Die Klavierspielerin - Elfriede Jelinek

  • Kurzbeschreibung
    Der Klavierlehrerin Erika Kohut, von ihrer Mutter zur Pianistin gedrillt, ist es nicht möglich, aus ihrer Isolation heraus eine sexuelle Identität zu finden. Unfähig, sich auf das Leben einzulassen, wird sie zu Voyeurin. Als einer ihrer Schüler mit ihr ein Liebesverhältnis anstrebt, erfährt sie, daß sie nur noch im Leiden und in der Bestrafung Lust empfindet.


    Kritik:


    Die Klavierspielerin ist eine der wenigen neueren Bücher, die man als Klassiker bezeichnen kann. Oft wird sie im Unterricht neben Goethe und Böll gelesen.
    Jelinek, nicht nur vielausgezeichnete Autorin sondern auch Gesellschaftskritikerin, schuf mit diesem Werk eine gigantische Geschichte über das Leben.
    Das verliebte Spiel mit der Sprache führt während des Lesens zu Erstaunen, Überraschen, und zum jauchzen: Vor Begeisterung. Denn die Spannung lässt vom ersten Wort bis zum letzten nicht ab.
    Jelinek beschreibt eine Frau, die in gewissen Weisen Neurosen entwickelt, aufgrund ihrer Kindheit. Jelinek thematisiert die Wichtigkeit des Elternhaus für die gesunde Menschwerdung. Sie thematisiert die Rolle der Familie, kritisiert alles hart und jeden - ein zynischer Genuss!


    Zur Information: Jelinik ist in Österreich sehr umstritten. Vom Machtmedium Kronenzeitung gehasst, bekommt sie allerlei schlechte Presse, weil sie es wagt, Österreich regelmäßig in Texten und Büchern zu kritisieren.


    Sehr interessant, diese Person.


    mfg

  • Ich finde vor allem Jellineks Sprache phantastisch: Treffend, aber gleichzeitig originell. Sie ist natürlich nicht einfach zu lesen, also keine schnelle Urlaubslektüre, aber es lohnt sich.


    Dass Jellinek hier in Deutschland weniger bekannt ist, liegt sicher auch an ihrem öffentlichen Auftreten und ihren politischen Äußerungen, die eher ihr Heimatland betreffen. Sie ist eine der Personen, um die ich die Österreicher beneide, aber ich stehe mit meiner Meinung ziemlich alleine da. Von den letzten beiden Leuten, denen ich die Autorin empfohlen hatte, hörte ich "eklig und pervers" als abschließendes Urteil. (War vielleicht auch meine Schuld, hätte nicht als erstes "Lust" empfehlen sollen.)


    Jorinde

  • Elfriede Jelinek gehört für mich zu den Autorinnen, die ich unbedingt einmal lesen muss. Naja, alle fünf Jahre starte ich einen neuen Versuch, bin aber noch nie bis zum Schluss gekommen. Im letzten Jahr habe ich zum 100. Mal die Klavierspielerin angefangen, zuvor Lust und davor Gier. Wieder habe ich keines bis zum Ende geschafft. Irgendwie habe ich den Eindruck, Jelinek arbeitet ihr Muttertrauma in ihren Romanen ab.

  • Zitat

    Original von Ines
    Irgendwie habe ich den Eindruck, Jelinek arbeitet ihr Muttertrauma in ihren Romanen ab.


    Tut sie. Und noch ein paar Traumata. Was schade ist, denn sie ist eine tolle Schriftstellerin.
    Ich habe auch immer schwer zu kämpfen mit ihren Büchern wie Theatrestücken und gebe oft auf.
    Hat übrigens jemand die Verfilmung der Klavierspielerin gesehen? Heftig!
    magali

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Ich wollte meine Tochter, den Mäkel, mal mit dem typisch missionarischen Eifer der deutschen Bildungsbürgerin an die Jelinek heranführen. Wir waren im Theater. "Raststätte oder jeder tut es". Mäkel nahm den Liebsten mit. Naja, anschließend war der weg. Lag das an der Jelinek oder hatte er Angst vor seiner zukünftigen Schwiegermutter? Jedenfalls ist Elfriede seither in Mäkels Liste der "Lebensglückzerstörer" aufgenommen. Allerdings wird sie mich niemals schlagen. Platz 1 ist seit Jahren mir!

  • Zitat

    Original von magali
    Hat übrigens jemand die Verfilmung der Klavierspielerin gesehen? Heftig!
    magali


    Dazu gibt es sogar schon einen Thread hier


    Ich hab den Film damals ein Stück weit gesehen. Das Buch liegt immer noch ungelesen hier herum. Und ich glaube nicht, dass ich es so bald lesen werde.

  • Nehmt ihr Literatur nicht ein bißchen zu ernst?
    :lache
    Und Listen von Lebensglückzerstörern? Wundervoll! Ich liebe diese jungen Leute. Wäre ich nie drauf gekommen.
    magali

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Habe soeben "Die Klavierspielerin" beendet.
    Zu Beginn hatte ich etwas Mühe mit dem ungewohnten Schreibstil, doch bald konnte ich nicht mehr aufhören, zu lesen. Ich war erschrocken und tief bewegt über die aufgezeigten Abgründe im menschlichen Verhalten.
    Eindrucksvoll schildert Elfriede Jelinek die seltsame und ungesunde Symbiose zwischen Mutter und Tochter.
    Die Mutter hatte ihren Mann nur zum Zecke der Zeugung und dann schnellstmöglich für dessen Abschiebung in eine Irrenanstalt gesorgt.
    In der Folgezeit wird die Tochter komplett nach den Wünschen der Mutter geformt und muss sogar neben ihrer Mutter schlafen. Niemals wurde der Tochter zugestanden, eigene Wege zu gehen oder eine eigene sexuelle Identität zu entwickeln.
    Einzig traut sich die Tochter nur, dann und wann hübsche Kleidung zu kaufen, wofür die von der Mutter physische und psychische Schläge empfängt und anderen Menschen bei deren sexuellen Treiben zuzuschauen. Erleichterung, niemlas Lust, empfindet sie nur, wenn sie sich selbst schlimme Verletzungen zufügt.
    Gleichzeitig erhofft sie sich aber doch jemanden, der sie aus ihrem gewohnten, von der Mutter aufgezwungenen, Lebenstrott rettet.
    Wohl dosiert vom Autor, erfährt der Leser immer mal wieder etwas mehr über die Klavierlehrerin Erika. Mit jedem mehr wird dem Leser sehr bald klar, daß es sich bei Erika um eine zutiefst gestörte Frau handelt. Gleich einem wilden Tier, daß niemals aus seinem Käfig heraus kommt, rüttelt sie nur ab und an an den Gitterstäben ihres Gefängnisses.
    Ein unglaubliches Buch, schwere Kost, aber total genial geschrieben.

    Das Leben ist bezaubernd, man muss es nur durch die richtige Brille sehen.
    Alexandre Dumas [fils, Sohn, der Jüngere] (1824 - 1895), französischer Schriftsteller
    LG
    Christiane

  • Hallo,


    ich habe heute "Die Klavierspielerin" nach nur 4-tägiger Lesedauer beendet, was mich selbst überrascht hat, da ich dachte: "Oje, mit dieser schweren Kost werde ich mich jetzt mal ein-zwei Wochen plagen..." Jedoch, die Bedenken waren völlig überflüssig.


    Elfriede Jelinek hat mit der Klavierspielerin ein wunderbar aufwühlendes, verstörendes und sprachlich geniales Werk abgeliefert. Schon nach wenigen Seiten fragt man sich, in was für eine fast schon abartige "Zwei-Personen-Welt" man denn hier eingedrungen ist und warum hier jahrelange Fesseln nicht schon längst gesprengt wurden.


    Gerade die Beschreibung von Erika in ihrem Gefängnis genannt "Mutter" rief in mir innerlich immer die wildesten Proteststürme hervor, da man einerseits immer wieder denkt: "Befreie dich doch endlich und laß die blöde alte Kuh endlich zurück", andererseits jedoch Seite um Seite erkennen muss, dass Erika, selbst wenn sie dies wollen würde (genügend Anspielungen gibt es), es doch nicht schaffen würde, sich vom allmächtigen/allgegenwärtigen Herrn und emotionalen Ernährer "Mutter" zu trennen.
    Fassungslos steht man davor, wenn sich Erika selbst blutig schindet und schneidet und stockt über die Offenbarungen ihrer geheimsten sexuellen Wünsche. Im Laufe des Buches eröffnet sich einem zwar immer mehr das Innere von Erikas Person, allerdings erkennt man schnell, dass das, was sich in ihr befindet, verrottet, verfault, taub und vielleicht schon tot ist...
    Die sich anbahnende Liebelei zwischen Erika und ihrem Schüler Klemmer ist eigentlich nur Mittel zum Zweck, um einem Menschen aus Erikas Umfeld (und v.a. dem Leser) die tiefen, dunklen und traurigen Abgründe der Klavierspielerin vorzuführen und erkennen zu lassen.


    Jelineks Sprachstil mag für manchen auf den ersten Blick nicht ganz einfach erscheinen, denn gerade das Arbeiten mit Metaphern ist eine ihrer besonderen Stärken, die viel von der Stimmung des Buches ausmachen.


    Deshalb, keine Scheu davor, und wenn es beim ersten Mal nicht klappen sollte, nicht den Mut verlieren und sich nach einiger Zeit wieder an das Buch dransetzen. Wenn man es erstmal in seiner ganzen Dimension gelesen und (meiner Meinung nach) "gefühlt" hat, ist man um eine besondere Erfahrung reicher.

    Viele Grüße,Eure SUB-Priesterin :wave


    "Der Kopf ist rund, damit die Gedanken auch mal die Richtung ändern können" (Picabia)


    Zur Zeit lese ich gerade: Jane Bowles - Zwei sehr ernsthafte Damen

  • @ Patricia_k34,


    schau mal ein paar Beiträge weiter oben, da hat Ronja bereits einen Link zur entsprechenden Film-Diskussion gesetzt. Da findest du dann sicher gleichgesinnte... :-)

    Viele Grüße,Eure SUB-Priesterin :wave


    "Der Kopf ist rund, damit die Gedanken auch mal die Richtung ändern können" (Picabia)


    Zur Zeit lese ich gerade: Jane Bowles - Zwei sehr ernsthafte Damen

  • Ich erinnere mich kaum noch an das Buch (das ist 20 Jahre her) aber den Film fand ich sehr schön! Und hab dies auch im entsprechenden Thread soeben bekundet. :-)

    Wenn ein Kopf und ein Buch zusammenstoßen und es klingt hohl, ist das nicht allemal das Buch.
    Georg Christoph Lichtenberg

  • ich hab sowohl den film gesehen als auch das buch gelesen.
    beides hat mich angeekelt :lache
    aber ihren schreibstyl fand ich toll und hab das buch (mit einigen pausen aber) auch beenden können.
    der film ist , wenn ich daran denke, dass ich dachte, dass diese geschichte wohl kaum verfilmbar ist, gelungen.

  • Ich habe dieses Buch für ein Seminar an der Uni gelesen. Es heißt "Obszöne, erotische und pornografische Literatur". Mir hat das Buch sehr gefallen und besonders hat mich die Sprache fasziniert. So schrecklich ekelig fand ich es nicht, was aber damit zusammenhängen mag, dass ich für das Seminar weitaus härtere Texte lesen musste.


    Ich vergebe 8 von 10 Punkten. Kann es schon allein aufgrund der Sprache empfehlen und werde "Lust" von ihr auch noch lesen. Mal schauen vielleicht wird dieses Buch sogar mein Essay-Thema fürs Seminar.