"Ruf mich bei Deinem Namen" - André Aciman

  • Zum Buch


    Völlig unvorbereitet trifft Elio seine erste große Liebe: Oliver ist für sechs Wochen bei Elios Familie an der italienischen Riviera zu Gast, wo der Harvard-Absolvent sein Buch über Heraklit beenden will. Oliver, der wie Elio jüdische Wurzeln hat, ist weltgewandt, intelligent, schön. Oliver ist alles, was Elio will, vom ersten Moment an. Ein fast unerträgliches Spiel von Verführung und Zurückweisung beginnt und wächst sich allmählich zur Geschichte zweier Seelenverwandter aus, die wissen, dass diese Liebe die vollkommenste und zugleich unmöglichste ihres Lebens sein wird.


    In einem kurzen Sommer zwischen Obsession und Angst, Verlangen undVerzweiflung suchen zwei Menschen nach dem Augenblick der absoluten Erfüllung: dass jeder sich in den Andern verwandle.


    Über den Autor


    André Aciman wurde 1951 in Alexandria, Ägypten, geboren. Nach einigen Jahren in Rom ließ er sich 1969 in New York nieder, wo er mit seiner Frau und seinen Kindern lebt. Aciman ist Romanautor, Essayist und Dozent für Vergleichende Literaturwissenschaft. Er gehört zu den führenden Proust-Spezialisten. Auf Deutsch liegen seine autobiographischen Bücher Damals in Alexandria und Hauptstädte der Erinnerung vor.


    Meine Meinung


    Dem Autoren gelingt es gut, die Atmosphäre eines drückend heißen Sommers in Italien einzufangen. Er beschreibt mit einer sehr poetischen Sprache die Landschaft, die Form der Aprikose und jeden Gedankengang des Ich-Erzählers. Die beiden Protagonisten schleichen umeinander herum, wie die Katze um den heißen Brei. Sie nähern sich an, dann gehen sie wieder auf Distanz. Es knistert und knistert, obwohl lange Zeit passiert überhaupt nichts passiert, außer einem keuschen Küsschen und ein bisschen Füßeln unterm Tisch. Es hat mich wahnsinnig gemacht. Immer wenn sie sich grad überwunden hatten, sind sie wieder einen Schritt rückwärts gegangen. Mir war das Buch zu langsam, wobei man dem Autor lassen muss, dass es ihm gelungen ist, den Zeitraum von sechs Wochen endlos erscheinen zu lassen. Das ist eins von den Büchern, bei denen ich denke, dass sie gut sind, nur nicht das richtige Buch für mich.
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  • Zitat

    Original von Delphin
    Mir war das Buch zu langsam, wobei man dem Autor lassen muss, dass es ihm gelungen ist, den Zeitraum von sechs Wochen endlos erscheinen zu lassen.


    Der Titel hat was! Aber genau der Satz, den ich zitiert habe, schreckt mich ab, das Buch zu kaufen!
    Ist dann wohl leider doch kein Buch für mich.


    Danke für die schöne Rezi, Delphin!!!

    Liebe Grüße,
    Ninnie



    Es ist ein großer Vorteil im Leben, die Fehler, aus denen man lernen kann, möglichst früh zu begehen.
    Sir Winston Churchill 1874-1965

  • Zitat

    Original von ninnie


    Der Titel hat was! Aber genau der Satz, den ich zitiert habe, schreckt mich ab, das Buch zu kaufen!
    Ist dann wohl leider doch kein Buch für mich.


    Wobei ich das gar nicht unbedingt so negativ gemeint hatte. Eher so, dass ich früher als Kind das Gefühl hatte, dass sechs Wochen Sommerferien endlos sind, und dass es ihm gelungen ist, dieses Gefühl in mir hervorzurufen. Wenn es darum geht, eine bestimmte Atmosphäre zu erzeugen, dann war das Buch klasse. Aber ich war wohl zu ungeduldig für das Buch. :lache

  • Mist! Das hättest du nicht relativieren sollen. Das war nicht nett! :lache


    Jetzt ist es doch auf der Wunschliste gelandet.
    Der Titel fasziniert mich einfach.

    Liebe Grüße,
    Ninnie



    Es ist ein großer Vorteil im Leben, die Fehler, aus denen man lernen kann, möglichst früh zu begehen.
    Sir Winston Churchill 1874-1965

  • Ich kann bestätigen, was Delphin geschrieben hat... die sechs Wochen Sommeraufenthalt von Oliver in Italien dauern gefühlte sechs... Monate... mindestens. Aber dabei fühlt man genau die Hitze Italiens, die laziness von Sommerferien, das endlose Flirten, die Unsicherheit der Gefühle, die Sehnsucht.


    Das Buch reicht über eine Spanne von rd. 20 Jahren, der Schwerpunkt sind aber diese sechs Wochen Sommerferien in dern 80ern. Das Buch endet dann in der heutigen Zeit


    Ein wunderschöner Roman und irgendwie genau das Richtige für graue Dezembertage ;-) Wobei, vielleicht doch nicht, weil ich jetzt auch gerne Sommerferien in einer italienischen Villa hätte. :weihnachtsbaum

  • Delphin, gelungene Rezi. Ich habe es dank dir auch gelesen.


    Ich kann nur bestätigen, dass die sechs Wochen wirklich viel länger wirken. Was sehr angenehm ist und einem das Gefühl von Endlosigkeit gibt.
    Das ständige Hin und Her zwischen den Protagonisten, die Gedanken und Träume des Ich-Erzählers und die Hitze des italienischen Sommers lassen einen so in dem Buch versinken, dass man sich die Erlösung wünscht. Da stimme ich Delphin zu. Jedoch verliert sich das mit der Zeit und plötzlich sind die letzten zwei Wochen von Olivers Besuch angebrochen. Man fragt sich wie es weitergeht. Und dann kommt der Sprung in spätere Jahre. Das finde ich sehr gelungen vom Autor.
    Das Ende dieses Buches finde ich einfach großartig. Obwohl es weder ein Happy-, noch Sad-End ist, hat es mich zu Tränen gerührt. Und ich hatte den Eindruck, dass die ganze Geschichte auf dieses Ende hinarbeitet - einfach wunderbar.


    Ein herrliches Buch, das mich den grauen Winter vergessen ließ und mich tief berührte.

    Man kann sich nicht an etwas festhalten, ohne mitgerissen zu werden.

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  • Der 24jährige Oliver verbringt den Sommer bei einer Familie in Italien, um dort in Ruhe an einem Manuskript zu arbeiten. Elio, der Sohn des Hauses, ist von Anfang an gebannt von dem sieben Jahre älteren Studenten und kann es nicht lassen, immer wieder seine Nähe zu suchen. Doch der scheint ihn absichtlich auf Distanz zu halten.
    Mit seinen Gefühlen überfordert taumelt Elio durch den Sommer, bis Oliver sich schließlich von einer anderen Seite zeigt. Die beiden Männer beginnen eine zarte, aber auch leidenschaftliche Liebelei, deren Ausgang stets im Dunklen liegt – bis zu dem Tag, an dem Oliver wieder in die Staaten fliegt…


    Ich muss gestehen, dass es mir ein bisschen schwer fiel, mich in die Materie einzulesen. Nicht wegen der Thematik, sondern weil das erste Drittel des Buches hauptsächlich in Elios Gedanken- und Gefühlswelt spielt. Die ist zum einen etwas wirr und zum anderen manchmal sehr ausschweifend. Der Leser wird sofort in Elios Innenleben geworfen und bekommt die äußeren Geschehnisse nur häppchenweise serviert, fast so, als würde man vom Meeresgrund langsam an die Oberfläche tauchen, anstatt andersrum.
    Nach diesem Abschnitt entwirren sich die Fäden jedoch langsam und die Handlung nimmt ihren Lauf. Wo zu Beginn verhältnismäßig wenig passiert, häufen sich nun die Ereignisse, ohne dabei an Tiefgang zu verlieren. Man spürt die italienische Sonne auf der Haut, kann das Meer riechen und zugleich Elios Verzweiflung mitfühlen.


    „Ruf mich bei deinem Namen“ ist ein sehr sinnliches Buch. Mit etwas Phantasie kann man es riechen, schmecken und auch ertasten, was einen sehr intensiven Eindruck hinterlässt. Die Liebe mit all ihren Facetten wird hier auf nackte, unverblümte Weise dargelegt. Ebenso spielen Verlust und Erwachsenwerden eine große Rolle.


    Im Nachhinein habe ich es nicht bereut, dieses wunderbare Buch nach dem wirren Anfang weiter zu lesen und wurde gefangen genommen von den großen Gefühlen und schönen Bildern. Zu Tränen gerührt hat es mich nicht und ich fand es auch nicht traurig, weil die Aussage des Buches für mich eine sehr schöne ist: Wenn du im Leben jemanden findest, mit dem dich etwas ganz besonderes verbindet, dann halte an dem, was ihr habt, fest – weil es dich warm macht, ohne zu zerstören.


    Empfehlenswert!

  • Meine Meinung:


    Es ist kein Liebesroman. Es ist ein Sehnsuchtsroman.


    Der 17-jährige Elio weiß um seine homosexuellen Neigungen, auch wenn er sie zu verdrängen versucht. Doch die künstlich errichteten Schranken kommen ins Wanken, als er Oliver kennenlernt. Ab diesem Moment beginnt ein innerer Kampf, ein Wechselbad der Gefühle, das zwischen Begehren, Sehnsucht, Verzweiflung, Traurigkeit und Aufbegehren schwanken.


    Elio kann Oliver nicht einschätzen, fühlt sich von ihm brüskiert und zurückgewiesen. Er versucht auf Distanz zu gehen, kann der Anziehungskraft des sieben Jahre älteren Mannes jedoch nicht widerstehen.


    Elio ist der Ich-Erzähler dieses Romans. Der Leser erhält tiefe Einblicke in seine Gedanken und Gefühle, weiß in Bezug auf Oliver nicht mehr als er. Man hofft, bangt, zweifelt und fühlt mit Elio, wird eingefangen von der Schwüle des italienischen Sommers, der diese Geschichte durchdringt.


    „Ruf mich bei deinem Namen“ ist ein gefühlvolles, ein eindringliches, ein sinnliches Buch. Wer jedoch explizite Sexszenen erwartet, wird enttäuscht. Und doch wuchert der Autor mit Szenen höchster Intimität, die atemlos machen. Wer wissen will, wie Lust, ein reifer Pfirsich und eine zu Herzen gehende Geste tiefer Liebe zusammenhängen, der muss dieses Buch einfach lesen. Ebenso, wenn man den Sinn des Titels begreifen will. Er ist die Essenz der Verbindung, die zwischen Elio und Oliver existiert.


    Lange habe ich über den Handlungszeitrahmen gerätselt, bis er relativ spät im Buch erwähnt wurde: Gezeigt wird ein Sommer in der Mitte der 1980er-Jahre. Meiner Meinung nach ist der zeitliche Bezug wichtig für die Geschichte, um den gesellschaftlichen Umgang mit Homosexualität in Relation setzen zu können.


    Und dann gibt es noch diese Textstellen, die zum mehrmaligen Lesen einladen, weil sie so kraftvoll, so wahr und einfach schön sind:


    S. 82
    Wollte ich sein wie er? Wollte ich er sein? Oder wollte ich ihn nur haben? Oder sind „sein“ und „haben“ völlig unzureichende Vokabeln in dem verschlungenen Strang des Begehrens, wo es auf das Gleiche herauskommt, ob man eines Menschen Körper zum Berühren hat oder der Jemand ist, den wir so gern berühren möchten – gegenüberliegende Ufer eines Flusses, der von uns zu ihnen geht, zurück zu uns und wieder hin zu ihnen in ewigem Kreislauf, wo den Kammern des Herzens – wie den Falltüren des Begehrens und den Wurmlöchern der Zeit und den Schubfächern mit dem falschen Boden, die wir Identität nennen – eine verführerische Logik eignet, nach der die kürzeste Entfernung zwischen dem wirklichen und dem ungelebten Leben, zwischen dem, was wir sind und was wir wollen, eine mit der koboldbösen Grausamkeit eines M.C. Escher konstruierte Wendeltreppe ist.


    Ich gebe 9 von 10 Punkten.