T.C. Boyle- Riven Rock

  • Kurzbeschreibung (Klappentext):


    Eine amerikanische Ehe: Der steinreiche Erbe Stanley McCormick leidet unter sexuellen Wahnvorstellungen und kann nicht mehr mit einer Frau allein gelassen werden- schon gar nicht mit seiner eigenen. Katherine Dexter hält ihrem Mann dennoch ein halbes Jahrhundert lang die Treue und wird zur Vorkämpferin der Frauenemanzipation. Boyle erzählt diese Tragikomödie mit Verve, Mitgefühl und einem nicht zu unterschätzendem Anteil an Bosheit.


    Über den Autor:


    T.C. Boyle wurde 1948 in Peekskill, New York geboren. Er studierte Englisch und Geschichte an der State University of New York. In dieser Zeit begann er auch zu schreiben. Nach dem erfolgreichen Studienabschluss arbeitete er vier Jahre lang als Lehrer. Seit 1986 unterrichtet er als Professor an der University of Southern California.


    Meine Meinung:


    Der Klappentext beschreibt das Buch ziemlich gut, abgesehen von dem Ausdruck „amerikanische Ehe“. Diese Wortwahl legt nämlich den Schluss nahe, es handle sich um eine typische Ehe. Und das sind die McCormicks nicht im Geringsten.
    Das Buch basiert auf wahren Ereignissen und erzählt die Leidensgeschichte von dem an Schizophrenie erkrankten Mr.Mccormick. Dessen tragisches Schicksal hat mich zutiefst berührt und ich hab bis zum Schluss die Hoffnung auf eine wundersame Heilung nicht aufgegeben. Der Autor vermag es vortrefflich, das schwierige Thema der psychischen Krankheiten dem Leser zugänglicher zu machen. Man bekommt einen Einblick in das damalige psychiatrische Milieu. MrMccormick hat sich nicht gerade die günstigste Zeit ausgesucht, um an Schizophrenie zu erkranken (wenn man hier von „aussuchen“ überhaupt sprechen kann). Die Psychiatrie befand sich anfangs des 20. Jahrhunderts in einer großen Umbruchs- und Entwicklungsphase. Er und viele andere Patienten wurden von den geld- und karrieregierigen Psychiatern als Versuchskaninchen betrachtet.
    T.C. Boyle spielt in seinem Roman mit Gegensätzen und gegensätzlichen Persönlichkeiten.
    Da ist einerseits der psychisch kranke Ehemann (jahrelang unterdrückt von seiner Mutter, missbraucht von seiner eigenen Schwester), der eine Obsession, eine Art Hassliebe gegenüber allen weiblichen Wesen hegt. Und da ist auf der anderen Seite die Ehefrau: auf den ersten Blick psychisch gesund, jedoch in Wirklichkeit fast genauso besessen wie ihr Ehemann. Besessen davon ihre ehelichen Pflichten zu erfüllen. Besessen davon ihren geliebten Mann zu heilen, wenn notwendig sogar gegen seinen Willen.
    Bemerkenswert ist auch das Verhältnis zwischen Katherine und Stanley’s Oberpfleger, Mr. O’Kane. Er ist ein hoffnungsloser Macho. Und zwar im schlimmsten Sinne dieses Wortes: er schlägt Frauen, leidet an massiven Alkoholproblemen, verleugnet und vernachlässigt seine eigenen Kinder. Trotzdem entsteht zwischen ihm und der „Eisprinzessin“ eine geheime Zuneigung. Sie sind die einzigen, die McCormick bis zum Schluss treu bleiben. Allerdings werden sie dabei von äußerst fragwürdigen, egoistischen Beweggründen angetrieben.
    Der gebildeten, fortschrittlichen Katherine, wird die aus einfachen, katholischen Verhältnissen stammende, heißblutige Giovanella, gegenübergesetzt. Trotz ihrer Herkunft scheint sie viel freier, glücklicher und emanzipierter zu sein als die verklemmte Wissenschaftlerin.
    Das hat mich an dem Buch sehr gestört. Es mag zwar sein, dass die italienischen Frauen ganz besonders temperamentvoll und verführerisch auf Männer wirken, dennoch ist mir die gute Giovanella doch ein bisschen zu klischeehaft. Überhaupt grenzt die ganze Liebesgeschichte zwischen ihr und O’ Kane sehr stark an Kitsch. Es scheint als würde T.C Boyle diesen Frauentyp persönlich bevorzugen…
    Insgesamt konnte ich mich leider nicht des Eindrucks erwehren, dass die Sympathie des Autors eher den Herren der Schöpfung gilt. Viele Verhaltensweisen von O’ Kane, die in meinen Augen als unverzeihlich gelten, werden hier verharmlost. Ganz anders geht Boyle mit Katherine um. Ihr gegenüber kennt er keine Gnade. Man lese nur die Szene mit dem sich äußerst merkwürdig benehmenden Orang-Utan und der zwischen zwei Glassscheiben gefangenen Katherine:


    Ich muss zugeben, dass ich an dieser Stelle, ganz kurz darüber nachgedacht habe , das Buch nicht weiter zu lesen. Boyle macht sich hier auf eine ziemlich vulgäre Art und Weise über die Katherine, und damit über die gesamte Frauenbewegung der damaligen Zeit lustig. Das fand ich ganz und gar nicht gut! Dennoch konnte ich mich dem Sog dieses sprachgewaltigen Romans nicht entziehen.
    Das Buch hat mich sehr berührt. Es ist rasant, provokativ, wild, brillant geschrieben. Ich hab sogar die eine und andere Träne vergossen, was mir beim Lesen normalerweise nie passiert. Boyle beherrscht das schriftstellerische Werkzeug wahrhaftig meisterhaft. Er vermag es wie sonst kein anderer Autor der Gegenwart, Spannung aufzubauen, heftige Emotionen und zarte Gefühle zu erwecken.
    Es war mein erstes und mit Sicherheit nicht mein letztes Buch dieses Autors.


    Ich würde mich darüber freuen, Eure Meinungen zu diesem Buch hören zu dürfen!

    "Die Bildung kommt nicht vom Lesen, sondern vom Nachdenken über das Gelesene."
    (Carl Hillty)

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  • Ich habe Riven Rock vor einigen Jahren als Hardcover gelesen, an alles kann ich mich nicht mehr erinnern, doch immerhin noch an die Wirkung.
    Die Sprachgewalt des Autors habe ich auch gespürt.


    Die ungewöhnliche Handlung in dieser Zeit Anfang des 20. Jahrhunderts war unterhaltend, hat mich teilweise aber auch ratlos zurückgelassen.
    Die Psychatrie-Szenen sind ein wenig mit dem später erschienen Roman "Das Buch von Marie und Blanche des schwedischen Autors Per Olov Enquist zu vergleichen, da es in der gleichen Zeit oder vielleicht kurz davor handelt.


    Mir war bei Riven Rock nicht immer klar, wo die Ironie aufhört. So ist es doch die Sprache, die mich an den Roman erinnern lassen.

  • Meine Rezi von Anno Tobak (sechs oder sieben Jahre her, meine ich):


    In Zügen wunderschön, aber irgendwie fleischlos.


    Boyle setzt - wie in "Wassermusik", seinem definitv besten Buch - eine reale Biographie auf seine spezielle Art um, aber bei "Riven Rock" bleibt der Leser ob des handlungsarmen Plots dabei ein wenig auf der Strecke.
    Der Millionenerbe Stanley, Sohn des Erfinders der Mähmaschine, leidet unter schweren Psychiosen, die den vielversprechenden jungen Mann kurz nach seiner Hochzeit zunächst zum Katatoniker und bis in sein hohes Alter zum aussichtslosen Pflegefall werden lassen. Kontakt mit Frauen löst bei Stanley heftige, zutiefst agressive Reaktionen aus, weshalb seine behandelnden Ärzte - ein bunt wechselndes Sammelsurium von Nervenärzten zu Zeiten der beginnenden Psychoanalyse - ihm den Kontakt mit Frauen völlig versagen.


    Eingesperrt im kalifornischen Herrensitz "Riven Rock", ursprünglich gebaut für die ebenfalls geistesgestörte Schwester, fristet der Protagonist ein armseliges, aber heftig umsorgtes Dasein, während zur Therapierung seiner Krankheit quasi nichts passiert. Seine Frau Katherine, kurz vor dem Zusammenbuch geheiratet, opfert sich in einem jahrzehntelangen Kampf auf, und wird ganz nebenbei Vorkämpferin für die Gleichberechtigung im beginnenden zwanzigsten Jahrhundert, während ihr der mittelbare Kontakt mit dem eigenen Mann versagt bleibt.


    Geschildert wird diese höhepunktearme Geschichte aus der Sicht des kranken Stanley, seiner Frau Katherine und des proletarischen Oberpflegers O'Kane. Die Nebenhandlung um die Lebensgestaltung des entscheidungsunfreudigen, attraktiven und lüsternen Pflegers wird mehr und mehr zum Hauptanziehungspunkt dieses Buches, das zwar mit Detailreichtum, einringlichen und wunderschönen Sentenzen und einer sauberen Erzählstruktur glänzt, dem es jedoch an Witz und Spannung - für Boyles Verhältnisse - massiv mangelt. Boyle erkämpft sich einen Arbeitssieg, der ein wenig fad ausfällt. Zwar Pflicht für Boyle-Fans, aber insgesamt etwas fleischlos.

  • Herr Palomar
    Dass man sich immer noch an die Wirkung eines Buches erinnern kann, welches man vor einigen Jahren gelesen hat, sagt, meiner Meinung nach, schon einiges über die Qualität des Buches aus. Ich fühle mich jetzt in meiner Meinung nur noch mehr bestätigt.
    Danke für den Beitrag! :-)
    Tom
    Zugegebenermaßen hab ich Boyle sehr spät endeckt (leider, leider :-()-hab noch bis vor kurzem ausschließlich Klassik gelesen.
    Ihr werdet wahrscheinlich noch mit so einigen ähnlichen Rezensionen von mir rechnen müssen (über Bücher die eigentlich schon alle mal gelesen haben ;-))...
    Da es anscheinend nicht zu den besten Werken von Boyle gehört, freut mich ungemein. Ich kann ich die anderen kaum noch erwarten.
    Ich mach dann am besten mit "Zähne und Klauen" weiter.
    Schöne Grüsse
    Alicja

    "Die Bildung kommt nicht vom Lesen, sondern vom Nachdenken über das Gelesene."
    (Carl Hillty)

  • Hallo Alicja,


    ich bin nicht Toms Meinung (kommt schon mal vor ;-)) und halte "Riven Rock" für eines von Boyles besten Büchern. Die unheimlich differenzierte Schilderung dieser psychologisch höchst heiklen Situation, die Sympathie, die man trotz seiner Ausfälle - vielleicht wegen ihnen - für Stanley McCormick empfindet - ich denke da nur an die Hochzeitsnacht oder die besessene Suche nach dem "groundhog" - haben mich auf eine Weise berührt, wie es "Wassermusik" nie geschafft hat, das ich für routiniert, aber wenig pointiert halte (meine Rezension habe ich vor kurzem hier eingestellt, ich glaube "Wassermusik" steht aber bei "Zeitgenössisches").


    Herzlich: Bartlebooth.

  • Dann fang ich halt mit "Wassermusik" an. :-)
    Wie gesagt, ich bin durch "Riven Rock" richtig durchgaloppiert. Am meisten beeindruckt haben mich die psychologischen Darstellungen der Protagonisten. Selten hat ein Buch solche Emotionen bei mir ausgelöst. Die Personen sind sowas von lebendig...Ein wenig zu kurz kam der gesellschaftliche Aspekt. Es war ja damals eine ziemlich ereignisreiche Zeit (Prohibition und deren Folgen: Schwarzmarkt, Gangstertum u.s.w.) und auch die Beschreibungen der Frauenbewegung und des damit verbundenen Aktionismus werden nur am Rande angedeutet. Einerseits ist es schade (das Buch wird ja z.T als historischer Roman bezeichnet), andererseits wird dadurch nochmal deutlich, dass die Stärke des Buches ganz woanders liegt, nämlich in der komplizierten Psychologie der Protagonisten.
    Ich freu mich schon auf "Wassermusik". Ich glaube es wird ein deutlich ruhigerer Roman sein. Ich les mir nur noch die Rezi durch, und dann geht's los!

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    (Carl Hillty)

  • Bevor ich meine Meinung zu dem Buch sage, sollte ich anmerken, dass ich es nicht ganz "freiwillig" gelesen habe. Das Buch wurde im Rahmen eines "Experiments" anhand einer von M101 vorgegebenen Zahlenkombination gekauft.
    Und dass es mich nicht vom Hocker gerissen hat, wird einfach auch daran liegen, dass ich solche Bücher nicht bevorzugt zu meinem "Genre" zählen würde ;-)


    Ich habe den Rückentext gelesen und habe mir mehr vom Stanleys "inneren Leben" versprochen, d.h. ich habe mir mehr davon erhofft, wie es in seinem Kopf aussieht, welcher Art seine sexuellen Wahnvorstellungen sind usw. Dieser Aspekt kam mir zu kurz.


    Der gesellschaftliche Aspekt war mir ausführlich genug, was auch daran liegen mag, dass ich mich für historische Romane nur schwer begeistern kann. Daher fand ich diesen Aspekt für mich persönlich hier genau richtig (hatte mehr davon "befürchtet"), aber falls man auf einen historischen Roman eingestellt ist, dann könnte es zu wenig sein.


    Ich war auch sehr erstaunt, dass die Handlung - was Stanleys Geschichte angeht - eigentlich sehr wenig hergab, O'Kean dafür sehr oft in den Vordergrund trat. Dies hat mich allerdings nicht so gestört, da ich seinen Lebenswandel doch sehr "interessant" fand und mich das Buch nach und nach doch etwas zu interessieren begann. Außerdem fand ich die Rückblenden gut, was die Beziehung von Stanley und Katherine angeht, da ich schon sehr neugierig darauf war, wie es schließlich dazu kam, dass Stanley in der Psychiatrie endete.


    Etwas mangelhaft fand ich den Schluss. Nicht wegen der Tatsache, wie das Buch ausging (ist wohl ja auch in der Realität so gewesen).
    Vielmehr störte mich
    [sp]dass zu der Gerichtsverhandlung nicht mehr geschrieben war und dann schon der Epilog kam [/sp]


    Alles in allem fand ich das Buch jetzt nicht grottenschlecht, aber es ist einfach nicht mein Stil. Auch wenn ich zugeben muss, dass ich die sprachlichen Wendungen und Ausdrücke beeindruckend fand :-)

    With love in your eyes and a flame in your heart you're gonna find yourself some resolution.


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