'Die Lagune des Löwen' - Teil 2

  • Puuuh, mein lieber Mann, da müssen unsere Helden ja so einiges ertragen :-( Gerade solche Szenen wie die in dem Waisenhaus kann ich nicht so gut haben, aber die Länge ging noch, sonst hätte ich überblättert...


    Die Zeichnung der Figuren gefällt mir sehr gut, sie sind so lebendig, dass man sie förmlich neben sich sieht, super! :-) (Wobei so manche froh sein können, dass sie das nicht tatsächlich tun, sonst... :schlaeger)

  • Diesen Abschnitt habe ich mittlerweile auch beendet. Die wechselnden Errzählstränge treiben die Handlung und mich als Leserin fast unbarmherzig voran, ich ertappe mich schon wieder dabei, das Buch nicht vor dem Aussteigen aus der U-Bahn wegzustecken, sondern die 2 Minuten auf der Rolltreppe noch zu nutzen, um noch ein paar Sätze lesen zu können.
    Sehr schön ausgestaltet ist für mich auch der Rahmen, es ist nicht alles eitel Sonnenschein, sondern auch die Schattenseiten werden deutlich aufgezeigt.
    Ich fühle mit den Figuren mit, möchte mich am liebsten mit Antonio zusammen auf Cattaneo stürzen. Alles ist sehr lebendig, plastisch, zum Greifen nahe.

    :lesendR.F. Kuang: Babel


    If you don't make mistakes, you're not trying hard enough. (Jasper Fforde)

  • Dieser Teil hatte einen entscheidenen Vorteil: Die Personen sind nun zusammen, so dass keine abrupten Wechsel mehr stattfinden. Trotzdem liest es sich weiterhin spannend und unterhaltsam.


    Die Waisenhausszene mit der Obernonne fand ich voll daneben, aber sie war kurz genug, dass ich sie nicht überblättern musste. Nicht vom Schreibstil, sondern einfach vom inhaltlichen.


    Mir gefällt die Schilderung Venedigs, ich kann mich richtig gut hinein versetzen, wie es an Karneval zugegangen sein muss.


    Zu Carlo: Ich dachte erst, dass er ja auffallen muss wie ein bunter Hund, aber später wird berichtet, dass es noch mehr Schwarze in Venedig gibt. Aber immerhin muss/kann er nicht stehlen.


    Anscheinend war es damals üblich, dass die Gassenkinder stahlen, so kam es mir zumindest vor. Etwas später kommt auch dazu noch eine Bemerkung. Schlimm, dass soviele anscheinend drauf angewiesen waren. Wobei wiederum später Crestina (die Apothekerin) meint, dass niemand in Venedig verhungern muss. Fand ich etwas widersprüchlich. :gruebel


    @ Charlotte: Wird die Sensa auch heute noch gefeiert oder war das ein historisches Fest?


    Ich bin sehr gespannt, wie sich der Jude Mosè noch ins Leben Antonios einmischt. Ich hab den Eindruck, dass er ihn mag und ihm Gutes will, immerhin versucht er, ihn auf den rechten Weg zu bringen.


    Cattaneo, was für ein Ar... Und wie seltsam ist das alles, Kinder opfern? Anscheinend in Zusammenarbeit mit der Nonne? Wundert mich nicht, dass die Hausangestellten ihren Mund halten, einfach aus Angst vor ihrem Leben.


    Der Teil endet wieder sehr spannend, typisch, dass einem Kaufmann eher Glauben geschenkt wird als Straßenkindern. War ja in vielen Fällen wahrscheinlich berechtigt, aber Cattaneo wird bestimmt nicht aufgeben, Laura zu kriegen.

  • Zitat

    Original von geli73
    Anscheinend war es damals üblich, dass die Gassenkinder stahlen, so kam es mir zumindest vor. Etwas später kommt auch dazu noch eine Bemerkung. Schlimm, dass soviele anscheinend drauf angewiesen waren. Wobei wiederum später Crestina (die Apothekerin) meint, dass niemand in Venedig verhungern muss. Fand ich etwas widersprüchlich. :gruebel


    @ Charlotte: Wird die Sensa auch heute noch gefeiert oder war das ein historisches Fest?


    Hallo Geli,


    dass "niemand verhungern musste" zu der Zeit in Venedig, bedeutete lediglich, dass es Nahrungsmittel in ausreichender Menge gab, aber die musste man sich natürlich kaufen :-) (es sei denn, man stahl sie :-)


    Die Sensa wird immer noch gefeiert, mit einem Aufzug historischer Boote von San Marco bis zum Lido, wo dann der Bürgermeister den Ring ins Meer wirft.


    LG,
    Charlotte T.

  • Dazu noch eine andere Frage- ich habe gerade nichts gefunden, aber irgendie habe ich mal gehört die Venezianer planten einen Nachbau des Dogenschiffes- weißt du was da drüber?


    Warst du schon mal bei einer Vermählung mit dem Meer dabei? Himmelfahrt ja diesmal knapp verpasst :grin


    edit : Canaletto verlinkt.

    Nemo tenetur :gruebel


    Ware Vreundschavt ißt, wen mahn di Schreipfelerdes andereen übersiet :grin


    :lesend  :lesend

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  • Zitat

    Original von beowulf
    Dazu noch eine andere Frage- ich habe gerade nichts gefunden, aber irgendie habe ich mal gehört die Venezianer planten einen Nachbau des Dogenschiffes- weißt du was da drüber?


    Warst du schon mal bei einer Vermählung mit dem Meer dabei? Himmelfahrt ja diesmal knapp verpasst :grin


    edit : Canaletto verlinkt.


    Hallo Beo,


    ja, davon habe ich auch gehört, aber das eigentliche Problem wäre wohl, wohin mit dem Schiff bzw. wer fährt damit. Zu Zeiten der Republik mussten über 160 Ruderer das Schiff bewegen, das mehr als 40 Meter lang war, also ein ganz schöner Brocken. Ein kleines sehenswertes Modell steht übrigens im venezianischen Marinemuseum, lohnt sich sehr, das anzuschauen.


    Die Sensa habe ich einmal "gesehen", aber bei dem ganzen Rummel war nicht viel mitzukriegen, abgesehen von dem Trödelmarkt, der dort hinterher stattfand.


    LG,
    Charlotte T.

  • Wie bunt ist Venedig eigentlich heute, Charlotte? Ich bin immer ganz fasziniert, wenn ich in Deinem Buch von den farbigen Fresken und Fassaden lese. Bei Venedig habe ich immer Bilder von abblätternden Fassaden und ausgebleichten Farben im Kopf.

  • Zitat

    Original von Bouquineur
    Wie bunt ist Venedig eigentlich heute, Charlotte? Ich bin immer ganz fasziniert, wenn ich in Deinem Buch von den farbigen Fresken und Fassaden lese. Bei Venedig habe ich immer Bilder von abblätternden Fassaden und ausgebleichten Farben im Kopf.


    Hallo Anke,


    von bunt kann heute gar keine Rede mehr sein, die alten Palazzi sind tatsächlich eher bleich, höchstens mal ocker oder rötlich, meist aber pflegt man diese eher farblose, vornehm blasse Patina und behält das auch bei Restaurierungen bei. In der Renaissance waren aber die Häuser der Reichen tatsächlich vielfach bunt bemalt, wie man heute noch auf alten Gemälden erkennen kann. Marmorinkrustationen an den Fassaden waren wegen des Gewichts nur eingeschränkt möglich und blieben meist den Sakralbauten vorbehalten, und so griffen die Adligen für ihre Prachthäuser gern auf die Fresken zurück.


    Richtig knallbunte Häuser gibt es übrigens heute noch an einer Stelle in Venedig - auf Burano :-)


    LG,
    Charlotte T.

  • Nachdem ich gestern noch den zweiten Teil angefangen habe, musste ich heute einfach weiterlesen und habe alles andere stehen und liegen gelassen.


    Das Buch zieht mich förmlich in seinen Bann.
    Von den bunten Fresken ist ja in Venedig nicht viel übrig geblieben. Und obwohl es schon lange her ist, dass ich in Venedig war, kann ich die Orte doch teilweise vor mir sehen, wenn ich die Beschreibungen im Buch lese.


    Die Kinder haben alle ihre ganz eigenen Charaktere und mal fühlt förmlich mit ihnen. Ich hoffe sehr, dass Antonio über den Juden auf den rechten Weg findet. Im Moment scheint es nur nicht so darauf hinauszulaufen. Er rettet Laura ja das Leben und bringt sich selbst dafür in Gefahr.


    Jetzt werde ich schnell weiterlesen, um zu erfahren wie es weitergeht. :lesend

  • Zitat

    Original von beowulf
    Ein 8.95 € Taschenbuch von ich weiß-nicht-wem als Autor würde ich auf Seite 150 abbrechen- ich weiß für mich sicher worauf das mit dem Waisenhaus hinausläuft ...


    @ Charlotte


    ich hatte bei dieser Szene den Eindruck, daß Du es bewußt darauf anlegst, daß der Leser ahnt, worauf es hinauslaufen wird und Du dies auch insbesondere durch die Darstellung der Person, durch Charakterisierung nach einem bestimmten Klischee erreichst.


    Sehe ich das richtig oder liege ich da falsch? Und wenn das so ist, warum entscheidest Dich für diesen Weg und überraschst den Leser nicht damit, daß eine Figur sich so zeigt, der man das praktisch gar nicht zutraut?


  • Hallo Pelican,


    zu der Szene wollte ich schon die ganze Zeit was sagen, wollte aber abwarten, bis eine konkrete Frage dazu kommt.


    Für mich war das die schwerste Szene in dem ganzen Roman, schlimmer als all die Sterbeszenen. Ich konnte sie zuerst überhaupt nicht schreiben und habe, was ich sonst nie tue, die Ausführung an dieser Stelle ausgespart und sie erst in Angriff genommen, als das Buch fertig war. Normalerweise schreibe ich strikt chronologisch, Szene für Szene, entsprechend meinem Kapitel-Exposé. Das war mir an der Stelle nicht möglich.


    Für mich hat sich bei der Schaffung dieser antagonistischen Figur die Frage gestellt, welches ist - auch für den Leser - das schlimmstmögliche Feindbild, eingehergehend mit einem Trauma, das einerseits Angst und Abscheu auslöst, andererseits aber die Hauptfigur nicht zu nachhaltig beschädigt, zugleich aber, und das ist der springende Punkt, eine Feindschaft auf Leben und Tod etabliert, ohne Kompromisse, mit allen einhergehenden Notwendigkeiten wie Flucht, Verteidigungsbereitschaft, bis hin zur Entschlossenheit, zur Abwehr des Bösen zu töten.


    Der ganz "normale" Böse bietet dem Leser nicht das ultimative Konfliktpotenzial, d.h. löst nicht in so starker Form den unbewussten Wunsch aus, sich mit der Hauptfigur emotional zu identifizieren. - Was aber nicht heißt, dass nicht in jedem Roman auch diese gebrochenen Figuren vorkommen sollen; ein "Ensemble" aus mehreren Antagonisten sollte bei so vielen Handlungsträgern stets vorhanden sein.


    Die Figur des Cattaneo habe ich übrigens einer historischen Figur nachempfunden, die tatsächlich gelebt hat und auch in dem Roman namentlich Erwähnung findet. Diese Figur hat mich sozusagen inspiriert, sie war aus meiner Sicht der Inbegriff des Schreckens, böser ging nicht.


    Dass die Etablierung dieses Konflikts in einem Waisenhaus stattfindet, erfüllt natürlich in gewisser Weise ein Klischee, aber solche Dinge spielen sich auch in der Realität vor solchen Klischeekulissen ab; ich erinnere nur an den grausigen Fall, der sich vor Jahrzehnten auf einer englischen Kanalinsel zugetragen hat und erst vor Kurzem aufgedeckt wurde. Die Personen, die sich schuldig machen, stecken in Klischeerollen, die Betroffenen sind in Klischeesituationen.


    Was Beo sagt - dass es quasi schon darauf hinauslief - war so gedacht und hat es nach meinem Dafürhalten vielleicht für den Leser aushaltbarer gemacht, als wenn der Übergriff auch noch mit Schockeffekt von unerwarteter Seite kommt.


    LG,
    Charlotte T.

  • Zitat

    Original von Charlotte T.
    Die Figur des Cattaneo habe ich übrigens einer historischen Figur nachempfunden, die tatsächlich gelebt hat und auch in dem Roman namentlich Erwähnung findet. Diese Figur hat mich sozusagen inspiriert, sie war aus meiner Sicht der Inbegriff des Schreckens, böser ging nicht.


    Ich grüble gerade, ob ich dieser Person im Buch schon begegnet bin, der Cattaneo nachempfunden ist. Ich bin jetzt ungefähr auf Seite 500 :gruebel

  • Kurzbeschreibung


    Der Waffengefährte der Jeanne d'Arc und Marschall von Frankreich, Gilles de Rais, war zugleich ein monströser Massenmörder unzähliger Kinder, die seine Vertrauensleute unter verlockenden Versprechungen in seine Schlösser brachten, wo sie als Opfer der schwarzen Magie im Verlauf orgiastischer Gelage auf grauenhafte Weise geschächtet und verstümmelt wurden. Georges Bataille schildert das entsetzliche Geschehen an Hand der Protokolle des weltlichen und des kirchlichen Prozesses und entwickelt eine psychologisch fundierte Philosophie des Verbrechens.

  • danke für deine interessante, nachvollziehbare und ausführliche erklärung zum entstehen dieser szene, charlotte! :anbet
    während ich dieses kapitel las, läutete bei diesem namen ein "erinnerungsglöckchen" bei mir.
    kannst du einen historischen roman dazu empfehlen?
    ich würde über diese person gern mehr wissen und erfahre näheres im allgemeinen gern in historische romane verpackt. wie gesagt, es geht um die person, wie jemand so werden konnte... nicht um meine faszination am thema als solchem. es wäre daher schön, wenn der roman mit diesem unappetitlichen thema ebenso appetitlich umgehen würde wie du
    ((un)appetitlich ist in diesem zusammenhang zwar schlimm, aber ich weiß leider nicht, wie ich es besser formulieren soll!).
    :wave

    "Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Leute ohne Laster auch sehr wenige Tugenden haben." (A. Lincoln)

  • Hallo Drehbuch,


    damals hatte ich mir zur näheren Information das von Beo (danke, Beo!) genannte Buch aus der Fernleihe bestellt. Einen Roman zu dem Thema habe ich nicht gelesen, aber offenbar existiert einer (s. u.). Ob es allerdings ein historischer Roman im engeren Sinne ist, kann ich nicht sagen.


    LG,
    Charlotte T.

  • @ beowulf: dein posting war noch nicht sichtbar, als ich meines schrieb (irgendwie hab ich sehr lange an der "appetitlichen" formulierung gebastelt (und war am ende doch nicht ganz zufrieden*g*).


    @ charlotte t.: danke auch für deine antwort!


    jetzt weiß ich auch, woher das glöckchen kam... in zusammenhang mit jeanne d´arc muss der herr mir vor einigen jahren schon einmal literarisch über den weg gelaufen sein...
    :wave

    "Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Leute ohne Laster auch sehr wenige Tugenden haben." (A. Lincoln)

  • Danke für die Aufklärung. Ich habe da offenbar tatsächlich eine Bildungslücke, denn das war mir bislang nicht bekannt bzw. sagte mir der Name Gilles de Rais nicht wirklich viel, muss ich zugeben. Das historische Frankreich ist nicht unbedingt mein "Spezialgebiet". Werde mich aber schnellstmöglich bemühen, die Bildungslücke zu schließen....