Verlag Suhrkamp, 2004, 496 Seiten
Übersetzt von Elke Wehr
Rückseite:
Zwei exemplarische Lebensgeschichten, meisterhaft erzählt von einem der großen Romanciers unserer Zeit: Hier die Geschichte Flora Tristans, der bahnbrechenden Frauen- und Arbeiterrechtlerin, die mit ihrem bewegten Leben für die Hoffnung einsteht, die Menschheit von Unrecht und Unterdrückung zu befreien; dort das über die Grenzen jeder Konvention getriebene, abenteuerliche Leben des Malers Paul Gauguin, der die Entfremdung der Kunst vom Leben durch den Traum von ursprünglicher Schönheit zu überwinden hofft.
Zum Autor:
Mario Vargas Llosa wurde 1936 in Arequipa/Peru geboren. 1959 ging er nach Europa. 1990 war er Kandidat für die peruanische Präsidentschaft. Seine politische Haltung führte vom Kommunismus zur bürgerlich-demokratischen Demokratie. 1996 erhielt er den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Heute lebt er überwiegend in London.
Zur Übersetzerin:
Was Elke Wehr bereits alles übersetzt hat, kann man hier sehen:
http://www.suhrkamp.de/autoren/autor.cfm?id=5217
Hinzu kommt beispielsweise auch noch Javier Marias, Jean Carriere u.a.
Meine Rezension:
Mario Vargas Llosa erzählt hier zwei Geschichten, zwei faszinierende Leben werden portraitiert.
Zum einen geht es um Flora Tristan, die aktiv für Arbeiter- und Frauenrechte eintritt, Schriftstellerin ist und viele Reisen unternimmt. Die zweite Handlungsebene dreht sich um ihren Enkel, den Maler Paul Gauguin mit dem Schwerpunkt seines Aufenthaltes in Tahiti.
Da es inzwischen schon sehr viele Rezensionen zu dem Buch gibt, es stammt schon von 2004, verzichte ich darauf, ausführlich auf den Stil einzugehen.
Nur soviel: Die Kapitel wechseln jeweils von Paul Gauguin zu Flora Tristan und umgekehrt und damit auch die Zeiten. Bei Flora wird nur ihr letztes Lebensjahr 1844 betrachtet, hinzu kommen aber viele Rückblicke.
Bei Paul Gauguin werden seine Tahitijahre von 1892 bis 1903 betrachtet. Vargas Llosa schafft es ihre Gemeinsamkeiten und Unterschiede herauszuarbeiten, es sind wirklich gleichwertige Hauptfiguren.
Grundsätzloch wird in der dritten Person erzählt, nur hin und wieder spricht der Autor die Figuren zum Schrecken vieler Kritiker in der zweiten Person an. Das geschieht relativ willkürlich. Ich fand gerade diese stilistisch ausgeprägten Einwürfe erfrischend, er führt uns dadurch sehr nahe an die Figuren heran.
Die Prosa ist ansonsten flüssig und leicht zu lesen. Postmoderne Ausbrüche früherer Werke werden in diesem interessanten Doppelportrait ausgespart.
Für den Leser ist es nur schwierig, zu entscheiden, welcher Handlungsstrang ihn mehr interessiert, da sie so gleichwertig sind. Ein Luxusproblem.
Vargas Llosa hebt die sexuelle Komponente hervor. Flora wurde von ihrem Mann vergewaltigt, verlässt ihn. Ein Kampf um das Sorgerecht ihrer Kinder beginnt. Flora versagt sich daraufhin jegliche sexuelle Verbindungen und Liebe. Nur ein lesbisches Verhältnis geht sie ein. Zu Gunsten ihrer Sache, dem Einsatz für Arbeiter- und Frauenrechte verzichtet sie aber auch darauf.
Paul Gauguin hingegen lebt in Tahiti seine Sexualität vollkommen aus. Er schläft mit jungen Mädchen, sogar eine homosexuelle Begegnung gibt es.
So gegensätzlich die Figuren Flora und Paul sind, in ihren Versuch das Paradies zu erreichen, ähneln sich ihre Intentionen. Flora geht ganz in ihrem Kampf für die Gleichberechtigung auf, ihr Paradies wird sie im Leben nicht mehr erreichen, aber ihr Optimismus bleibt ungebrochen. Sie ist unermüdlich.
Paul ist egoistischer, er sucht sein Paradies in einer Flucht aus der Zivilisation, die auch seine Kunst befruchten soll.
Sie teilen auch einen frühen körperlichen Verfall. Flora wurde von ihrem Mann, den sie verlassen hatte, aus Rachsucht angeschossen und die Kugel steckt auch nachdem sie wieder Gesund war noch in ihrem Körper und wandert auf ihr Herz zu. Paul leidet unheilbar an Syphilis.
Nebenbei werden auch die Bücher, besonders „Fahrten einer Paria“, ein erfolgreiches Buch über Floras Reisen durch Peru thematisiert. Ein anderes Buch von ihr ist „Mephis“, ein Roman über die gesellschaftliche Unterdrückung der Frauen und die Ausbeutung des Arbeiters.
Das gilt auch für die Entstehung und Themenbezüge zu Paul Gauguins Gemälden.
Zum Beispiel: „Der Geist der Toten wacht (Manao Tupapau)“, „Portrait von Aline“, „Nevermore“, „Die Vision nach der Predigt“, „Mutterschaft“, „Woher kommen wir?, Wer sind wir? Wohin gehen wir?“
Auch das Cover zeigt ein Motiv eines Gauguingemäldes: Nafeafaa ipoipo (Wann heiratest du?) von 1892
Man erfährt auch, wie aus dem ehemaligen Seemann und Börsenmakler ein großer Künstler wurde.
Grandios ist auch der Abschnitt aus Gauguins Freundschat mit Vincent Van Gogh, den verrückten Holländer, wie er ihn nennt. Sie lebten zusammen im berühmten gelben Haus. Natürlich fehlt auch die Episode mit dem abgeschnittenen Ohr nicht.
Auch Paul Freundschaft zu seinen Förderer Camille Pissarro wird abgehandelt.
Mit diesen beiden Charakteren, die am Extrem leben, hat Vargas Llosa meiner Meinung nach großartige Portraits geschaffen, die den Leser wirklich fesseln. Nicht jeder Kritiker sieht in diesem Buch ein Meisterwerk.
Möglich, dass der Autor wirklich an seinen großen Thema teilweise auch scheitert. Die Erzählabläufe sind manchmal holprig und der eine oder andere Satz wirkt zu bombastisch. Er verliert auch die Distanz zu seinen Figuren. Aber ich sehe in seinem Scheitern trotzdem eine große Leistung, da er viel wagt, der Text sprudelt geradezu über vor Lebendigkeit und das gilt auch für die beschriebenen Figuren.
Das Buch ist eines der wirkungsvollsten Künstlerportraits, da er das Leben der Protagonisten in Einklang mit ihrer Kunst bringt. Über Paul Gauguin weiß man viel, aber Flora Tristan war mir bisher unbekannt. Es ist dem Autor hoch anzurechen, dass er so eindrucksvoll über sie schreibt.
„Das Paradies ist anderswo“ ist nach „Die Stadt und die Hunde“ gleichwertig mit „Das böse Mädchen“ mein persönlicher Favorit unter den Romanen von Mario Vargas Llosa.
ASIN/ISBN: 3518457136 |