OT: Playing with the Grown-Ups
Kurzbeschreibung
(bei amazon geborgt)
Die dreizehnjährige Kitty lebt in einer Familienidylle im Haus ihrer Großeltern in der englischen Provinz. Leider entspricht dieses Leben sogar nicht den Wünschen ihrer Mutter Marina, die jünger ist als andere Mütter und sich nach Partys, Action und Abenteuern sehnt. Marinas Guru, Swami-ji, überredet sie zu einem Umzug nach New York- und Kitty landet vorübergehend in der Hölle eines Internats. Die nächste Station ist ein US-Ashram, aber kurz vor Kittys Erleuchtung zieht die Familie wieder zurück nach London. Die Hoffnungen der Mutter auf Glück und Erfüllung erweisen sich als allzu trügerisch und können offenbar weder von Männern noch von Drogen erfüllt werden. Als Kitty fünfzehn wird, muss sie sich entscheiden, ob sie den Spielender Erwachsenen weiter folgt oder zuerst an sich selbst denkt.
Über die Autorin
(selbst aus div. Quellen und eigenem Hintergrund-Wissen zusammengeschrieben)
Sophie Dahl, 1977 in London geboren und teilweise norwegischer Abstammung, ist die Enkelin des Kinderbuchautors Roald Dahl. Sie war die Inspiration für seine Geschichte von "Sophiechen und der Riese". Mit 18 Jahren wurde sie als Model entdeckt. Nach Kurzgeschichten für diverse Magazine und ihrer Novelle "The Man with the Dancing Eyes" / "Der Mann mit den tanzenden Augen" (Eulenrezi)
ist "Die Spiele der Erwachsenen" ihr erster Roman. Sophie Dahl lebt in England.
Meine Meinung
Sophie Dahl war mir in meiner Eigenschaft als eifrige Hochglanz-Magazin-Leserin schon lange ein Begriff. Bekannt wurde sie als "plus-size model" in der umgerechneten Kleidergröße 44 - und vor allem im Jahr 2000 durch das in manchen Ländern wegen seiner angeblichen "Anstößigkeit" boykottierte Werbeplakat für das Parfum "Opium" von Yves Saint-Laurent, auf dem sie sich lasziv und mit ekstatischem Gesichtsausdruck auf einem schwarzen Samtstoff räkelt - nur mit silbernen Stilettos bekleidet. Inzwischen auf fast gängige Maße erschlankt, arbeitet sie noch immer als Model.
Dass sie inzwischen auch zu schriftstellerisch tätig geworden ist, war irgendwie an mir vorübergegangen, bis mich zwei Interviews mit ihr (eines in einem Hochglanz-Blatt, eines im "Zeit magazin", beide im Februar 2008) zum Erscheinen der deutschen Ausgabe auf "Die Spiele der Erwachsenen" brachten. Darin war zu lesen, dass der Roman stark autobiografische Züge habe - vor allem in Bezug auf Sophie Dahls Kindheit und Jugend und in der Beziehung zu ihrer Mutter, der Autorin und Schauspielerin Tessa Dahl. Ich fand die Interviews sehr interessant, das Thema des Romans ebenfalls, also musste ich es haben.
Und habe es heute Nachmittag im Liegestuhl in einem Rutsch ausgelesen.
Der Roman beginnt, als Kitty, die Protagonistin - längst erwachsen, in New York verheiratet und schwanger -, einen Anruf von ihrer Schwester Violet erhält: mit ihrer beider Mutter sei etwas passiert.
Kitty macht sich sofort auf den Weg, nach England - zu ihrer Schwester Violet und deren Zwillingsbruder Sam. Für Kitty ist es auch eine Reise in ihre Kindheit und Jugend. Die Kindheit in einem idyllischen Cottage, mit Großmutter und Großvater und ihren Tanten Elsie und Ingrid, die nur wenig älter sind als Kitty, ihrer kapriziösen, flatterhaften Künstler-Mutter Marina - und den beiden Vätern der Kinder, die physisch abwesend und nur in Erzählungen und Briefen existieren. Die Handlung schildert Marinas spirituellen Trip, der sie in die USA führt, Kitty jedoch in ein Internat, in dem sie Hänseleien ausgesetzt ist, bis sie ihrer Mutter und ihren Geschwistern in die USA folgen kann, bevor es zurück nach England geht. Im Lauf der Jahre verwandelt sich Marina von einer sensiblen Bohemienne in eine Frau, die sich weigert, erwachsen zu werden und Verantwortung zu übernehmen und an der Realität des Lebens zu scheitern droht. Gegengeschnitten zu diesen Erinnerungen sind kurze Passagen, in denen Kittys Rückkehr nach England geschildert wird, die Begegnungen mit ihren Geschwistern und wie Kitty dabei empfindet. Bis sich am Schluß beide Zeitebenen gekonnt miteinander verbinden.
Ich hatte mir die englische TB-Ausgabe (s.u.) besorgt - und war ob des Covers etwas irritiert, hat das Motiv doch für mein Empfinden einen Lolita-Touch. Und auch auf den Titel konnte ich mir zunächst nicht so wirklich einen Reim machen. Doch beides macht Sinn, wenn man den Roman liest. Marina will nicht erwachsen werden, und Kitty ist es viel zu früh, oszilliert beständig zwischen Kind und Frau und gehört doch keiner der beiden Kategorien wirklich an. Der Text enthält in winzigen Details Anspielungen auf dieses Thema "Erwachsene vs. Kinder", "alt vs. jung", "Spiel vs. Realität" - auf eine meisterhafte Weise, die mich wirklich begeistert hat.
Grundsätzlich könnte dieser Roman in den 1920ern ebenso spielen wie in den 1950ern oder 1960ern. Nur eingestreute "Eckpunkte" in Form von Filmtiteln, Musikstücken oder zeitgenössischen Namen verraten, dass die Erinnerungen Kittys zwischen Ende der 1980er und den frühen 1990ern spielt.
Eine "coming-of-age novel", einen Bildungsroman also, verhieß eines zitierte Buchbesprechung auf dem Cover. Trifft natürlich zweifellos zu, aber der Roman ist viel mehr. Mutter-Tochter-Konflikt, Kind leidet unter unkonventionellem Lebensstil der Elterngeneration - alles nicht neu. Doch Sophie Dahl kleidet diesen alten Stoff in ihr eigenes, unverwechselbares Gewand: einen wunderbaren, ebenso zarten wie ausdrucksstarken Sprachstil und eine heikle Balance zwischen extremen Gefühlen. Ich habe geschmunzelt und stellenweise laut gelacht, ich war wütend, bedrückt, bewegt; ich habe in zärtlichen Idyllen geschwelgt und mich mit Kitty in beklemmenden, angsteinflößenden Situationen wiedergefunden und habe einige Male auch mit den Tränen gekämpft.
"Die Spiele der Erwachsenen" ist eines jener seltenen Bücher, das mich von der ersten Seite an sofort in seinen Bann gezogen hat und nach der letzten Seite nur gegen meinen Willen und zögerlich wieder entließ.
Und ich habe tatsächlich diese letzte Seite in der Hoffnung umgeblättert, dass da noch etwas kommen möge - obwohl mir mit der letzten Seite eigentlich klar war, dass dieses Buch kein einziges Wort mehr benötigt als geschrieben steht.