... Und ich befürchte, dass diese Keule, die gelegentlich auch mit einer regelrechten Selbstabgrenzung ("Wir Juden - ihr Deutschen!") verbunden ist, einen in Ansätzen vorhandenen Antisemitismus nur bekräftigt. Ein böses Eigentor also.
Kritik und das Wachhalten der Erinnerung ist extrem wichtig.
Als wir vor einiger Zeit mit dem Zug unterwegs waren, lernten wir Michael Grube kennen, einen deutschstämmigen Geiger jüdischen Glaubens, der in Ecuador lebt. Aus ihm sprach eine durch die Erziehung in einer vor dem Holocaust geflüchteten Familie geprägte tiefgehende Angst vor allem Deutschen. Als wir ausstiegen, empfahl er uns sogar, in die Schweiz zu emigrieren, ehe es hier wieder losginge.
Am selben Abend saßen wir unter Freunden und Bekannten spät zusammen, ziemlich angetüttert, als das Gespräch auf "die wahren Ursachen aller Mißstände kam" - und natürlich (Dan Brown! Dan Brown!) wurde auf die Freimaurer in Gegenerschaft zur Katholische Kirche spekuliert, bis jemand die magischen Lettern "ZJD" in den Raum warf -- und nach einer Atempause mit gegenseitigen Blickwechseln verfiel die Mehrheit der Anwesenden in anfangs vorsichtige, später immer offener werdende Verbalfeindseligkeiten.
Wir waren ziemlich erschüttert ...
Ich verstehe die Ängste der deutschen und in Deutschland lebenden Juden sehr gut -- muß aber hinzufügen, daß es nicht nur atavistische, irrationale Aversionen gegen "das Fremde" sind, die Antisemitismus schüren, sondern auch die gelegentlich sehr geschickte, medienwirksame Ausnutzung der Tatsache, daß die Bundesrepublik Deutschland die teilweise Rechtsnachfolge des Naziregimes angetreten hat (diese Rechtsnachfolge hat die Entschädigungsforderungen staatsrechtlich legitimiert).
Der Vorwurf, Kritik an der Politik des Staates Isreal sei immer und grundsätzlich antisemitisch motiviert, ist ebenso absurd, als würde ein US-Latino (mit US-Staatsbürgerschaft) einem weißen Amerikaner, der Spanien für das letzte Wahlergebnis kritisiert, deshalb Rassismus gegen alles "Spanische" (also auch "Lateinamerikanische") vorwerfen.
Handreichende Grüße
Iris