Unser Dorf - Einkaufen im Dorf

  • Einkaufen im Dorf
    Wer uns auf unserem bisherigen Rundgang begleitet hat, weiss sicher, dass es in unserem Dorf einen fantastischen Supermarkt gibt, der nicht nur von den direkten sondern auch von den indirekten Anwohnern rege genutzt wird. Das liegt natürlich keineswegs daran, dass der Supermarkt so besonders schön wäre ... genau genommen ist das Gegenteil der Fall, aber es ist nun mal die einzige Einkaufsmöglichkeit weit und breit.
    Begeben wir uns nun also auf eine spannende Entdeckungsreise, ein wahres Shopping-Event. Meistens muss man den Supermarkt durch den Haupteingang betreten. Es existiert zwar noch ein Eingang direkt in den Getränkemarkt, aber der ist nur sechseinhalb Stunden täglich passierbar. Während der anderen siebeneinhalb Stunden, die der Markt geöffnet hat, kann man schliesslich verlangen, dass der gemeine Kunde seine Getränke erst mal an allen Regalen vorbei zur Kasse karrt, falls er zufällig einen der wenigen Einkaufswagen ergattern konnte. Andernfalls erhält er als kostenlosen Service des Marktes ein ausgewogenes Fitness-Programm. Auf das Thema Service werde ich übrigens später noch einmal zurückkommen, denn der wird in unserem Markt ganz gross geschrieben.
    Wenn man den Markt also durch den Haupteingang betritt, hat man zur Linken erst einmal die Kundentoiletten, die selbstverständlich immer abgeschlossen sind, damit nicht irgendein Bauerntrampel mit seinen versifften Gummistiefeln voller Gülle auf die Idee kommt, diese auch zu benutzen. Und die vielen Berufspendler, die den Markt auf dem Heimweg besuchen, können schliesslich auch zuhause oder im Büro pinkeln gehen. Um dem Kunden überflüssige Wege zu ersparen, stehen vor den Toiletten übrigens diese tollen Einkaufsautos für Kinder, die mit ihren eingebauten Hupen dazu beitragen, dem Markt eine gewisse Atmosphäre der Lebendigkeit zu verleihen und darüberhinaus auch prächtig die Ansage "Bitte besetzen Sie eine weitere Kasse!", die wie in einer Endlosschleife durch den Markt dröhnt, zu übertönen.
    Wenn man nun also die beiden Glastüren und die ständig halb umgeklappte Schmutzfangmatte überwunden hat, sieht man zur Linken sofort den einladenden Kassenbereich. Das ist taktisch gut durchdacht, denn auf diese Weise kann man auf Anhieb erkennen, ob man einen "Hannelore-Tag" erwischt hat. Hannelore ist die wohl älteste Kassiererin des Marktes und nach einhelliger Meinung der Bevölkerung schon ewig da. Vermutlich war sie sogar schon vor dem Markt da, und man hat das Gebäude um sie herum gebaut. Hannelore scheint übrigens eine fanatische Anhängerin des Zen-Buddhismus zu sein und ihn auch während der Arbeit zu praktizieren. Hierzu möchte ich kurz Wikipedia zitieren: "Zen kann das Zeitempfinden verändern. In der Konzentration des Praktizierenden verliert die subjektive Empfindung für Zeit ihre Bedeutung. Die Konstruktion beziehungsweise Definition von Vergangenheit und Zukunft verliert ihren Einfluss auf das Bewusstsein.". Wer bislang die wandernden Steine im Nationalpark Death Valley für langsam hielt, weil noch niemand eine wirkliche Bewegung bei ihnen gesehen hat, wird sich bei Hannelores Anblick während des Kassierens sofort bewusst, dass auch diese Leistung noch zu toppen ist. Es soll schon vorgekommen sein, dass das Mindesthaltbarkeitsdatum von Waren abgelaufen ist, während sie von ihr über den Scanner gezogen wurden.
    Aus diesem Grund spaltet Hanni, wie sie von ihren Anhängern liebevoll genannt wird, die Kunden des Marktes in zwei Teile. Zum einen gibt es eine Gruppe, die sie ob ihrer besinnlichen Arbeitsweise verehrt und gelegentlich kann man sogar beobachten, dass ihr der Shanty-Chor des Dorfes eine Ständchen bringt. Der Shanty-Chor unseres Dorfes ist übrigens weltweit der Einzige, der zwar über 28 Mitglieder, aber nur 7 verschiedene Gesichter verfügt. Häufig lässt sich auch beobachten, wie chinesische Reisegruppen ehrerbietig vor der Kasse knien und ihr huldigen.


    Zum Anderen gibt es die erbitterten Gegner von Hannelore, zu denen mehr oder weniger offensichtlich auch die meisten anderen Angestellten unseres Supermarktes gehören.

    Nun aber mal weiter durch den Rundgang in unserem dörflichen Shopping-Center: Wenn man den Eingangsbereich und die Chinesen erfolgreich passiert hat, landet man sofort in der Obst- und Gemüseabteilung. Die Platzierung der Frischwaren am Eingang ist übrigens in doppelter Hinsicht geschickt, denn zum einen kann der leicht faulige Geruch durch den Haupteingang besser abziehen und gegebenenfalls noch auf die naheliegenden Toiletten geschoben werden, und zum anderen kann der Geschäftsführer auf diese Art und Weise leichter behaupten, das Obst sei erst auf dem Weg zur Kasse verdorben, während man bei Hannelore auf seine Audienz gewartet hat. Tatsache ist jedoch, dass zum Beispiel der Eisbergsalat, der schon am Montag geliefert wurde, am Samstag immer noch sein tristes Dasein im Regal fristet. Zumindest Teile davon, denn er wird jeden Abend brav ausgewickelt, von seinen faulen Teilen befreit und dann wieder eingewickelt. Aufgrund dieser Methode verliert er während einer Woche etwa die Hälfte seines Gewichts, wohingegen der Preis an dieser Art der Reduktion in keinster Weise teilnimmt. Häufig ist es sogar so, dass er am Wochenende fünfzig Prozent teurer ist, als unter der Woche ... vermutlich müssen die wenigen verkauften Salate die vielen Unverkauften mitfinanzieren, die anschliessend als Spende an die Kneipe an der Ecke gegeben werden, wo man sie dann als "Vier-Jahreszeiten-Salat (All-in-One-Version)" ahnungslosen Zugezogenen auf´s Auge drückt, die die Unverschämtheit besitzen, ihr Essen telefonisch zu bestellen.


    Nachdem man die Biomüll-Abteilung, wie meine süsse Frau sie immer nennt, überwunden hat, kommt man zu den Kühltruhen mit dem abgepackten Fleisch, in denen man gelegentlich auch den typischen Klassiker der guten deutschen Küche findet: Sushi. Allerdings muss man schon genau hinsehen, um die 9 winzigen Röllchen, die überwiegend aus Reis bestehen, zu entdecken. Am leichtesten identifiziert man die Verpackung anhand des Preisschildes, das mit 6,99 Euro deutlich aus der Menge hervorsticht, unter anderem, weil es weiss ist. Damit unterscheidet es sich farblich hervorragend von all den eingelegten Fleischprodukten, die man hier unter den Bezeichnungen "mariniert" oder "mit feuriger Zigeunersauce" anbietet. Nach unserem Grillabend im letzten Sommer und dem anschliessenden Krankenhausaufenthalt darf ich allerdings mit Fug und Recht annehmen, dass diese Fleischprodukte ihren Weg zur Kasse schon mindestens einmal zuvor gefunden hatten, um dann direkt vor dem Markt weggeworfen zu werden. Dort werden sie einmal wöchentlich von dem Azubi des Marktes, der Hannelore im Tempo seines Kassiervorgangs nur minimal nachsteht, wieder eingesammelt. Er ist es auch, der mit einer Spritze die rote Sauce in die Verpackungen befördert und die Etiketten mit dem Mindesthaltbarkeitsdatum überklebt. Unter dem Etikett des Fleisches zu meiner Grillparty im Jahr 2007, war zumindest der alte Preis noch in DM angegeben.


    Direkt vor Kopf sieht man nun schon die Tchibo-Abteilung, die heutzutage in keinem modernen Markt mehr fehlen darf, und die normalerweise durch Übersichtlichkeit und eine begrenzte Produktpalette hervorsticht. Allerdings möchte ich bezweifeln, dass an irgendeinem anderen Ort der Erde eine Tchibo-Abteilung existiert, in der das Sortiment grösser ist, als in unserem Dorf. Denn während man in anderen Geschäften die Artikel, die man nicht verkauft hat, an Tchibo zurückgibt, bleiben sie bei uns einfach im Regal liegen. Das hat zur Folge, dass man dort mitten im Sommer auch schon mal eine Winter-Sturm-Maske neben dem Euro-Umrechner in der vergilbten Verpackung entdecken kann. An sich ist das ja auch gar nicht so schlecht, so lange man keine Ware zu reklamieren hat. Was soll man auch schon antworten, wenn von Tchibo ein Schreiben nach Hause kommt, in dem steht: "Leider können wir Ihren Garantiefall nicht anerkennen, da dieser Artikel vor zwölf Jahren zum letzten Mal von Tchibo verkauft wurde."?


    Nun biegt man links ab und kommt in die erste der langen Geraden. Rechts und links in den Regalen findet man weitere gekühlte Waren wie Sahne, Milch und Käse, welcher anscheinend von einigen Herstellern hier zur Reifung im Rohzustand angeliefert wird, quasi noch halb aus der Kuh hängend. Am Ende der Reifungsperiode wird er dann wieder abgeholt und mit dem Prädikat "12 Monate gereift" an andere Märkte verkauft. Gerüchten zufolge sollen Whiskey-Produzenten schon versucht haben, sich des gleichen Prinzips zu bedienen. Natürlich war dieser Versuch von vorneherein zum Scheitern verurteilt, da die Ureinwohner alles, was auch nur entfernt mit Alkohol zu tun hat, sofort aufkaufen, um sich die Zeit auf dem Weg zur Kasse ein wenig zu versüssen. Erst kürzlich sah ich direkt vor mir einen verzweifelten Kunden verstohlen an einer Flasche Nagellackentferner nuckeln.


    Die Gänge in unserem Markt sind nicht wirklich kurz, aber dafür wenigstens auch nicht so breit. Normalerweise können sich zwei Menschen mit Einkaufswagen, die sich in verschiedene Richtungen bewegen, gerade noch so aneinander vorbeidrücken, immer vorausgesetzt, der Mensch ist nicht breiter, als der Einkaufswagen, den er schiebt, was allerdings in unserem Dorf nur auf etwa die Hälfte der Bevölkerung zutrifft. Richtig problematisch wird es erst, wenn der Markt eine neue Lieferung bekommen hat, wie es immer Montags der Fall ist. Denn an jedem Montag sind sämtliche Geraden unserer Shopping-Mall mit Paletten voller Ware und leeren Kartons so vollgestellt, dass man praktisch keine Chance hat, mit dem Einkaufswagen durchzukommen. Allerdings hilft an diesen Tagen, wie in so vielen anderen Fällen auch, unsere freiwillige Feuerwehr: Jeden Montag werden in einem Abstand von sieben bis acht Metern auf die heiser hervorgekrächzte Anweisung des Geschäftsführers, der sich am vorhergegangenen Samstag beim Singen wohl etwas übernommen hat, leere Einkaufswagen in den Gängen aufgestellt. Man legt daraufhin also seine gewünschten Artikel einfach in einen der bereitgestellten Wagen, aus dem sie dann von einem Mitglied der freiwilligen Feuerwehr wieder herausgenommen und in einem waghalsigen Balanceakt über die Paletten in den nächsten Wagen befördert werden. Eigentlich ist die "wandernde Ware" auch gar keine so schlechte Idee, so lang man nicht an einem Montag versucht, Alkohol zu kaufen, da dieser entweder von der Feuerwehr zum Löschen irgendeines persönlichen Brandes verwendet wird, oder die Flaschen in einem Anflug von Jongleur-Kunst in den nächsten Wagen geworfen werden, wo sie natürlich sofort kaputtgehen.


    Angesichts der Unmengen von Paletten ist es in der Tat immer wieder erstaunlich, wie oft man bei uns im Markt vor Regalen steht, in denen zwischen einzelnen Artikeln metergrosse Lücken klaffen. Ein gutes Beispiel dafür ist das Sittich-Futter für unsere widerwärtigen Wellensittiche, die daran schuld sind, dass ich unsere Küche mittlerweile nur noch mit Ohrenschützern betrete, weil die Mistviecher so einen Affenkrach machen und die normalerweise nach drei Tagen verhungern, wenn man sie nicht füttert. Gut, daran bin ich selbst schuld ... wer konnte schon ahnen, dass meine süsse Frau meinen Rechtschreibfehler in einem Liebesbrief, der den Satz enthielt "Du bist wie ein menschgewordener Engel und du bist gut zu Vögeln!" als Aufforderung ansehen würde, die Viecher überhaupt erst anzuschaffen ... und dann auch noch gleich 15 Stück davon. Aber zurück zu den leeren Regalen: Auf unsere Kritik, dass das Futter schon seit acht Wochen nicht mehr im Regal stand, sagte der Geschäftsführer mit der rauchigen Stimme: "Ich kann nichts dafür, das hat die Zentrale nicht geliefert.". Immerhin gelobte er Besserung. Am nächsten Montag, nachdem alle Paletten abgeladen worden waren, begaben wir uns also zu besagtem Regal, und tatsächlich war eine Änderung eingetreten. Zwischen all dem leerem Raum stand jetzt ein schönes handgeschriebenes Schild mit den Worten: "Wellensittiche direkt vom Züchter zu günstigen Preisen. Garantiert für zwei Wochen vorgemästet.". Seitdem lassen wir uns alle zwei Wochen eine neue Garnitur Wellensittiche liefern, was uns auch nicht teurer kommt, als das Futter. Bedauerlicherweise hat der Züchter meine Anfrage nach Vögeln mit durchtrennten Stimmbändern empört zurückgewiesen, zumindest zu dem in seinen Augen geringen Preis, den wir bezahlen wollen. Jetzt weiss ich auch wieder, wo der Begriff "Servicewüste Deutschland" herkommt.


    Wer uns auf unserem bisherigen Gang durchs Dorf begleitet hat, weiss ja schon, dass unser Supermarkt serpentinenartig angelegt ist, so dass man zwangsläufig an allen Artikeln vorbeikommt, natürlich nur, falls die Zentrale sie geliefert hat, bevor man schliesslich die Endgerade erreicht, an deren Anfang sich die Fleischereiabteilung und deren Ende sich die 3 Kassen befinden, von denen allerdings nur in Ausnahmefällen höchstens zwei geöffnet sind. Häufig trifft man auf dem Weg dorthin auch auf Hannelore, die für einen an der Kasse stehenden Kunden einen Artikel holt, den dieser vergessen hat. Dabei ist es ihr völlig gleichgültig, ob die Schlange an der Kasse vier, vierzig oder vierhundert Meter lang ist. Besonders schön und ein einmaliges Schauspiel ist es für die Wartenden, wenn Hannelore die Kartons mit den neuen Zeitschriften durchwühlt, von denen unser Markt nur etwa 870 Verschiedene im Programm hat. Da kann schon schnell mal eine Stunde ins Land gehen, weil Hanni während des Suchens auch gerne mal den einen anderen Artikel liest, der ihr in die Finger fällt. Gelegentlich vergisst sie dabei auch den an der Kasse wartenden Kunden und beginnt damit, die Regale mit den neuesten Ausgaben aufzufüllen.


    Immerhin muss man Hannelore zugestehen, dass sie mit ihrer Arbeitsweise den Aufschwung in unserem Land deutlich nach vorne gebracht hat. Und das nicht nur, weil einige Kunden Artikel zu einem Mehrwertsteuersatz von 16% in ihren Wagen gelegt haben und an der Kasse dann doch 19% Mehrwertsteuer dafür berappen mussten, weil mittlerweile das Neue Jahr angebrochen war, sondern auch, weil einige findige Hartz-4-Empfänger ihre Chance genutzt haben, eine Ich-AG zu gründen. Diese jungen und schlauen Unternehmer, die das Ziehen von Wartenummern aus allen erdenklichen Arten von Ämtern bestens beherrschen, verkaufen seit einigen Monaten erfolgreich und zu völlig überhöhten Preisen Standplätze in der Schlange vor Hannelores Kasse.