Richard Yates - Zeiten des Aufruhrs

  • literarische Weltreise: USA


    eigentlich wurde hier ja schon alles gesagt, deshalb werde ich mich furz kassen:
    Nachdem ich Easter Parade belanglos und ziemlich blutleer fand, war ich von "Zeiten des Aufruhrs" erstaunlicherweise von Anfang an fasziniert. Das mag an meinem zugegebenermaßen leicht voyeuristischen Interesse am Vorstadtleben liegen, aber es steckt wohl mehr dahinter. Es ist einfach so zwangsläufig, wie Yates Figuren, die zwar nicht perfekt sind, aber eben auch nicht über besonders eklatante Charakterschwächen verfügen, auf die Katastrophe zusteuern. Dabei ist das alles so banal, keine schweren Schicksalsschläge, keine schlimmen Lebensbedingungen, nur der ganz normale Wahnsinn, in dem paradoxerweise nur der Wahnsinnige kapiert, wie der Hase läuft.


    Erstaunlich fand ich, wie dieser amerikanische Traum, wie Yates ihn schildert, im heutigen Deutschland noch gelebt wird: spätestens ab dem ersten Kind wird ein Haus auf dem Land gebaut, so teuer, wie man es sich gerade noch leisten kann und Mutti, auch wenn sie heute oft zumindest teilweise berufstätig ist, steckt einen Großteil ihrer Energie in die Verschönerung des Heimes.


    Nun weder ich mir "Eine besondere Vorsehung" wohl auch noch vornehmen.

    Menschen sind für mich wie offene Bücher, auch wenn mir offene Bücher bei Weitem lieber sind. (Colin Bateman)

  • Zitat

    Original von DraperDoyle
    Erstaunlich fand ich, wie dieser amerikanische Traum, wie Yates ihn schildert, im heutigen Deutschland noch gelebt wird: spätestens ab dem ersten Kind wird ein Haus auf dem Land gebaut, so teuer, wie man es sich gerade noch leisten kann und Mutti, auch wenn sie heute oft zumindest teilweise berufstätig ist, steckt einen Großteil ihrer Energie in die Verschönerung des Heimes.


    Wie wahr! Ich werde mich auch stets an einen Satz (aus Buch und Film) erinnern, der da ungefähr lautet: "Und dann bekommt man ein zweites Kind um zu allen zu zeigen, dass das erste kein Fehler war!" Zumindest in unserer Gegend trifft dieser Satz den Kern der Gesellschaft... Ein Kind geht gar nicht, zwei Kinder sind gesellschaftliches Optimum, drei Kinder schon ungewöhnlich und bei vier Kindern können die meisten ihr Erstaunen/ihre Verwunderung gar nicht verbergen...

  • Ich habe von Richard Yates bisher noch kein Buch gelesen... Und irgendwie bin ich noch unschlüssig welches ich mir als erstes auf die WL setzen soll..
    Laut buzzaldrin scheinen ja alle ziemlich gut zu sein..


    Zeiten des Aufruhrs - hierzu habe ich den Film gesehen, vllt. sollte ich damit mal anfangen..

    Einige Bücher soll man schmecken, andere verschlucken und einige wenige kauen und verdauen.

  • Zitat

    Original von buzzaldrin


    Anders kann ich es wirklich nicht sagen :grin


    Wenn du mich nach einer Empfehlung fragen würdest, kann ich dir eigentlich nur empfehlen, einfach alle zu lesen!


    Na dann kann ich ja nichts falsch machen, egal mit welchem ich anfange :wave

    Einige Bücher soll man schmecken, andere verschlucken und einige wenige kauen und verdauen.

  • Nachdem ich das Buch schon vor Jahren lesen wollte, bin ich nun endlich mal dazu gekommen (allerdings auf Englisch) - und es nicht bereut. Yates beschreibt ein "normales" Vorstadtleben, mit allen Tiefen und (wenigeren) Höhen, aber keinen künstlich konstruierten Kastastrophen: Wie Frank & April zusammen ihr Leben verbringen und doch vollkommen aneinander vorbeileben...ein Leben leben, das sie so nie leben wollten. Auch das Ende fand ich stimmig, insofern kommt das Buch von mir sehr gute 9 Punkte.


    Manchmal hätte ich mir gewünscht, nicht immer alles nur aus der Sicht von Frank beschrieben zu sehen, sondern auch von April. Aber andererseits macht das natürlich auch gerade einen gewissen Reiz aus.


    Als nächstes werde ich wohl wahrscheinlich "Easter Parade" lesen.

    "Es gibt einen Fluch, der lautet: Mögest du in interessanten Zeiten leben!" [Echt zauberhaft - Terry Pratchett]

  • Dies war jetzt mein 3. Buch des Autors und auch dieses war wieder ein tolles Leseerlebnis.


    Die Entwicklung des jungen Ehepaars Wheeler könnte in dieser Form genauso im Jahr 2012 stattfinden. Ich denke hier vor allem auch an die Beflügelung durch die bevorstehende Auswanderung, ein durchaus aktuelles Thema. Die einzelnen Figuren waren klar gezeichnet, sehr gut gefallen haben mir die treffenden Ansichten des "kranken" John Givings, der durch seine Offenheit sein Umfeld ganz schön in Schrecken und Sprachlosigkeit versetzt hat. Ansonsten waren alle Emotionen vertreten und das Ende war für mich auch absolut stimmig.


    Der Schreibstil des Autors ist klar, schnörkellos und treffend. Von mir auch bei diesem Buch wieder eine echte Leseempfehlung.


    Als nächstes werde ich mich mal um die "Ruhestörung" kümmern :-)

  • Es wurde ja schon superviel zu dem Buch geschrieben; Neues kann ich wohl nicht mehr beitragen.


    Viel Alkohol und keine Entscheidungsfreiheit für die Frau - das ist das Markierendste, was mir in Erinnerung geblieben ist, was das zeitgenössische (für das Jahr 1955) betrifft.
    Aus der Beziehung der Wheelers: ein Mann, der sich selbst künstlich benimmt und es genießt, sich dabei zu beobachten, sich geradezu wohlfühlt in der Rolle des Menschen, der die Spießer verachtet und trotzdem so lebt wie sie.


    Die Reise durch das Ehejahr, in dem sich alles zuspitzt bei den Wheelers empfand ich als sehr anstrengend und es war eigentlich von Anfang an klar, dass das nur ein drastisches Ende nehmen konnte.


    8 gute Punkte von mir. Einseitigkeit wurde schon als Kritikpunkt genannt und das ist auch der meine.


    EDIT: Ich habe mittlerweile den Film mit Leo D.C. gesehen und fand er hat ganz gut eingefangen, was das Buch aussagen wollte: die Leere der Hoffnungslosigkeit (Zitat). Mein Mann hat sich aber leider ziemlich gelangweilt.

    „An solchen Tagen legt man natürlich das Stück Torte auf die Sahneseite — neben den Teller.“

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  • Das Beunruhigende an diesem Roman ist ja eigentlich, dass er, obschon seine Handlung in den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts stattfindet, nichts erzählt, was wirklich vergangen, was aus der Welt wäre. Mehr Schein als Sein oder sich nicht doch mit dem zufrieden geben, was einem beschert ist? Mehr Wollen als Können oder sich strecken nach der Decke, die einem gehört? Krieg und Frieden in einer Ehe oder doch lieber ein Miteinander? Die Lebensentwürfe, die Yates für seine Protagonisten bereit hält, sind ebenso radikal wie normal, bewegen sich in dem ihnen gesteckten Rahmen, auch wenn sie aus ihm ausbrechen wollen. Dass ihnen die Möglichkeit dazu nicht gegeben ist, hat Yates nicht „erfunden“, er hat es, so glaube ich, dem Leben ganz einfach abgeschaut.


    Das Schönste an diesem Roman ist für mich die Sprache: Glasklar, radikal ehrlich, das Personal der Geschichte zwar in ein grelles Licht tauchend, aber sie dennoch nicht verurteilend. „Schaut her, so ist es“, scheint mir Yates zu sagen. Er hat, so glaube ich auch, sehr genau gewusst, dass er seinen Lesern quasi ein Lehrstück präsentiert, dass aber das Leben genau so weitergehen wird, wie er es beschrieben hat.

  • 1975 erschien bei Volk und Welt, Berlin, eine Übersetzung des Romans unter dem Titel „Das Jahr der leeren Träume“. Für die Übertragung sorgte Heide Lipecky. Diese Ausgabe habe ich jetzt auch gelesen, es gibt sie noch zuhauf antiquarisch.


    Mein Englisch ist nicht gut genug, um auch das Original zu Rate zu ziehen, mir erscheint aber die Übersetzung von Hans Wolf („Zeiten des Aufruhrs“) gelungener. Natürlich ist die Geschichte per se bei beiden Übertragungen identisch, aber es gibt doch deutliche Unterschiede, die für mich vielem einen anderen Anstrich en detail verleihen. Lipeckys Übersetzung erschien mir – selbst wenn ich den inzwischen vergangenen Zeitraum berücksichtige - teilweise etwas betulich, sie vermittelte mir nicht dieses Glasklare der Wolfschen Übertragung und verliert für mich dadurch deutlich an Schärfe. Auch habe ich es nicht als so gelungen empfunden, den Text allzu sehr an deutsche Begrifflichkeiten anzulehnen, z. B. „Sie hat Hand an sich gelegt, Shep. Sie hat sich selbst umgebracht“ (bei Lipecky, Seite 376) statt „Es war ihr eigener Entschluss, Shep. Sie hat sich umgebracht“ (bei Wolf, Seite 341), „Hörapparat“ (bei Lipecky) statt „Hörgerät“ (bei Wolf), „Laß man“ (bei Lipecky, Seite 47) statt „In Ordnung“ (bei Wolf, Seite 45). Es gibt etliche solcher Kleinigkeiten, die in der Summe eben doch keine Kleinigkeit mehr ausmachen, mir gar einen anderen Eindruck von den Protagonisten oder Szenen vermitteln (beispielsweise Mrs. Givings, die bei Lipecky eine Frau ist“ die ständig an die Scheidung dachte“ (Seite 186), bei Wolf ist es ihre Ehe, die „andauern auf der Kippe stand“ (Seite 170)).


    Im Ergebnis bleibt, dass die Übersetzung von Heide Lipecky mir nicht sonderlich gefallen hat; sie hätte mich nicht animiert, mich einer weiteren Yates-Lektüre zu unterziehen.