Ninni Holmqvist - Die Entbehrlichen

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    Was ist ein Mensch wert? Was ist eine Frau wert, die alleine lebt, keine Kinder hat, deren Eltern gestorben sind und die vordergründig nichts für die Gesellschaft leistet? In Ninni Holmqvists Gesellschaftsentwurf ist eine solche Frau mit 50 Jahren entbehrlich - und soll ihren Tribut zahlen, indem sie in einer so genannten Einheit lebt. Eine Einheit, in der es ihr nicht schlecht geht, in der sie gut ernährt und medizinisch bestens versorgt wird. Denn sie dient zunächst als Testperson für neue Medikamente. Später muss sie für die "Benötigten" Organe spenden. Und nach fünf bis sechs Jahren in der Einheit endet ihr Leben mit der "Endspende". Ein Wort, das keinen Raum mehr für Fantasie lässt. Holmqvist reiht sich dank ihres distanzierten Stils und der Konsequenz ihrer Gedankengänge in die Riege großer Literatinnen wie Doris Lessing oder Margret Atwood ein. Sie denkt das ökonomische Prinzip der Gewinnmaximierung in ihrer Utopie gegen jedes menschliche Sozialverhalten und ohne Rücksichtnahme auf Gefühle zu Ende. (bl)


    Kurzbeschreibung
    Dorrit Wegner lebt in nicht allzu ferner Zukunft. Sie gehört zu den 'Entbehrlichen' , denjenigen, die ihre Produktivität nicht durch die Geburt eines Kindes unter Beweis gestellt haben. Und so wird sie an ihrem 50. Geburtstag in die 'Einheit' eingewiesen, eine Anlage, die - obwohl mit allem nur erdenklichen Luxus ausgestattet nur einem Zweck dient: Die Bewohner müssen sich für psychologische Tests und Organentnahmen zur Verfügung stellen - bis hin zu einer radikalen Operation, der so genannten 'Endspende' für die 'Benötigten', die zum sicheren Tod des Spenders führt.
    Überraschend schnell gewöhnt sich die eigentlich freiheitsliebende Dorrit in die Einheit ein - bis sie in dem Mitbewohner Johannes die erste große Liebe ihres Lebens findet. Mehr noch: Sie wird schwanger - just in dem Moment, in dem Johannes erfährt, dass er für die finale Operation vorgesehen ist.
    Ein ebenso kluger wie beklemmender Roman, der auf brillante Weise die Abgründigkeit einer Welt vor Augen führt, in der die menschlichen Werte endgültig aufgegeben sind. Ein Text, der gerade darin mit allem Nachdruck auf der Sinnhaftigkeit des Lebens beharrt.


    Autorin:


    Ninni Holmqvist, geboren 1958, debütierte 1995 mit der Novellensammlung Kostym (deutsch: Kostüm).
    2004 erschien ihre Erzählsammlung "Die Verführten" auf deutsch. "Die Entbehrlichen" ist Ninni Homqvists erster Roman, der von der skandinavischen Presse gefeiert wurde.
    Die Autorin lebt in Südschweden, wo sie neben ihrer schriftstellerischen Arbeit als Übersetzerin aus dem Dänischen und Englischen tätig ist.


    Meine Meinung:


    Das Buch hat mir sehr gut gefallen, das Thema war sehr beklemmend.
    Die Vorstellung, als "Versuchskaninchen" allzeit bereit zu sein, jederzeit zur Spende, bzw. Endspende aufgerufen zu werden ist sehr gruselig.
    Zwar haben die Entbehrlichen schöne Randbedingungen - einen Wintergarten, Park, Geschäfte, Kino, Sportanlagen - aber was ist das letztendlich wert?


    Der Roman hat mir auch vom Schreibstil gepackt, sodass ich das Buch kaum aus der Hand legen konnte.
    Ein Buch, was einen nachdenklich stimmt.

    Jeder trägt die Vergangenheit in sich eingeschlossen wie die Seiten eines Buches, das er auswendig kennt und von dem seine Freunde nur den Titel lesen können.
    Virginia Woolf

  • Ein weiteres Buch welches sogleich auf meine Wunschliste verfügt wurde. Aufgrund der sehr informativen Rezi unbedingt ein Buch für mich.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Zitat

    Original von Eli
    Lässt mich sehr an dieses Buch denken.


    Ich danchte auch gleich an Kazuo Ishiguro. Sein Roman
    "Alles, was wir geben mussten" hat mir unglaublich gut gefallen.
    Interessant, wie Ninni Holmyvist sich liest.

    Nicht wer Zeit hat, liest Bücher, sondern wer Lust hat, Bücher zu lesen,

    der liest, ob er viel Zeit hat oder wenig. :lesend
    Ernst R. Hauschka

    Liebe Grüße von Estha :blume

  • Zitat

    Original von levita


    Ich danchte auch gleich an Kazuo Ishiguro. Sein Roman
    "Alles, was wir geben mussten" hat mir unglaublich gut gefallen.
    Interessant, wie Ninni Holmyvist sich liest.


    :write Genau mein Gedanke. Ich stelle das Buch mal auf die Wunschliste um zu vergleichen wie sie das Thema umgesetzt hat.

    „Furcht führt zu Wut, Wut führt zu Hass. Hass führt zu unsäglichem Leid.“

    - Meister Yoda

  • jetzt habe ich mir übrigens "Ishiguro - Alles, was wir geben mussten", ertauscht.
    Habe schon öfters in der Buchhandlung vor diesem Roman gestanden. :-]


    du hast mir das Buch wieder in Erinnerung gebracht. :grin


    :wave

    Jeder trägt die Vergangenheit in sich eingeschlossen wie die Seiten eines Buches, das er auswendig kennt und von dem seine Freunde nur den Titel lesen können.
    Virginia Woolf

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  • Juhuu! Meine Bücherei hatte das Buch. :freude


    Tolles Buch. Es erinnert ein bisschen an "Alles was wir geben mussten", aber während bei Ishiguros Roman das Grauen für mich dadurch entstand, das vieles im Dunkeln gelassen wurde und man sich nur denken konnte, was genau passiert, wird hier alles ganz transparent geschildert. Interessant fand ich auch, dass die Handlung nicht in einer totalitären Gesellschaft stattfindet, sondern in einer Demokratie. Mit dem System nicht einverstanden zu sein und das auch zu sagen, ist ausdrücklich erlaubt.



    Das Buch wird bestimmt zu den Highlights meines Jahres gehören.

  • Ich hatte es als Leihbuch gelesen und konnte es mir dann aber noch als HC ertauschen - als Behaltebuch. :-]

    Jeder trägt die Vergangenheit in sich eingeschlossen wie die Seiten eines Buches, das er auswendig kennt und von dem seine Freunde nur den Titel lesen können.
    Virginia Woolf

  • Ich habe das Buch heute zu Ende gelesen und mir hat es (wie den anderen Eulen hier anscheinend auch) sehr gut gefallen. Regt zum Nachdenken an, ist klar geschrieben und hat gerade die richtige Dicke.


    Zitat

    Original von Delphin




    Ja, genau das fand ich vom Gedanken auch interessant.

    "Es gibt einen Fluch, der lautet: Mögest du in interessanten Zeiten leben!" [Echt zauberhaft - Terry Pratchett]

  • In einer nicht fernen Zukunft lebt Dorrit Weger. Mit ihrem 50. Geburtstag wird sie zu einer "Entbehrlichen", einer Person, die nicht für Nachwuchs gesorgt oder sich so hervorgetan hat, dass sie vermisst werden würde, wie beispielsweise den Gewinn einer Olympiamedaille.
    Die Entbehrlichen werden in Anlagen eingewiesen, in denen ihnen zwar jeglicher Luxus geboten wird, sie aber auch jederzeit für psychologische und medizinische Tests zur Verfügung stehen müssen. Bis es schließlich zur "Endspende" kommt, der Entnahme von lebensnotwendigen Organen für die Spende an einen "Benötigten".
    Dorrit findet nach der üblichen anfänglichen Verzweiflung echte Freunde in ihrer Einheit und in Johannes sogar die große Liebe, die nur überschattet wird von der Angst vor der Endspende. Dann jedoch geschieht etwas Unvorhergesehenes: Dorrit wird schwanger.
    Macht das sie und Johannes nun zu Benötigten, die ihren Wert für die Gesellschaft erwiesen haben?




    ***Meine Meinung***


    Was für ein Buch - es hat mich vollkommen in seinen Bann gezogen und ich hatte es in kürzester Zeit durch, da ich es einfach nicht über mich gebracht habe, es aus der Hand zu legen.
    Erzählt ist die Geschichte aus der Sicht von Dorrit, als Leser hat man Zugang zu jedem Gedanken von ihr, kennt ihre Wünsche und Sehnsüchte, ihre Überzeugungen und jegliche Vorlieben. Trotz der zugegeben etwas beklemmenden Atmosphäre blitzt auch immer wieder ein Funke Humor durch, das Annehmen des eigentlich unerträglichen Schicksals. Und was für ein Schicksal das ist! Alle möglichen und unmöglichen Versuche über sich ergehen zu lassen, beobachten an welchen Nebenwirkungen die Freunde leiden und wie sie langsam aber sicher dahin schwinden, wie der so genannte Generationswechsel vor sich geht. Immer mal wieder wird transplantiert, mal eine Niere, die Hornhaut eines Auges, Gehörknöcheln, ein Stück Leber oder was auch immer.
    Ich war völlig gefesselt und wollte so schnell wie möglich erfahren, wie die Geschichte von Dorrit ausgeht, hatte auch eine ungefähre Vorstellung im Kopf, muss aber sagen, das mich das Ende dann doch überrascht hat. Mit allem hätte ich gerechnet, jedoch nicht mit dieser Möglichkeit. Jedoch passt das Ende wunderbar zum Buch.
    Sprachlich befindet sich das ganze nicht auf höchstem Niveau, sondern ist so geschrieben, wie du und ich eine Geschichte erzählen würden, man hat teilweise das Gefühl mit Dorrit bei einer Tasse Kaffee auf dem Sofa zu sitzen und ihr zuzuhören.
    Das Buch hat mich stark berührt, nicht nur durch die Erzählweise, sondern auch das Thema selbst. Eigentlich ein unvorstellbares Szenario, oder? Und dennoch, wer weiß was in manchen Köpfen vor sich in brodelt, wie praktisch wäre das doch, so genannten Entbehrlichen nicht Rente zahlen zu müssen, sondern genügend menschliches Material für alle möglichen Zwecke zur Verfügung zu haben. Die Autorin zeigt jedoch geschickt auch die Nachteile eines solchen Szenarios auf.
    Ich empfehle dieses Buch vorbehaltlos weiter und vergebe alle Sterne.

    Ich lese grade:


    Der Herr des Turms - Anthony Ryan
    ________
    Save the earth - it's the only planet with chocolate!

  • Meine Meinung


    Die Geschichte spielt in Skandinavien in nicht allzu ferner Zukunft und wird aus der Sicht von Dorrit Wegner erzählt. Die Veränderungen in der Gesellschaft werden gut beschrieben, welche immer noch eine Demokratie ist, aber genau definiert, wer „Entbehrlich“ ist und sich in den Dienst der Gesellschaft stellen muss – mit Teilnahme an Versuchen und Spenden. Allerdings fragte ich mich beim lesen, ob es medizinisch möglich und sinnvoll ist, Organe eines älteren Menschen einem jungen zu implantieren, da dies meines Wissens derzeit so nicht gemacht wird.
    Leider erzählt der Klappentext schon fast die gesamte Geschichte, was mir etwas die Lesefreude genommen hat. Letztlich war für mich interessant, wie sich Dorrit sich entscheidet und somit das Buch endet.
    Insgesamt war es für mich ganz nett und auch schnell zu lesen, aber dieser Roman wird nicht lange in meinem Gedächtnis verweilen. Die Thematik ist besser als in Julia Zehs Roman „Corpus Delicti: Ein Prozess“ umgesetzt. Als nächstes werde ich „Alles, was wir geben mussten“ von lesen Kazuo Ishiguro.

    „Die Tränen, die wir weinen, verdunsten vielleicht, aber sie verschwinden nicht.“
    (Zwischen zwei Träumen von Selim Özdogan)


    Mein Tauschregal

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