Aus der Amazon.de-Redaktion
Haben schöpferische Menschen das Recht, fragt sich die Autorin verzweifelt, all jene, die ihnen nahe stehen, zu vernichten und in die Verzweiflung zu treiben? Muss ihre Suche nach dem Absoluten mit solch unstillbarem Machtwillen einhergehen? Und schließlich -- ist ein Werk, wie grandios auch immer, tatsächlich ein so großes Opfer an Menschenleben wert?
Große Kunst verlangt bekanntlich Opfer. Ob dies allerdings die Anzahl an Personen meint, die im Umfeld der alles verschluckenden Lichtgestalt Picasso aus Mangel an Luft und Liebe eingingen, indem sie den Freitod wählten oder in die Schwermut flüchteten, ist fraglich. Marina Picasso, Enkelin von Olga Kokhlova, der ersten Frau des Jahrhundertmalers, bestürmen selbst als Erwachsene noch Angstattacken, wenn sie nur an die Besuche an der Hand des Vaters beim dämonischen Opa in dessen südfranzösischer Malerfestung La Californie denkt.
Schon Großmutter Olga hatte sich nach Picassos Liebesentzug umgebracht, Marinas Vater Pablo, ein einziges Angstbündel angesichts des rigiden Alten, setzte wenig später seinem Leben ein Ende, sein Sohn Pablito, Marinas Bruder, folgte ihm nach. Eine wahrhaft satanische Familiensaga, in der Marina zwar etwas pathetisch vom "Würgegriff eines Genies" berichtet, das "ständig neues Blut benötigte, um seine Werke zu signieren", die aber dennoch die Frage nach dem menschlich hohen Preis jeglichen Machtgebarens aufwirft.
Ein Gutes hatte die Sache am Ende vielleicht doch noch. Humanistisch geschult am brutal egozentrischen Beispiel des Großvaters, gründete die inzwischen 50-Jährige in Vietnam ein Dorf der Jugend sowie mehrere Waisenhäuser, wofür sie 1996 mit dem Albert-Schweitzer-Preis ausgezeichnet wurde.
Meine Meinung über das Buch
Einen schlechten Roman zu zerpflücken mag mitunter ganz amüsant sein, bei einer Autobiografie geht das nicht ganz so einfach.
In den vorliegenden Lebenserinnerungen der Marina Picasso, Enkelin von Pablo Picasso, der „Sonne“, wie er sich gerne nennen ließ, beschreibt uns die Autorin ihren Leidensweg auf der Suche nach dem idealen Großvater. Eine Suche und ein Herzenswunsch, der bis zu Picassos Tod am 8. April 1973 unerfüllt blieb.
Hineingeboren ist sie in ein denkbar ungünstiges familiäres Umfeld.
Auf der einen Seite ein schwacher, devoter Vater, der sich und seine Kinder von Picasso erniedrigen lässt und nicht in der Lage ist, seine Familie zu ernähren.
Anfänglich an seiner Seite eine unreife und launische Mutter, deren Haupanliegen es ist, als Picassos Schwiegertochter wahrgenommen zu werden und ein anlehnungsbedürftiger Bruder, der sogar in der Schule durchfällt, um mit seiner um ein Jahr jüngeren Schwester gemeinsam in die Klasse gehen zu können.
Eine Familie, die weder auf eignen Beinen steht, scheinbar in finanzieller Abhängigkeit vom übermächtigen Vater Picasso gefangen, bzw. auch nicht in der Lage zu sein scheint, ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten zu können.
Relativ bald stellt sich zum ersten Mal die große Frage, warum die ganze Familie überzeugt ist, von Picasso erhalten werden zu müssen. Warum sie die Erniedrigungen, Demütigungen und Zurückweisungen immer wieder freiwillig in Kauf genommen haben. Des erhofften und benötigten Geldes wegen, das Picasso ihnen verwehrte, oder der Familienbande, die so stark waren oder einfach nur des Genies wegen, in dessen Dunstkreis man sich dann doch gerne sonnte.
Hier bietet sich eine gute Gelegenheit, über den Buchtitel nachzudenken...
Das Buch liest sich so, wie man sich eine ideale Psychoanalyse vorstellt.
Zuerst wird alles, was einem jemals angetan wurde, ausgekotzt, doch gelingt es zu guter Letzt, die Kurve zu kratzen, das Leben in die eigene Hand zu nehmen und ihm so eine neue Wendung zu geben.
Alle diejenigen, die etwas mehr über das Leben von Picasso erfahren wollen, sind mit anderen Werken über ihn besser beraten, da das Buch einzig und allein der Aufarbeitung des Lebens von Marina Picasso dient, die keine Möglichkeit bekam, dem unnahbaren Großvater klarzumachen, wer sie wirklich ist.
Möglicherweise ist sie da nicht die einzige.