Hab mal grad meine Gefühlswelt zu Papier gebracht, ist aber kein Tatsachenbericht , lediglich eine fiktive Geschichte.....
„Arbeitsunfall auf der Baustelle, könnt ihr da schon mal hinfahren?"
Ich nicke, mein Kollege wirft mir den Schlüssel zu und wir verlassen zügig die Wache. Auf dem Flur kommen uns Kollegen entgegen. „Wohin so eilig?“ Ich drehe mich im Laufen um. „Arbeitsunfall…“
„Na dann viel Spaß!“ Die Kollegin rollt vielsagend mit den Augen. Wieder nicke ich und sage dann, ohne groß über meine Worte nachzudenken: „Bei meinem Glück lebt der bestimmt auch noch so halb. Ich hab eh immer die fiesen Fälle, die, bei denen sie schreien und überall Blut ist.“ Keiner der Kollegen stört sich an meinen Worten, und auch mir selbst wird erst im Auto bewusst, was ich da gerade gesagt habe.
Der Kollege fährt zügig, ich sitze auf dem Beifahrersitz, das Navi lotst uns sicher durch die Straßen.
Als wir ankommen, sehen wir schon die Feuerwehr vor Ort. Ich atme auf, zumindest werde ich nicht groß Erste Hilfe leisten müssen, schießt es mir erleichtert durch den Kopf. Direkt hinterher kommt der Gedanke, wie abartig es ist, dass ich mir dazu Gedanken mache.
Am Unfallort herrscht betretenes Schweigen. Ein paar bullige Bauarbeiter stehen am Rand herum. Der Notarzt ist mächtig am arbeiten, eine Blutlache sucht sich zwischen seinen Beinen einen Weg bis zum Gully.
Ich wende mich ab, da kann ich eh nicht helfen.
„Jungs, kommt mal zusammen“. Ich wedele mit meinem Notizbuch in der Luft herum, und die Herren Arbeiter setzen sich in meine Richtung in Bewegung.
Ich notiere, wer da ist, wer was gesehen hat, was überhaupt passiert ist.
Langsam formt sich ein Bild vor meinem Auge, und dieses Bild ist ein ziemlich dunkles.
Als ich fertig bin, rollt die Trage mit dem Verletzten an mir vorbei, ich sehe einen sehr zermatschten Kopf und zuckende Beine. Der Notarzt raunt mir zu: „Wäre besser für ihn, wenn er es nicht schafft, aber ich geb alles.“ Ich sehe ihm wortlos hinterher, neben mir schluchzt einer der Arbeiter leise auf und wendet sich ab.
Die Trage verschwindet im Rettungswagen.
Mein Kollege sitzt neben einem besonders mitgenommenen Arbeiter am Boden und befragt ihn.
Ich zücke mein Handy.
„Kripo?“
„Ja. Ich hab hier nen Arbeitsunfall, ich schildere mal grad, dann könnt ihr entscheiden, ob von euch wer herkommt oder nicht.“
„Ja gut, schieß los!“
„Also: Arbeiter steht auf einem Gerüst und bringt Latten an. Über ihm arbeitet ebenfalls ein Arbeiter und nagelt Bretter an die Wand. Dem fällt eins der Bretter aus den Händen, das Ding kracht 10 m tief auf den unter ihm arbeitenden Kollegen, Brett und Kollege segeln noch mal 10 m tiefer auf den Asphalt. Schweres Schädelhirntrauma. Alle noch vor Ort.“
Schweigen am anderen Ende.
„Wir kommen raus. Status quo erhalten, niemanden an den Unfallort lassen, niemand geht!“
Ich bestätige und lege auf.
Um mich rum ist es noch ruhiger geworden. Einem kleinen türkischen Arbeiter laufen zwei Tränen durch das staubige Gesicht, niemand spricht.
Ich atme tief durch.
„Ok, wo ist euer Kollege Kaufmann, der, der ganz oben gearbeitet hat?“ Das betretene Schweigen wird noch leiser als vorher, zumindest kommt es mir so vor.
„Leute, wo ist euer Kollege?“
Einer der Jungs deutet auf den Baucontainer und stellt sich mir gleichzeitig in den Weg. „Da gehen sie jetzt nicht rein!“
„Und wie ich da rein gehe!“ Ich werde ein wenig bestimmter und drängele mich an ihm vorbei.
„Der ist fertig mit den Nerven.“ Zwei weitere Arbeiter treten mir in den Weg.
„Ich weiß Jungs, ich will ja auch nur mit ihm reden.“
Zögerlich treten sie zur Seite und machen mir Platz, aus dem Augenwinkel sehe ich, dass mein Kollege das Gerüst untersucht.
Ich betrete den Bauwagen und zwei der Arbeiter folgen mir. Ein junger Mann sitzt an einem der Tische, neben ihm ein Sanitäter.
„Hallo!“, sage ich leise.
„Ist er tot?“ Ich schüttele den Kopf und versuche nicht an meine Worte auf der Wache zu denken.
Der Sanitäter legt dem ihm fremden Mann eine Hand auf den Arm. Der lässt es geschehen und sieht mich genau an. Dann sagt er langsam „Ich bin schuld!“ „Nein, sind Sie nicht.“ Der Sani versucht auf ihn einzureden und ihn zu beruhigen. Es fruchtet nichts. Schließlich mische ich mich wieder ein: „Ich weiß!“ Die Arbeiter rechts und links von mir zucken zusammen. Überrascht sieht Kaufmann mich an, dann nickt er langsam und reißt sich zusammen, erzählt mir noch mal, ruhig und mit fester Stimme, was ich von den anderen schon gehört habe. Er endet wieder mit den Worten „Ich bin schuld!“ Ich nicke leicht und sehe den entsetzten Blick des Sanis. „Ja! Sie sind schuld, aber so was kann passieren. Es sollte nicht, aber es kann. Jedem von uns und jedem von den anderen da draußen.“ Ich deute mit einem Arm aus dem Fenster. Er nickt, dann sieht er seine Hände an. „Es tut mir leid.“ Ich nicke und lege meine Hand auf seinen Arm. „Auch das weiß ich.“ Er nickt langsam. „Was passiert jetzt mit mir?“ „Nichts!“ Überrascht blickt er mich an: „Muss ich nicht mitkommen?“
„Nein! Die Kollegen von der Kripo kommen gleich und werden noch mal ein paar Fragen stellen, dann werden wir einen Bericht dazu schreiben, und es wird ermittelt, ob man ihnen einen Vorwurf machen kann oder nicht.“ „Aber ich bin schuld!“ „Schuld spielt hier keine Rolle, hier geht’s darum, ob Sie den Unfall hätten verhindern können, wenn Sie anders gehandelt hätten.“ Er sieht mich an. „Ich wollte das nicht.“ Wieder nicke ich und merke kaum, wie der Sani den Raum verlässt, draußen höre ich meinen Kollegen Anweisungen geben.
Ich richte meine Aufmerksamkeit wieder auf den Mann vor mir.
„Soll ich ihnen einen Seelsorger bestellen? Das tut vielleicht gut, mit dem zu reden?“ „Ach der Quatsch da, neumodischer Unsinn, so was brauch ich nicht.“ Mein Visitenkärtchen mit der Notfalltelefonnummer steckt er trotzdem ein. Es klopft, der Chef der Firma steht vor der Tür, ich kläre ihn kurz auf, was passiert ist, dann setze ich mich wieder zu dem armen Kerl und schicke den Chef aus dem Zimmer. Er verbreitet Nervosität, und das kann der Mann jetzt am wenigsten brauchen. Seine Kollegen stehen immer noch neben mir, bereit, mich in Stücke zu reißen, wenn ich ihm irgendwas Grauseliges sagen sollte. Ich schweige und warte ab.
Nach kurzer Zeit sagt er leise: „Wird er sterben? Verlier ich jetzt meinen Job?“ Ich wiege meinen Kopf nach rechts und links, was sag ich darauf? Ehrlich währt am längsten. „Das weiß ich nicht.“ Er nickt langsam und lächelt vorsichtig. „Ich hätte gedacht, Sie sagen jetzt auf jeden Fall nein, damit ich mir keine Sorgen mache.“ Ich zucke ein wenig hilflos die Achseln und schweige einfach. Nach ein paar Minuten sagt er: „Erzählen Sie mir was, wenn ich zu viel nachdenke, werde ich wahnsinnig.“ Also erzähle ich, von meinen Miezekatzen, von meiner Wohnungssuche, von einem lustigen Einsatz letzte Woche, er schweigt und trinkt Tee. Langsam geht mir der Erzählstoff aus, als sich die Tür öffnet und die Kollegin von der Kripo den Raum betritt.
Sie nickt mir zu. „Ich übernehme das hier, dank dir. Schreibt ihr bitte nur einen Bericht und faxt das zu uns, ja?“ Ich bejahe, verabschiede mich kurz und gehe dann.
Mein Kollege steht schon am Auto. Sein Gesicht sieht genauso matt aus, wie ich mir meins vorstelle.
„Hast du alle Daten?“ Wir gleichen kurz ab, was mir fehlt, hat er und umgekehrt, schön, wenn man mit einem Partner unterwegs ist, auf den man sich verlassen kann. Wir fahren in Richtung Wache.
„Wie sehr man abgehärtet ist“ sagt er plötzlich in die Stille hinein.
„Hmja…“. Ich höre nur halb zu und male in meinem Notizbuch herum.
„Hörst du zu?“ „Hmjaja….“ „Fühlst du was?“ „Grmpf….eine Menge Mitgefühl.“ „Genau, mehr fühl ich auch nicht.“ „Ist doch prima!“ Ich strahle ihn an und male weiter in meinen Notizen herum, ich würde das Thema gern beenden, zu sehr bedrücken und schockieren mich selbst meine Worte. „Bei meinem Glück lebt der noch….“ Ich wünsche mir grad, dass er noch lebt, sehr intensiv wünsche ich mir das.
Auf der Wache schiebe ich mich hinter den PC und beginne zu tippen.
Neben mir telefoniert der Kollege mit der Uniklinik. Ich höre mit einem Ohr hin. „Schädelhirntrauma, Hirntod zu erwarten.“ Als mein Partner auflegt, sieht er mich an. „Hast du mitgehört?“ „Ja, steht schon alles mit im Bericht.“ Er lächelt: „Super!“
In einer Stunde ist alles im PC und der Drucker spuckt ein Blatt nach dem anderen aus.
Ich stehe mit einem Kakao daneben und werfe einen Blick auf den Kollegen. „Alles Ok bei dir?“ „Ja, aber danke, dass du fragst!“ Es dauert einen Moment dann kommt die Frage in meine Richtung. „Geht’s dir denn gut?“ „Ja. Überraschend gut!“
„Macht dir das auch Angst? Wir sehen so was, die harten Jungs weinen und wir stehen daneben und haben nicht mal zittrige Hände.“ Ich schweige und warte, dass er weiter spricht. „Nicht mal mein Puls ging schneller, als sie den an mir vorbei gerollt haben, und ich hab mich bei den Befragungen erwischt, dass ich nebenbei überlegte, was ich zum Abendbrot haben will.“
„Professionelle Distanz nennt man das, hab ich von einem Bekannten gehört!“
Kopfschütteln, dann leise: „Hast du nie Angst, deine Menschlichkeit zu verlieren?“
Meine Finger kribbeln und ich muss hart schlucken, bevor ich antworte: „Doch. Jeden Tag!“