Hermann Hesse in Augenzeugenberichten/Herausgegeben v. Volker Michels

  • Klappentext:
    Hermann Hesse, am 2. 7. 1877 in Calw als Sohn eines baltendeutschen Missionars und einer württembergischen Missionarstochter geboren, 1946 ausgezeichnet mit dem Nobelpreis für Literatur, starb am 9. 8. 1962 in Montagnola bei Lugano.


    Wenige Autoren haben sich für die Wirkungen ihrer Bücher so verantwortlich gefühlt wie dieser Schriftsteller, der im Laufe seines Lebens nicht nur Zehntausende von Leserzuschriften beantwortet, sondern gewiss auch ebenso viele Besucher empfangen und sich ihrer Probleme angenommen hat. Einige von ihnen haben ihre Eindrücke auch schriftlich überliefert, Prominente wie Unbekannte. Sie kommen in diesem Band zu Wort und entwerfen uns Bilder von diesem Schriftsteller, die seinen Werdegang von der Jahrhundertwende bis ins hohe Alter begleiten. Neben Schilderungen von Autorenkollegen wie Romain Rolland, Max Brod, Hans Carossa, Ernst Penzoldt, Hilde Domin, Albrecht Goes, Wilhelm Schäfer, Hugo Ball, Bernhard von Bentano, R. J. Humm, Perter Weiss und vielen anderen, von Malern und Verlegern, stehen Berichte von Literaturwissenschaftlern und Journalisten, aber auch von Freunden, Schulkameraden und Hausangestellten. Sie alle tragen dazu bei, die Erinnerung an diesen Dichter lebendig zu halten für jene Generation, in denen kein Augenzeuge mehr befragbar sein wird.



    Der Herausgeber

    Volker Michels, Jahrgang 1943, seit 1970 Lektor für deutsche Literatur im Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, Herausgeber zahlreicher Buchpublikationen, u. a. vieler Werke von und über Hermann Hesse, seiner Gesammelten Briefe, der politischen und kulturkritischen Schriften sowie von Materialienbänden.



    Eigene Meinung

    Dieses Buch hat mir vor allem den Menschen Hermann Hesse wieder ein Stück weit näher gebracht, nicht unbedingt nur den Schriftsteller Hesse, sondern auch Hesse den Maler und Gärtner, Hesse der Gastgeber, der Freund und Berater..….und zwar tut es das auf eine ganz sympathische, viel weniger distanzierte Weise als das in der Regel die herkömmlichen Biografien tun.


    Darin erzählen uns allerlei Zeitgenossen von ihren Begegnungen mit Hesse, von ihren ganz persönlichen Eindrücken, über die ureigensten Erfahrungen die sie mit ihm gemacht haben und die spezielle Wirkung die seine eindrückliche Persönlichkeit bei ihnen hinterlassen hat.
    Es sind dies bekanntere und weniger bekannte Personen die von ihm erzählen: Mitschüler aus der Grundschule und den späteren Jahren im Internat, welche sehr schwierig und prägend waren für den jungen Hesse.
    Der eine und andere lernte ihn in Basel kennen, wo er als Angestellter eines Antiquariats arbeitete.
    Einige berichten von Hesses ersten Erfolgen als Schriftsteller und von Besuchen in Gaienhofen….
    Die meisten Berichte aber fallen in die Zeit Hesses in Montagnola, wo er ja fast die Hälfte seines Lebens verbracht hat.
    Eine langjährige Köchin erzählt von seinen Essgewohnheiten, und wie es sonst so zu und her ging im hess'schen Haushalt , sie berichtet von den diversen Schwierigkeiten die das Personal mit Ninon, Hesses Frau, auszustehen hatte, wie Hesse immer wieder mal auf seine ihm eigene feine Art versuchte, diese Auseinandersetzungen zu schlichten.
    Schriftstellerkollegen wiederum erzählen uns in ihrem ganz eigenen literarischen Stil von Begegnungen mit Hesse, einige davon waren noch ganz junge Studenten, als sie zum ersten Mal den Kontakt zu ihm suchten….der dann aber oft bis zum Tode Hesses anhielt.
    Freunde kommen zu Wort: u. a. der Verleger Peter Suhrkamp, der Maler und Grafiker Gunter Böhmer, der auch in Montagnola wohnte, und der einige Ausgaben von Hesses Büchern illustrierte, Emmy Ball-Hennings erzählt von der ganz besonderen Verbundenheit, die sie und ihr Mann Hugo Ball mit Hesse erfahren durften.
    Bruno und Heiner Hesse erzählen aus der Sicht der Söhne….
    …..und noch ganz viele Zeitzeugen mehr erzählen uns in diesem Buch von diesem ungewöhnlichen Menschen Hermann Hesse.


    All diese Berichte sind, so gut es eben möglich war, in ihrer Aufstellung in den Zeitablauf des Lebens Hermann Hesses eingebunden/aufgelistet.

    Aus diesen vielen Berichten haben sich doch einige markante Eigenschaften und auch einige Macken Hesses herauskristallisiert.
    Vorerst einmal sein Aussehen. Fast ausnahmslos alle berichten davon, dass seine Augen hinter den runden Brillengläsern eines der eindrücklichsten Merkmale waren. Sie waren von einer intensiv-blauen Farbe, und der Blick, der sich auf das Gegenüber richtete war sehr warm und eindringlich zugleich. (Hesse besass übrigens eine riesige Anzahl von Brillen, und alle hatten inetwa das gleiche feine Metall-Gestell, und dieselbe runde Gläserform).
    Die Physiognomie seines Gesichts, die etwas an das Aussehen eines Vogels erinnerte, die Wandelbarkeit seiner Mimik, die sonnengegerbte Haut, die hagere Gestalt, der etwas bäuerisch-breite Gang….Einer schreibt: er hatte keine Frisur :grin (was immer das auch heissen mag), seine saloppe Kleidung, die weiten Leinenhosen, die offenen Hemdenkragen und vor allem der Strohhut mit der breiten Krempe sind auch ein immer wiederkehrendes Thema….
    Alle berichten vom offenen, herzlichen Interesse an seinem Gegenüber, das allen Besuchern schon in den ersten Minuten ihre Befangenheit nahm. Eine seiner ausgeprägten Stärken in der Begnung mit Menschen war, sich selber zurücknehmen zu können, zuhören zu können. Nur ganz wenige berichten, dass er sich mit ihnen über Literatur auseinander gesetzt habe, bei den allermeisten wich er diesem Thema eher aus.
    Von den Besuchern, die aus Nazi-Deutschland kamen, wollte er vor allem wissen, wie sie ihre Zeit dort erlebt haben, wie es dort zu und her ging.
    Einige berichten auch von schwierigen Auseinandersetzungen, von gegenteiligen Sichtweisen und Meinungen die sie mit ihm aus- und überstanden, die sich aber in den meisten Fällen in brieflicher Korrespondenz abspielten.


    Ein Sache, die auch von den allermeisten Berichterstattern angesprochen wird, das ist das berühmte Schild am Eingang zu seinem Anwesen: "Bitte keine Besuche."
    Um dieses Schild ranken sich manche Anekdoten und Gunter Böhmer, der dieses Schild in Hesses Auftrag herstellen und anbringen musste, erzählt uns folgendes darüber:
    [.........] Aerger, Enttäuschung und bitteren Spass bereitete es allerdings auch zahlreichen anderen Betrachtern, zwar kaum auf Grund schriftkünsterlischer Kriterien, eher aus plausibleren Kausalitäten. Diese "Leser" machen sich per Bleistift oder Taschenmesser Luft, und ich musste alle Jahre wieder versuchen, sowohl die Mauerrisse und Schriftabblätterungen auszubessern, als auch diese Herzensergiessungen wieder abzuschaben, und dabei graphologische, charakterologische, psychologische, politologische, soziologische, kosmologische und zoomorphe Erkenntnisse zu sammeln. Von "Wie schade!" bis "Thomas Mann grüsst", von "Na dann nicht!" bis "Du kannst mich!" waren alle Reaktionsarten und Niveaustufen vertreten, und einem Spassvogel war es nahezu gelungen, zwischen "Bitte" und "Besuche" das "keine" wegzukratzen. Hesse ignorierte das alles, oder amüsierte sich gelegentlich darüber. [..........]


    Doch so herzlich und anteilnehmend er sich auf angemeldete Besuche einlassen konnte, so abweisend und harsch reagierte er auf jene „Wallfahrer“, die in ihrer Dreistigkeit bis ins Haus eindrangen. Diese Ströme von Schaulustigen, die an seinem Haus vorbeipilgerten waren ja wirklich ungeheuerlich. Ich selber wüsste von keinem Schriftsteller sonst, die auch nur annähernd Aehnliches ertragen musste.


    Etwas das in diesen Berichten auch immer und immer wieder erwähnt wird, das ist diese Unermüdlichkeit, mit denen Hesse auf nahezu alle Briefe eingehend antwortete, und zwar ging er auf jeden dieser Briefschreiber mit derselben Ernsthaftigkeit ein, egal ob es sich um einfache Menschen handelte, oder um junge und sehr junge Menschen, oder eben um Intellektuelle…..Im Laufe seines Lebens las und beantwortete er so die unvorstellbare Menge von ungefähr 35-tausend Briefen. Manchen davon legte er sogar eines seiner Aquarelle oder/und ein Gedicht bei.
    Hesse war sowieso ein sehr grosszügiger Mensch, im Denken sowie im Geben…..im Gegensatz dazu lebte er für sich selber recht anspruchslos und äusserst sparsam.


    Viele erzählen auch, dass Hesse sie nach dem Essen oder der Tee-Stunde einlud zu einem Rundgang durch die Umgebung, bei welchen er seine Begleiter auf allerlei Kraut und Unkraut aufmerksam machte, er kannte sie alle mit Namen……oder er spielte mit ihnen auf der hauseigenen Bahn eine Partie Boccia …oder er lud sie ein zu einem Gläschen Wein in sein bevorzugtes Grotto.
    So sehr Hesse seine Zurückgezogenheit pflegte, so konnte er im Gegensatz dazu auch wiederum ganz gesellig, ja sogar recht überstellig sein. Er liebte vor allem die etwas skurrilen Spässchen, ….zeigte dem geneigten Zuschauer seine grotesken Tanzeinlagen, konnte sein Gesicht zu allerlei Fratzen verziehen…..


    Es gäbe noch so viel zu erzählen über dieses Buch und über diese fazettenreiche Persönlichkeit Hesses.
    Ich selber kann nur einmal mehr sagen: ich habe mich in seiner „Gesellschaft“ wie immer sehr wohl gefühlt…. ;-)


    Dieses Buch würde ich aber nicht unbedingt als Ersteinstieg in Hesses Leben empfehlen….es ist einfach eine schöne Ergänzung zu einer der üblichen Hesse-Biografien.


    Edit: warum finde ich die Fehler immer erst, wenn das Posting schon abgeschickt ist???
    Und noch etwas am Text rumgefeilt und wenig ergänzt....kommt mir auch immer erst nachher noch das eine und andere in den Sinn :fetch
    So, jetzt reichts mir aber, jetzt lasse ich Fehler einfach Fehler sein :rolleyes

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    "An Joyces Grab verweht die Menschensprache." (Yvan Goll)

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  • Sorry....ich musste unbedingt noch die Geschichte Gunter Böhmers über das berühmte Schild "Bitte keine Besuche" unterbringen, weil ich mich darüber so köstlich amüsierte.


    Das wollte ich nämlich bereits schon als ich die Rezi schrieb, jedoch fand ich Dussel diesen Bericht in meinem Buch einfach nicht mehr. :rolleyes

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  • Danke BronteSisters :wave


    Also, Du meinst wohl Unterricht im Rezi-Schreiben?
    Auwauwauw....also ich bin auch nie wirklich mit meinen Rezis zufrieden. Ich habe immer irgendwie das Gefühl, dass ich nicht den Kern der Sache getroffen hätte, und dass das alle anderen viel besser könnten :rolleyes


    Aber andersrum denke ich dann halt auch - jeder machts so wie er kann, denn das macht ja diese Rezensionen letzlich irgendwie unverwechselbar und charakteristisch .....und genau das hält die Rezensionen-"Abteilung" in Schwung und macht sie reichhaltig.


    Liäbi, uufmunterndi Grüessli noch Frankrich schickt....d'Joan :knuddel1



    Edit: sorry, blöder Schreipveler :rolleyes

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  • Danke für die tolle Rezi Joan! Als "Hessefan" hab ich mir das Buch gleich aufgeschrieben und werde es nächste Woche meinem Buchhändler unter die Nase halten zwecks Bestellung :wave

  • Hesse ist ganz entschieden einer meiner Lieblingsdichter. Danke für diese Rezension, Joan!

    Man sollte nichts auf morgen verschieben, wenn man es genausogut auch übermorgen erledigen kann. (Mark Twain)

  • Guten Morgen nofret und Teck :wave


    Ja, Hesse ist einer jener Menschen aus der literarischen Welt, bei dem ich auch immer gerne verweile.....ich habe ihn im Laufe der Zeit, in der ich mich mit ihm befasste, einfach sehr lieb gewonnen.


    Ein anderes Buch, das ich zum Thema HESSE rezensierte ist ein Briefwechsel zwischen ihm und dem Ehepaar Hugo und Emmy Ball-Hennings.
    Hesse war ja bekannt als fleissiger Briefeschreiber, und seine Briefe haben eine grosse Aussagekraft. Es gibt unzählige solcher Briefwechsel-Bücher, aber von denjenigen, die ich kenne, fand ich diesen hier als einen der schönsten, denn auch Emmy Ball-Hennigs war eine grosse Briefeschreiberin.
    In jenem Rezensions-Thread findet Ihr auch noch ein paar Fotos, die mein Mann bei einem unserer Besuches auf dem Friedhof Sant Abbondio gemacht hat, dort wo Hesse begraben liegt.KLICK

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  • Volker Michels gibt seit ein paar Jahren eine auf zehn Bände angelegte Ausgabe der Briefe Hesses heraus. Nach drei Bänden ist die Angelegenheit offenbar etwas ins Stocken geraten, der "Fahrplan" von ursprünglich geplantem einen Band pro Jahr wird so nicht eingehalten werden.


    Für mich sind Hesses Briefe mit das Wesentlichste an seinem Werk ... (Er selber hat nach dem "Glasperlenspiel" das Bedürfnis Romane zu schreiben verloren.)