Frisches Blut für unser Dorf
Der zweite Weltkrieg endete bekanntlich am 8. Mai 1945. Alle jungen und brauchbaren Männer waren gefallen oder als vermisst gemeldet. Alle jungen und brauchbaren Frauen waren weggezogen oder lesbisch geworden. So war es an vielen Orten in Deutschland und so war es auch in unserem Dorf. Geblieben waren nur die, die noch keine oder keine Kinder mehr erzeugen konnten, und die paar, die man aus taktischen Gründen noch nicht einmal in den Krieg geschickt hatte, um Deutschland an der Front nicht noch weiter zu schwächen, weil sie aufgrund ihres Intelligenzquotienten wahrscheinlich eher auf die eigenen Leute, als auf den Feind geschossen hätten. So ganz unter dem Motto: "Ah, da drüben den kenne ich, dem winke ich mal mit dem Gewehr ...".
So kam es also, dass sich zu dieser Zeit bei uns im Dorf nur noch die Deppen miteinander verpaarten, schon weil zu dumm waren, um den Führerschein zu machen und die Flucht zu ergreifen. Aus diesem Grund nahm die Degeneration in der Bevölkerung so stark zu, dass eines Tages eine Gruppe von Wissenschaftlern auf unser Dorf aufmerksam wurde. Ein besonderes Augenmerk dieser Forschung bezog sich auf wissenschaftliche Erkenntnisse zum Thema: "Dreieiige Drillinge und viereiige Vierlinge", von denen es in unserem Dorf jeweils mehr als fünf Exemplare gab.
Eines Tages allerdings lag der durchschnittliche Intelligenzquotient der Bevölkerung plötzlich unter 62 und die übergeordnete Kreisbehörde beschloss, alle Forschungsprogramme zu beenden und mit dem Anwerben neuer Anwohner für das Dorf zu beginnen. Um das Leben auf dem Dorf attraktiver zu gestalten, reinigte man zuerst den Dorfteich und stellte ausserdem eine neue Verkäuferin für das Lebensmittelgeschäft ein. Sie war ein hübsches und freundliches Mädchen aus der Stadt und hiess Hannelore. Danach sprach man einzeln mit jedem Dorfbewohner und forderte ihn auf, seine entfernteren Verwandten (Freunde hatten sie ja keine) zu einem Umzug ins Dorf zu bewegen. Sicher, ein Rundschreiben wäre einfacher, aber mit Sicherheit wirkungsloser gewesen, schon weil die meisten Dorfbewohner jener Zeit des Lesens nicht mächtig waren.
Ein schöner Plan ... der natürlich auf ganzer Linie scheiterte. Die meisten entfernten Verwandten konnten sich dunkel an den Cretin aus dem Deppendorf erinnern, der peinlicherweise irgendwie auf der Ahnentafel gelandet war, und umfuhren den Bereich so weiträumig wie möglich. Die paar, die tatsächlich ins Dorf zogen, kamen aus noch kleineren Orten mit einem noch geringeren Durchschnitts-IQ. Also beschloss man auf dem Amt, andere Massnahmen zu ergreifen.
Es sollten richtige Fremde angelockt werden. Richtige Fremde mit sauberen Genen. Also erschuf man das "Frisches - Blut - für - unser - Dorf" - Programm. Die neuen Dorfbewohner sollten zahlreiche Vergünstigungen erhalten, wie zum Beispiel Steuerfreiheit, kostenloses Essen in der Kneipe an der Ecke und bevorzugte Positionen an der Kasse des Lebensmittelgeschäftes bei Hannelore. Dafür mussten sie natürlich auch einige Bedingungen erfüllen. Man entwarf also eine Anzeige für die überregionalen Zeitungen mit einer genauen Beschreibung der Vergünstigungen und der Bedingungen. In der ersten Anzeige lauteten diese:
Bedingungen:
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IQ von mindestens 126
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Körpergrösse mindestens 1,90 Meter
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Ahnen der vierten Generation mindestens aus 16 verschiedenen Familien
Nach der Schaltung der Anzeige in allen Zeitungen ganz Deutschlands, die in mehr als dreihundert Kilometer Entfernung herausgegeben wurden, wartete man wochenlang auf die erste Anmeldung eines neuen Anwohners. Man wartete und wartete. Und wartete noch ein bisschen länger. Eines Tages tauchte dann plötzlich doch noch ein stattlicher junger Mann auf und jeder dachte, er wäre aufgrund der Anzeige erschienen. Alle Einwohner begleiteten ihn sogleich auf das Einwohnermeldeamt, um Zeuge des historischen Moments seiner Einbürgerung zu werden.
Der damalige Bürgermeister, der sein Amt erhalten hatte, weil er mit einem IQ von 70 als überdurchschnittlich intelligent galt, begrüsste den Anwärter ehrerbietig und legte ihm die Einbürgerungsvereinbarung zum Lesen vor. Es handelte sich um ein Dokument, in dem sich der potenzielle Neubürger verpflichten sollte, mit möglichst vielen Anwohnern des jeweils anderen Geschlechts möglichst viele Kinder zu zeugen. Im Gegenzug, so versicherte der Vertrag würde man im Dorf nicht schlecht über ihn reden. Der Kontrakt hatte etwa 20 Seiten, auf denen noch die vielen anderen Vorzüge, wie beispielsweise kostenloses Baden im Dorfteich, beschrieben wurden.
Der Fremde würdigte den Vertrag keines Blickes, schlug sofort die letzte Seite auf, und war gerade im Begriff seine Unterschrift zu leisten, als er gefragt wurde, ob er den Vertrag nicht erst lesen wolle. "Lesen?", sagte der Fremde ... "Ich kann doch gar nicht lesen. Ich bin aus dem Nachbardorf und wollte die Geburt meiner Drillinge anzeigen." Der Bürgermeister tobte, die Menge brodelte und der Fremde wurde geteert und gefedert aus dem Dorf gejagt.
Schweren Herzens beschloss man im Dorf, noch eine zweite Anzeige zu schalten. Auch diese enthielt wieder die zahlreichen Vergünstigungen und einige Bedingungen:
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IQ von mindestens 109
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Körpergrösse von mindestens 1,75 Meter
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Ahnen der fünften Generation aus mindestens 8 verschiedenen Familen
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Die Anzeige wurde sofort in allen Zeitungen geschaltet, die mehr als hundertfünfzig Kilometer vom Dorf entfernt herausgegeben wurden und das grosse Warten begann erneut. Wieder gingen Monate ins Land, in denen man auf der Gemeinde nichts anderes zu tun hatte, als neue Geburten zu registrieren, denn die hiesigen Ureinwohner hatten eine ähnliche Reproduktionsrate wie Kaninchen. Kein Wunder, denn sie hatten ja sonst nicht viel zu tun. Zu dumm zum Arbeiten, zu blöd zum Lesen und die meisten Fernseher waren defekt, weil einer der Bewohner aus einem Altgerät mal ein Aquarium gemacht hatte. Das wollten die neidischen Nachbarn damals natürlich auch alle haben ...
Interessanterweise gibt es in unserem Dorf nur ungemein wenige Sterbefälle. Das liegt vermutlich daran, dass Charlotte Benkner hier mal Urlaub gemacht und den Gerüchten zufolge ihr Neugeborenes in der Kneipe an der Ecke vergessen hat, bevor sie nach Ohio auswanderte. Dafür sind sie aber ungemein lange fruchtbar und nutzen das auch redlich aus. Während die Fertilitätsrate in Deutschland im Jahr 2000 bei durchschnittlich 1,37 lag, glich sie sich in unserem Dorf eher der Rate von Burkina Faso an, das seinerzeit mit 6,8 an der Weltspitze lag.
Ein halbes Jahr war seit der letzten Annonce vergangen und genauso lange hatte sich kein Fremder mehr dem Dorf genähert. Obwohl man mittlerweile rund ums Dorf als Jäger verkleidete Späher verteilt hatte, die das Geschehen beobachten sollten, war niemand im näheren Umkreis gesichtet worden. Nicht einmal die stolzen Väter aus den Nachbardörfern trauten sich noch zu uns, um ihre Mehrlingsgeburten anzumelden. Aus diesem Grunde gibt es in dieser Region inzwischen auch jede Menge Menschen, die nie registriert worden sind, ganz ähnlich wie in Burkina Faso.
Der Dorfrat trat also zusammen und beriet über einen letzten Versuch, Fremde zum Einzug in das Dorf zu bewegen. Zu allen bisherigen Vergünstigen wollte man nun den Freiwilligen auch noch ein grosszügiges monatliches Taschengeld sowie freie Kost und Logis zubilligen. Die bevorzugte Position an der Kasse bei Hannelore konnte man mittlerweile sowieso nicht mehr verwenden, weil sie sich dem dörflichen Benehmen nicht nur angepasst hatte, sondern die Einheimischen mittlerweile darin übertraf. Lange Zeit glaubte man übrigens, dass ein privates Video, welches bei YouTube aufgetaucht war, eine völlig überzogene Zeitlupendarstellung einer Kassiererin darstelle. Wie sich später herausstellte, war es aber vielmehr die achtfach beschleunigte Aufzeichnung eines Wissenschaftlers der sich mit dem Bardet-Biedl-Syndrom beschäftigte.
Wie auch immer ... man beschloss, sogar bei den Anforderungen noch geringe Abstriche zu machen:
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IQ zwischen 62 und 74
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Körpergrösse von mindestens 1,52 Meter
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Ahnen der sechsten Generation aus mindestens 4 verschiedenen Familien
Wieder wurde die Anzeige grossräumig geschaltet, diesmal in allen Zeitungen, die in Entfernung von mehr als zwei Kilometern vom Dorf herausgebracht wurden.
Und siehe da ... schon am gleichen Nachmittag setzte ein Treck in unser Dorf ein. Sie kamen aus allen vier Himmelsrichtungen, blockierten die Strasse und rissen sich auf der Gemeindeverwaltung die Einbürgerungsverträge gegenseitig aus den Händen. Natürlich waren es keine wirklichen Fremden, sondern nur Bewohner aus den Nachbardörfern, die keine Lust mehr hatten aufgrund ihres fehlenden Arbeitsplatzes in Armut zu leben.
Nun wurde das "Frisches - Blut - für - unser - Dorf - Programm" endgültig eingestellt. Die einzigen Fremden im Dorf sind ein Paar, das hier vor dreineinhalb Jahren mal eine Autopanne hatte und immer noch auf die Ersatzteile wartet, und wir. Aber wir weigern uns beharrlich, uns mit den Ureinwohnern zu verpaaren ...