Die besten Geschichten schreibt das Leben selbst, man muss nur ein wenig danach suchen. Gerd Schneider hat in Kafkas Leben so eine rudimentäre Geschichte gefunden und sie in eine liebevolle Rahmenhandlung eingepflegt.
Der letzte Lebensabschnitt Kafkas wurde durch die Schwindsucht zunehmend bestimmt. Doch der glückliche Umstand Dora kennengelernt zu haben und das bisschen verbleibende Zeit mit ihr zu verbringen, lässt Kafka etwas aufblühen. Aber die drohende Inflation, der Mangel an Geld und das politische Brodeln werfen ihren langen Schatten. Als Kafka im Stadtpark eines Tages auf ein Mädchen trifft, das seine Puppe verloren hat, stürzt er sich in die Welt kindlicher Fantasie und schickt die Puppe auf eine Reise. Der ernste Dichter selbst ist der Puppenpostbote und liest Lena jeden Tag einen neuen Brief ihrer Puppe vor. Er hat jetzt eine weitere Aufgabe, der er sich voller Inbrunst widmet, und bei der er weiter aufblüht, weitere Kraft schöpft.
Sprachlich versucht Gerd Schneider die Schreibweise Kafkas aufzugreifen, was ihm teilweise recht gut gelingt. Das mag aber eventuell auch an existieren Briefen von Ottilie oder auch Dora liegen. Hier darf man nicht allzu leichte Kindergeschichtenerzählkost erwarten. Allein vom sprachlichen Aspekt würde ich das Buch ab 12 Jahren oder älter empfehlen.
Was mich aber sehr gestört hat ist, dass Franz Kafka in der Erzählung auch mal zu Frank gemacht wurde. Da es sich aber um eine reale Person handelt, stört mich dieser Fehler mehr als bei anderen Protagonisten. Das Lektorat finde ich allgemein überarbeitungsbedürftig.
Zudem finde ich die Rahmenhandlung zum Ende hin unglücklich gewählt. Mir ist durchaus bewusst, dass es sich um ein Jugendbuch handelt, aber Lena und Pavel wie durch ein Wunder aus Theresienstadt entkommen zu lassen, finde ich unnötig. Das zerstört für mich die eigentliche reale Geschichte um Kafkas oder auch Lenas Puppenreise. Hier fließt mir zuviel Fantasie ein, sodass dieses Buch zum Ende hin für mich eher den Charakter eines Märchens aufweist. Natürlich ist die Rahmenhandlung die eigentliche ausgedachte Geschichte, da die Briefe im Laufe der Jahre abhanden gekommen und nicht wieder aufgetaucht sind, in die die Briefe und historischen Fakten aus diversen erhaltenen Briefen und Biografien eingepflegt ist. Doch zuviel Fiktion zerstört für mich persönlich dieses „das Leben schreibt selbst die besten und schönsten Geschichten“ Gefühl, dass ich zu Beginn des Buches hatte.
Trotz der kleinen Kritikpunkte eine liebvolle, wunderschöne Geschichte, die den Weg in jedes Bücherregal finden sollte. Nicht nur Lektüre, sondern Literatur.
8 Punkte