Haben Jugendbuchautoren eine besondere Verantwortung?

  • @ Batcat


    das wäre mächtig nett von Dir! :unschuld


    EDIT: Danke, Batcat! :wave


    ganz abgesehen davon, dass ich den Unfallhergang tatsächlich für ein bissi unwahrscheinlich - wenn auch nicht unmöglich - halte...
    Als Erwachsene heute hätte diese Stelle im Gesamtzusammenhang wohl einfach ohne weitere Hintergedanken überlesen, muss ich zugeben - weil Anschnallen im Auto einfach eine Selbstverständlichkeit ist, über die's nix nachzudenken gibt.
    Aber ich weiß nicht, ob mich als der v.a. von Büchern leicht zu beeinflussende Teenie, der ich mal war, dieser Satz nicht doch ins Grübeln gebracht und verunsichert hätte... :gruebel
    Ich halte ihn für unbedacht und wie Batcat dramaturgisch nicht zwingend notwendig. Der entsprechenden Zielgruppe traue ich zwar durchaus genug Vernunft und eigenes Urteilsvermögen zu - aber ich hätte eine andere Lösung in der Dramaturgie dieser Szene schlicht und einfach besser gefunden.

  • Folgendes möchte ich anmerken
    Kinder und Jugendliche sind noch nicht gefestigt in ihrer Persönlichkeit; sie identifizieren sich mit Vorbildern aus ihrem Umfeld und so ist es wichtiger, was durch die Eltern, durch Freunde und nächsten Anverwandten propagiert wird und nicht durch ein Buch. Hinzu kommt, dass Kinder nicht alles bedenklos aufnehmen und für sich als neue gegebene Wahrheit umfassen. Wenn ein Kind weiß: "Okay, meine Eltern schnallen sich an und ich muss es auch tun, damit meine Sicherheit garantiert ist.", dann wird es die Stelle auch nicht zum Anlass nehmen um zu sagen: "Hey, wie geil, demnächst fahre ich ohne Gurt!"
    Für meine Begriffe werden Kinder / Jugendliche in ihrer Leistung Dinge zu reflektieren unterschätzt, oder meint ihr, nur weil in einem Jugendbuch wie "Cold Turkey" oder "Beauty Queen" steht, dass Drogen einen Ausweg aus Stress- und Traumasituationen sind, fängt jetzt ein Jugendlicher auch damit an?


    Es kommt auf viele Faktoren an, auf Sozialisation - Welchen Einfluss haben Eltern noch auf das Kind? Wie sind die Freunde des Kindes gepolt und wie sind diese im Hinblick auf Drogen, Verkehrsunfälle usw. "vorbereitet"? Wie gehen die Eltern mit diesen Problemen um, wie die Freunde, Bekannten, Lehrer und Mitschüler?


    Um nochmal zur Eingangsfrage zu kommen, ob Jugendbuchautoren eine besondere Verantwortung haben; sie haben keine "besondere Verantwortung", sie haben eine, die jeder Autor / jede Autorin hat, wenn ein Manuskript von dieser / diesem gedruckt wird.

    „Die Literatur greift immer dem Leben vor.
    Sie ahmt das Leben nicht nach, sondern formt es nach ihrer Absicht.”

    Oscar Wilde, irischer Schriftsteller und Aphoristiker

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  • Jugendbuchautoren haben sicher keine "besondere" Verantwortung. Ich würde nicht zwischen ihren und anderen Verantwortlichkeiten unterscheiden.


    Es ist doch eigentlich egal ob man in einem Jugendbuch oder in einem Erwachsenbuch darüber schreibt, dass das Nichtanschnallen dafür gesorgt hat, dass der Unfall gimpflich abgelaufen ist. Ein solcher Satz, ein solche Schilderung, sehe ich in keinem Buch gern, egal welches Genre hier betroffen ist.


    Jugendbuchautoren müssen sich, wie jeder andere auch, ihrer allgemeinen Verantwortung stellen, einer Verantwortung, der sich jedermann/jedefrau stellen muss. Von einer "besonderen" Verantwortung irgend wo für halte ich gar nichts. Denn wo beginnt das "Besondere" und wer wäre da ggf. auch noch betroffen?

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Natürlich sollten Jugendbücher nicht gerade zu Straftaten anstiften... Bombenbastelanleitungen etc. wären dort (und nicht nur dort) sicher fehl am Platze.


    Aber wenn ich mir vorstelle, wie hier die Konsequenz aussieht: Jugendlicher ist bisher von seinen Eltern angehalten worden, sich anzuschnallen. Jugendlicher liest das Buch und sagt zu seinen Eltern: Ich schnall mich nicht mehr an, in dem Buch steht, dass man eher überlebt, wenn man sich nicht anschnallt. Eltern diskutieren mit Jugendlichem Unfallstatistiken: Ja, es gibt einzelne Fälle, in denen man eine größere Überlebenschance hat, wenn man nicht angeschnallt ist. Aber in den allermeisten Fällen ist es eben anders. Darum besteht Anschnallpflicht, und darum, lieber Sohnemann, schnallst du dich auch weiterhin an, wenn du mit uns mitfährst. Mal abgesehen davon, dass du das Bußgeld sonst von deinem Taschengeld zahlen wirst.


    Es ist doch wohl wirklich so, dass das mit dem Anschnallen keine absolute Wahrheit ist - dergleichen Fälle gibt es viele, und ich finde es durchaus wichtig, dass Jugendbücher nicht so tun, als gäbe es sie. Die Welt ist nicht schwarz und weiß, und sollten das nicht auch Kinder und Jugendliche mitbekommen und mit den Grautönen umgehen lernen?


    (Ich habe besagte Stelle nicht gelesen, daher ist das hier nur ein theoretischer Gedanke. Übrigens ist es kein Copyright-Problem, ein paar Sätze aus einem Buch (mit Quellenangabe) hier zu zitieren. (Was anderes wären ein paar Sätze aus einem Gedicht, rein mengenmäßig.)

    Surround yourself with human beings, my dear James. They are easier to fight for than principles. (Ian Fleming, Casino Royale)

  • Ich finde schon, dass ein Kinder- und Jugendbuchautor ein gewisses Maß an Verantwortung trägt. Über die Stelle im Buch lässt sich streiten. Mann kann sie hier nachlesen, wenn man bei "search inside" den Begriff "angeschnallt" eingibt.


    Grüßle,
    Judith

    Toni und Schnuffel / Tricks von Tante Trix / Papino und der Taschendieb / Das Dreierpack und der böse Wolf
    Tanz mit Spannung / ... und jetzt sehen mich alle! / Voll drauf / Die Kellerschnüffler u.a.

  • Kinder- und Jugendbuchautoren haben natürlich eine gewisse Verantwortung wie jede Person in dieser Welt Kindern gegenüber. Allerdings denke ich nicht, dass die Stelle moralisch so bedenklich ist. Das Mädchen hat ihre Aussage ja nicht zu etwas Grundlegendem gemacht, sondern nur gesagt, dass sie eben in diesem speziellen Fall überlebt hat, weil sie nicht angeschnallt war. Ich persönlich empfinde das nicht so, dass man daraus lesen kann, dass man besser ohne Anschnallen fährt. Es war halt eine Ausnahme, die das Mädchen da erfahren hat. Es ist nur etwas holprig formuliert.

  • Zu diesem Thema fällt mir ein Offener Brief der Deutschen Gesellschaft für Nikotinpräventation e.V. an den Kinder- und Jugendbuch Verlag Cecile Dressler bezüglich "Die Wilden Hühner und die Liebe" ein. Man kann den Brief auf deren Seite lesen, wenn man etwas runterscrollt (der Brief ist vom 22. März 2007)
    http://www.nikotinpraevention.de/index.html


    Im Grunde will Cornelia Funke bestimmt nicht Kinder zum Rauchen verführen, aber der Verein beschwert sich, weil falsche Aussagen im Buch über Rauchgewohnheiten gemacht werden und dass das Buch impliziert, dass Rauchen gegen Stress hilft. Ich finde aber den Vorwurf etwas kleinlich.


    Bei einem anderen Jugendbuch, habe ich einige Leserstimmen gesehen, in denen sich die Leser beschweren, dass in dem Buch zu viel geraucht wird. Es ist so, dass die beste Freundin der 14-jährigen Hauptfigur raucht und dabei jedes Mal von der Hauptfigur ein Augenrollen dafür erntet. Ich fand beim Lesen eigentlich, dass das Buch eine Einstellung gegen das Rauchen vermittelt und war dann verblüfft von den anderen Leserstimmen. Es waren aber erwachsene Leser. Was Mädchen ab 12 Jahren (die die Zielgruppe sind) wohl denken? Ob denen die Rauchszenen im Buch überhaupt auffallen? Lassen sich Kinder und Jugendliche überhaupt durch Bücher beinflussen?

  • Ha, wer hätte gedacht, daß der Thread noch mal nach oben gespült wird...


    Es kommt m.E. immer darauf an, wie gewisse Dinge dargestellt werden. Ich habe auch schon Jugendbücher gelesen, in denen Drogen genommen, geraucht, getrunken, gehungert wurde, ungeschützter Sex etc. Das volle Leben halt. Das halte ich an und für sich nicht für verwerflich. Es sollte nur nie falsches Verhalten als richtig suggeriert werden.

    Lieben Gruß,


    Batcat


    Ein Buch ist wie ein Garten, den man in der Tasche trägt (aus Arabien)

  • Jugendbücher müssen nicht automatisch pädagogisch wertvoll sein. *schüttel*
    Eine Szene wie diese kann ein Ausrutscher sein, der dem Lektorat durch die Lappen gegangen ist. Gudrun Pausewang ist 1928 geboren und hat ihre prägenden Jahre in Lateinamerika verbracht. Vermutlich gab es dort vor 1970 - noch - keine Anschnallpflicht. Sie könnte wie viele ihrer Generation g e d a c h t haben, dass angeschnallte Beifahrer schlechter aus einem demolierten Auto herauskommen ohne zu überprüfen, ob die Theorie auch der Realität standhält. Einem jüngeren Lektor, der seine Fahrprüfung in Deutschland abgelegt hat, dürfte die Szene aber gern auffallen.

  • Zitat

    Original von Buchdoktor
    Jugendbücher müssen nicht automatisch pädagogisch wertvoll sein. *schüttel*


    Danke.
    Ich gehe sogar so weit, zu sagen, dass Jugendbücher nicht pädagogisch sein sollten. Es gibt nichts Schlimmeres, als Bücher, die versuchen gleichzeitig zu unterhalte und dabei den erhobenen Zeigefinger rausholen.
    Dududu, das darfst aber net!


    Bah. Jugendbuch sollten, wie alle anderen auch, authentisch sein und sich ehrlich anfühlen. Dazu gehört in einigen Fällen eben auch, dass Jugendliche Dinge tun, die sie us der Sicht der Eltern/ Erwachsenen nicht tun sollten.
    Bücher in denen das nie passiert, sind doch eher von der braven Natur und sprechen viele Leser nicht an.


    Im Übrigen kann es tatsächlich unter ganz bestimmen Umständen möglich sein, einen Unfall zu überleben, weil man *nicht* angeschnallt war. Die Chance ist klein, aber der Teufel wird als Eichhörnchen bezeichnet.
    Und die Autorin wird sich bei der Szene wohl etwas gedacht haben, was diese Variante nötig gemacht hat.

  • Es passiert gar nicht mal so selten, dass unangeschnallte Personen aus einem Auto rausfliegen. Entweder weil sich dann eine Tuer oeffnet (wie im Buch beschrieben) oder weil sie durch ein Fenster geschleudert werden. Das sind die Faelle, wo die Ueberlebenchancen am geringsten sind. Ueberlebenschancen in einem sich ueberschlagendem Auto sind dagegen sehr gut, wenn man angeschnallt ist. Selbst Verletzungen sind in solchen Unfaellen relativ gering.


    Natuerlich sollen auch in Jugendbuechern alle moeglichen Verhaltensweisen dargestellt werden, einschliesslich solcher, die wir als gefaehrlich oder auch moralisch verwerflich ansehen. Gut gemachte Jugendbuecher stellen es aber dann so dar, dass dem Leser klar wird, dass es sich hier um fragwuerdige Verhalten handelt und er sich vielleicht Gedanken machen sollte, wie er sich hier verhalten wuerde.


    Mir faellt da jetzt z.B. Tschick von Wolfgang Herrndorf ein, wo die Protagonisten in einem gestohlenem Auto das Leben erfahren wollen. Die Teens machen da eine ganze Reihe von gefaehrlichen und/oder verbotenen Sachen. Dem Leser ist dabei aber durchaus bewusst, was Sache ist. Man kann sich selber ein Urteil bilden und entscheiden was richtig und falsch ist.


    In diesem Fall liest es sich (in er Leseprobe) dagegen so, als ob es ein Fakt waere, dass man in einem aehnlichen Unfall unangeschnallt bessere Ueberlebenchancen haette. Schlichtweg falsch und der Leser kann ohne spezielles Hintergrundwissen (hier hatten wir eine Serie solcher Unfaelle und in allen Medien Expertengespraeche dazu) nicht selber ein Urteil bilden. Und DAS finde ich hier doch verantwortungslos.

    Gruss aus Calgary, Canada
    Beatrix


    "Well behaved women rarely make history" -- Laura Thatcher Ulrich

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  • Die hier diskutierte Stelle finde ich nicht so tragisch, da das mit dem Anschnallen tatsächlich eine Risikoabwägung ist.
    Ich hätte das als Jugendliche unter "Manchmal ist das eigentlich Falsche zufällig genau das Richtige" abgehakt - wenn jemand rein zufällig durch Schulschwänzen den Amoklauf überlebt denkt man doch auch nicht, dass deswegen Schulschwänzen was Gutes ist.
    Es ist ja auch kein Massenphänomen, dass Nicht-Anschnallen als richtig hingestellt wird. Heute zumindest nicht mehr.


    Viel mehr regen mich die hinterhältigeren Beeinflussungen auf, die regelmäßig vorkommen.


    Die Darstellung von Drogenkonsum als cool und völlig folgenlos, z.B. Da braucht nichtmal jemand sagen, das würde Stress reduzieren oder was weiß ich, es reicht, wenn die ganz coolen Typen alle Drogen nehmen und das nie negative Folgen hat.


    Oder, die Darstellung einer ungesunden Beziehung als toll und romantisch.


    Da hilft es nämlich auch nicht mehr, sich bewusst zu sein, dass sowas schlecht ist.
    Wenn man sich permanent in eine Welt träumt in der man raucht/kifft/kokst und deswegen so richtig cool ist, oder mit einem Stalker/Vergewaltiger/krankhaft eifersüchtigem Spinner zusammen und total glücklich ist, dann wird das Unterbewusstsein irgendwann dafür sorgen, dass man diesen Zustand in der Realität erreicht.
    Und dann wieder davon wegzukommen, wenn das Unterbewusstsein endlich gerafft hat wie kacke das eigentlich ist, wird schwer.


    Die meisten Leute machen sich nie so richtig klar, dass Medien sie beeinflussen. Deswegen sehe ich da alle AutorInnen in der Verantwortung.


    JugendbuchautorInnen vielleicht noch ein bisschen mehr, weil Jugendliche beeinflussbarer sind.

  • Mein Onkel hat mal einen schweren Autounfall überlebt, weil er nicht angeschnallt war und aus dem Auto flog. Empfehlen würde ich es natürlich niemandem, unangeschnallt zu fahren, aber wäre er damals angeschnallt gewesen, dann würde er vermutlich nicht mehr leben.
    Daqs ist passiert als ich 8 Jahre alt war und trotzdem fahre ich immer angeschnallt. Ein Stück weit gesteht man Autoren soch auch etwas viel Einfluss zu, wenn man meint, ein Jugendlicher würde anerzogene Werte und Verhaltensweisen zwangsläufig wegen einer Buchpassage in Frage stellen.


    Wobei ich euch recht gebe, dass alles Fragwürdige in Jugendbüchern nicht vom Autor unreflektiert bleiben darf.

  • Meiner Meinung nach passt die Beschreibung gerade sehr gut in ein Jugendbuch. Ich würde hier eben "Jugend" ganz klar von "Kindern" abgrenzen. Jugendliche sind Pubertierende, die langsam ihre eigene Persönlichkeit entdecken und anfangen, die Regeln der Erwachsenen zu hinterfragen.


    Dazu gehört in diesem Fall eben auch die Anschnallpflicht. Ist sie immer sinnvoll? Gibt es Fälle, in denen man eher überlebt, wenn man nicht angeschnallt ist. Ja, ist leider so. Es ist an der sich entwickelnden, Dinge hinterfragenden Person, sich mit der Frage zu beschäftigen und wünschenswerterweise am Ende zu dem Ergebnis zu kommen, daß anschnallen grundsätzlich Sinn macht.


    Da es in diesem Buch aber, wenn ich es richtig verstehe, nicht im Geringsten ums Anschnallen oder Unfälle geht, ist die Frage, ob man diesen Teil nicht wirklich besser weggelassen hätte. Ohne ausgiebige Beschäftigung mit dem Gesamtthema, so als Randsatz, halte ich es auch eher für fragwürdig. Grundsätzlich finde ich es aber für ein Jugendbuch nicht schrecklich, in einem Kinderbuch wäre es allerdings fatal.


    Man sollte sich an der Stelle auch vor Augen führen, daß ein nicht unbeträchtlicher teil der 14-16jahrigen Jugendlichen bereits Sex haben, Alkohol und andere leichte Drogen versuchen und im Internet Zugriff auf Dinge haben, die für uns in unserer Jugend undenkbar gewesen wären. So einen Nebensatz in einem Buch ist da sicher eher ein kleineres Problemchen und für mich eher kaum der Rede wert.