten und großen Leid, von abgrundtiefer Verzweiflung und großer Hoffnung. Dort hinten, im Apfelgarten, liegt Cadwen, der Harfner der Königin. Alt ist er geworden, alt und grau. Leisten wir ihm etwas Gesellschaft, wenn er aus längst vergangenen Tagen erzählt. Oder war alles erst gerade? Was bedeutet schon Zeit, wenn die Welt, in der man aufgewachsen ist, dem Untergang geweiht ist? Grausam mahlt der Mühlstein der Zeit, wie ein Sturmwind fegt die Veränderung durch das Land. Wer wird zermahlen, wer vom Sturm mitgenommen, wer von ihm erschlagen? So laßt uns dem letzten Lied des Harfners lauschen. Dem Lied von einer Königin und ihren großen Siegen, und letztlich ihrem Untergang. So wie er es einstens der siebenjährigen Boudicca versprochen hat.


    Und weil es eben schlechte und gute Jahre geben muß, gingen sie vorbei. (Seite 52) Viel zu kurz sind die guten Jahre, selbst wenn sie an Zahl mehr sind als die schlechten. Doch welch kurze Zeit reicht aus, die Ernte vieler guter Jahre zu vernichten? Und so nehmen auch die schlechten Jahre mehr Platz im Lied ein als die guten, denn was läßt sich über gute schon groß berichten?


    “Es ist besser, für dunkle Zeiten Pläne zu schmieden, solange es noch hell ist.“ (Seite 67) Keinen Tag zu spät hat Prasutagos, der König, nach dieser Erkenntnis gehandelt, kurz darauf wird es dunkel. Sehr dunkel, denn neben jedem Menschen schreitet von Geburt an der Tod einher. Und er verlangt nur sein Recht, Prasutagos’ Zeit ist abgelaufen. Die Römer jedoch erkennen weder eine rechtmäßige Königin an, noch das ordnungsgemäß gemäß dem römischen Recht verfaßte Testament des Prasutagos. Kaiser Nero braucht Geld für seine Spiele und Amphitheater. Großzügigerweise geht er davon aus, daß der verstorbene Ikenerkönig nur „versehentlich“ nicht Nero zum Alleinerben eingesetzt hat. Er - bzw. der Statthalter Roms - konfisziert den Besitz des verstorbenen Königs und vergreift sich an dem der Boudicca. Und an ihr selbst sowie ihren Töchtern. Das jedoch ist der Tropfen, der das Faß zum Überlaufen bringt, und der Aufstand bricht los. Unter der unangefochtenen Führung Boudiccas vereinen sich die Kelten, aus verfeindeten Stämmen werden Verbündete, und sie ziehen gemeinsam gegen die Besatzer. Camoludunum, Verulanium und Londinium werden eingenommen und dem Erdboden gleich gemacht, bevor es zur Entscheidungsschlacht kommt. Obwohl auf einen römischen Soldaten zehn keltische kommen, werden sie vernichtend geschlagen. Die Sache der Kelten ist verloren, Britannien für lange Zeit römisch.


    Was sich so nüchtern liest, hat die Autorin den Harfner Cadwan in der Ich-Form erzählen lassen. So erfahren wir auch nur, was er erlebt hat oder vom Hörensagen her kennt. Vielleicht etwas ungewohnt, in einer bisweilen irgendwie spröden, distanzierten Sprache, berichtet er von der Geburt bis zum Tode Boudiccas. Läßt weder die Greueltaten der Römer noch die der Kelten aus. Was uns erschaudern läßt, ist für ihn normal. Eine andere Weltsicht tritt zutage, eine Sicht, wie sie wohl die Zeitgenossen damals hatten. Er würde unsere Ablehnung der Opfer, unsere Verurteilung der Grausamkeiten an Zivilisten wohl nicht verstehen. Ich hatte über weite Strecken in der Tat das Gefühl, in einer Halle zu sitzen und dem Gesang des Barden zu den Klängen seiner Harfe zu lauschen, rundherum alles mucksmäuschenstill und gebannt an den Lippen des Sängers hängend, um ja kein Wort zu verpassen.


    Rund einhundertneunzig Seiten, in denen ich gefangen war in einer anderen Zeit, einer anderen Lebenseinstellung, und mich mitgefreut, aber vor allem mitgelitten habe mit den von Rom unterdrückten Kelten. Nachdem mir so praktisch vor Augen geführt wurde, womit und wodurch die Größe Roms erkauft wurde, hat selbige für mich einen schalen Beigeschmack bekommen. Doch die Geschichte schreiben in der Regel die Sieger, wer denkt da noch an die Verlierer.


    Ich habe das Buch in einem Tag regelrecht verschlungen, und noch immer dröhnt der Nachhall der Kampf- und Schmerzensschreie in meinem Kopf. Unterbrochen wird das Lied von Briefen eines gewissen Gneus Iulius Agricola an seine Mutter, in denen er über die Ereignisse aus Sicht eines Römers berichtet (was recht interessant ist). Ich gebe zu, parteiisch für die Kelten zu sein; es ist nur ein geringer Trost, daß auch die Herrschaft Roms einmal ihr Ende fand. Fast hätte ich gesagt, ihr verdientes Ende.


    So laßt uns noch eine Weile beim Harfer sitzen bleiben, ihm lauschen, während er sein letztes Lied erzählt. Denn was zählt noch Zeit, jetzt, da alles vorbei ist.


    Es ist lange her, daß ich Harfner bei der Königin war. Vielleicht es es nicht so lange her, ich weiß es nicht. Vor einer Weile hörte ich die Frauen bei der Totenklage.
    Nicht mehr.
    Nichts mehr.




    Kurzfassung:


    Gleich einem Heldenepos aus vergangener Zeit singt uns Rosemary Sutcliff ein Lied von der dunklen Königin der britannischen Kelten. Kraftvoll entreißt sie Boudicca und ihre Gefährten dem Dunkel der Geschichte und läßt uns ihr tragisches Ende miterleben.


    Edit. Links ergänzt

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

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