Unser Dorf - Essen im Dorf

  • Essen im Dorf


    Hunger !!! Eines schönen Abends sassen wir mal wieder zuhause, unglücklicherweise war auch noch Sonntag, und hatten einen unstillbaren Hunger, der sofort und ohne Zögern bekämpft werden musste. Natürlich hatten wir nichts zu essen im Haus, weil wir nach unserem samstäglichen Einkauf alle Lebensmittel schon auf dem Weg zur Kasse verschlungen hatten, während wir darauf warteten, zu Hannelore vorgelassen zu werden. Glücklicherweise wird der örtliche Supermarkt statt wie bisher nur bis neun demnächst bis 22.00 Uhr geöffnet bleiben. Das ändert zwar nichts an der Kassiererin, aber man hat wenigstens eine Stunde länger Zeit, um Lebensmittel für den Notfall zusammenzuraffen.


    Wie auch immer: Es war also Sonntag, der Supermarkt hatte unverschämterweise geschlossen, und wir sahen nur einen einzigen Ausweg aus dem Dilemma: HAJAK´S DÖNERBUDE. Wir hatten dort schon gelegentlich etwas zu essen bestellt, vor allem, weil wir von dem ersten Kontakt mit dem Inhaber so begeistert waren. Das war am zweiten Abend, nachdem wir im Dorf unseren Hauptwohnsitz bezogen hatten. Als ich damals den Laden betrat, erkannte ich den Inhaber sofort als einen der vielen Schaulustigen wieder, die sich anlässlich unseres Einzuges auf dem Hof vor unserem Haus versammelt hatten. Hajak begrüsste mich an jenem Abend mit den Worten: "Und, gefällt´s euch im Dorf?". Da ich diese Frage nach knapp 40 Stunden Aufenthalt nicht abschliessend beantworten wollte, antwortete ich mit einem jovialen "Ach ja!".


    Nun aber zurück zu Hajaks Dönerbude. Dort bekommt man neben den üblichen türkischen Speisen, die wirklich lecker sind, unter anderem auch Pizza zu kaufen. Ich bestellte also an jenem Abend die "Pizza Turka". Diese machte ihrem Namen alle Ehre, denn neben Tomaten, Käse, Knoblauchwurst und Rinderschinken enthielt sie auch in nicht unerheblichen Mengen dieses bekannte rote Gewürz, das man sonst nur auf Döner oder bei meiner Schwiegermutter zum Ausbrennen von Warzen antrifft. Trotzalledem war die Pizza insgesamt recht gut. Beim nächsten Mal als ich dort etwas für ein spätes Abendessen holen ging, begrüsste mich Hajak mit den Worten: "Und, habt ihr euch schon eingelebt?". Eine durchaus berechtigte Frage, weil wir ja nun schon volle vier Tage im Dorf wohnten. Aus diesem Grunde antwortete ich ihm aus vollstem Herzen: "Ach ja!".


    Da meine Brandwunden im Hals gerade in der Heilung begriffen waren, bestellte ich dieses Mal eine "Pizza Gemüse", die mir laut Speisekarte als Zutaten Tomaten, Käse und Brokkoli verhiess. Hajak nickte und begann mit der Zubereitung. Zuhause angekommen nahm ich die Pizza aus der Schachtel und machte mich heisshungrig darüber her, ohne mir die Zutaten näher zu betrachten. Noch während ich an dem ersten Bissen kaute, machte sich ein Gefühl der Schärfe in meinem Gaumen breit, das sich in etwa mit dem Genuss eines "Paragraphen" vergleichen liess. Der "Paragraph" ist ein Absinth, den man bei der Bärwurzerei erstehen kann, und der mit 55% in der Gruppe der schnellwirkenden Alkoholika deutlich punktet. Wie auch immer: Ich besah mir meine "Pizza" Gemüse" nun etwas genauer und stellte fest, dass sie statt den angegebenen Zutaten Tomaten, Käse, Knoblauchwurst und Rinderschinken enthielt. Natürlich waren diese Zutaten unter der dicken Schicht dieses bekannten roten Gewürzes und Warzenheilmittels kaum zu erkennen.


    Beim nächsten Mal bestellte ich "Pizza Hawaii" mit Tomaten, Käse, Ananasstücken und Schinken und erhielt "Pizza Hajak" mit Tomaten, Käse, Knoblauchwurst und Rinderschinken und dem altbekannten roten Desinfektionsmittel. Nun wollte ich es genau wissen. In grenzenloser Aufopferung meiner Gesundheit im Dienste der Forschung, bestellte ich im Laufe der Zeit jede Pizza, die auf der Speisekarte zu finden war. Es gab fünf Preisklassen und bei jeder diesen Pizzen waren unterschiedliche Beläge angegeben. Nach 16 Versuchen, die "Pizza Turka" und die vier Sorten Calzone eingeschlossen, kam ich zu folgendem Ergebnis:


    Alle Pizzen bei Hajak´s Dönerbude enthalten:


    Tomaten, Käse, Knoblauchwurst, Rinderschinken und dieses irrsinnig scharfe rote Zeug, dass von der Gemeindeverwaltung und den ansässigen Bauern bei Hajak auch zur Unkrautvernichtung geordert wird.


    Keine Pizza von Hajak´s Dönerbude enthielt die angebenen Zutaten, ausser natürlich der anfangs erwähnten "Pizza Turka".


    Seitdem ich zu dieser Erkenntnis gelangte, bestelle ich nach der Einführungskommunikation, die sich mittlerweile auf die beiden Sätze "Und?" und "Ach ja!" verkürzt hat, nur noch "Zwei mal Pizza". Seit diesem Tag bekomme ich merkwürdigerweise verschiedene Beläge, die sich aufgrund dieses merkwürdigen roten Zeugs, dass vermutlich als Fallout bei einem Atombombentest entstanden ist, natürlich nicht näher identifizieren lassen.


    Nun aber zurück zu jenem verhängnisvollen Sonntag, von ich dem eingangs sprach. Wie neuerdings üblich wollten wir bei Hajak´s Dönerbude telefonisch bestellen und das Essen dann abholen. Ich rief an ... besetzt. Ich rief nochmals an ... besetzt. Auch beim dritten Versuch war besetzt und ich nahm an, dass einer von Hajaks Gästen dort im Laden gegessen hatte und Hajak in diesem Moment verzweifelt versuchte, einen Notarzt für schwere Verbrennungserscheinungen anzufordern. Also ging ich persönlich hin.


    Statt der erwarteten Menge der Schaulustigen und dem Rettungshubschrauber entdeckte ich voller Entsetzen ein Schild an Hajaks Tür, auf dem stand: "Wir machen Urlaub von dem vielen Geld von diesem komischen Typ, der bei uns schon alle Pizzen probiert hat. Bitte versuchen Sie es in vier Monaten noch einmal.". Nun war allerdings wirklich Not am Mann. In unserem Dorf gibt es zwar auch noch eine Pizzeria, die wir am ersten Abend unseres Aufenthaltes getestet hatten, aber wir hatten uns damals entschlossen, lieber zu verhungern, als dort noch einmal zu bestellen, weil uns die gummiartige klebrige Substanz mit den undefinierbaren Zutaten sehr genau im Gedächtnis geblieben war. Zugegeben: Hätte ich damals beim Besuch der Pizzeria etwas genauer hingeschaut, hätte es mich sicher stutzig machen müssen, dass dort alle Gäste entweder Nudeln oder Salat verzehrten.


    Nun blieb für diesen Sonntag also nur noch die Kneipe an der Ecke, die auf einem vier Quadratmeter grossen Schild "Mittagstisch ab 4,50 Euro" anbietet. Bisher hatten wir uns immer gescheut, diese Möglichkeit der Nahrungsaufnahme in Erwägung zu ziehen, schon weil wir die näheren Zusammenhänge genau kennen. Wenn in der Kneipe an der Ecke gekocht wird, entsteht über dem ganzen Dorf eine grosse schwarze Wolke, die mit einem penetranten Geruch nach altem Fett einhergeht. Schallwellenartig breitet sich das Geräusch zugeschlagener Fenster über das ganze Dorf aus, beginnend bei den Nachbarn der Kneipe bis hin zum Haus der alten Kräuterhexe, das sich in absoluter Alleinlage 4 Kilometer vom Dorfkern befindet. Die Dorfsirene ertönt, um alle Dorfbewohner zu warnen und die Feuerwehr rückt in Strahlenschutzanzügen aus. Kurz nach dem Ertönen der Sirene hört man Martinshörner von Krankenwagen. Die Ortseingänge werden von der Polizei weiträumig abgeriegelt.


    Ungeachtet aller drohender Konsequenzen rief meine süsse Frau also in der Kneipe an der Ecke an. Begrüsst wurde sie mit einem ins Telefon genuschelten und dabei doch gekeiftem "Die Ecke", was vermutlich die freundliche Begrüssung eines potenziellen Gastes darstellen sollte. Sie nannte ihren Namen und bekam die Antwort: "Was?". Sie nannte ihren Namen nochmals und erhielt die gleiche Antwort, woraus sie schloss, dass ihr Gesprächspartner nicht etwa schlecht hörte, sondern nur wissen wollte, was ihr Begehr sei. Daraufhin fragte sie, ob man die angebotenen Speisen auch zum Mitnehmen bekommen könne, worauf sie von ihrem Gesprächspartner angeschrien wurde: "Grundsätzlich geht alles!". Daraufhin bestellte sie zweimal Jägerschnitzel mit Pommes a´ 6,50 Euro und Salat. Auf ihre Frage, wann sie das Essen abholen könne, teilte man ihr mit: "Ich muss nur die Chefin anrufen, zwanzich Minuten.".


    18 Minuten später begab ich mich also auf den Weg zur Kneipe an der Ecke, weil ich meine süsse Frau einem solchen Charmeur von Gastwirt nicht aussetzen wollte. Vorsichtshalber setzte ich meinen Motoradhelm auf und vergass auch nicht, meine Pistole und das Pfefferspray einzustecken. Nachdem ich eingetreten war und die Anwesenden mit einem freundlichen "Guten Abend !" begrüssen wollte, schrie mir der Wirt schon im Türrahmen zu: "Iss gleich fertich!". Ich setze mich also an den Tresen und begann sofort mit meiner üblichen Bestandsaufnahme. Die Kneipe an der Ecke hat sieben Tische mit insgesamt 36 Sitzplätzen, von denen genau einer besetzt war. Auf diesem Platz sass, direkt neben einem Geldspielautomaten der obligatorische Zocker, den man in jeder Kneipe findet. Während er beharrlich an seinem (vermutlich zwanzigsten) Bier nuckelte, versuchte er mit der linken Hand imaginäre Fliegen zu verscheuchen. Vielleicht glaubte er aber auch, mit dieser Handbewegung die Räder des Automaten in die richtige Stellung bringen zu können.


    Neben mir und dem Zocker befanden sich noch fünf weitere Personen in der Kneipe, der zauberhafte Chameur hinter und vier andere Männer vorm Tresen. Drei dieser vier hatten eine auffällige Ähnlichkeit miteinander, vor allem hinsichtlich ihren beginnenden Glatzen und ihres Bauchumfanges. Nur einer passte körperlich nicht so richtig zu den anderen ... der war damals vermutlich im Rahmen des "Frisches - Blut - für - unser - Dorf" - Programmes angeworben worden, auf das ich später noch genauer eingehen werde. Ich vermutete, dass an diesem Abend noch weitere Gäste erwartet wurden, denn einer der Drillinge sagte: "Der Hubert kommt noch, der hat gesagt, es ist zu warm zum bumsen.". Insgeheim hoffte ich natürlich, dass Hubert kein Mitglied des "Frisches - Blut - für - unser - Dorf" - Programmes sei, aber ich weiss es nicht genau, weil der Wirt in diesem Moment eine Plastiktüte auf den Tresen knallte und sagte: "16,80". Ich zahlte also und verabschiedete mich freundlich, was die Anwesenden kommentarlos zur Kenntnis nahmen.


    Bevor ich mich nun mit knurrendem Magen auf den Heimweg begeben konnte, zwang mich der örtliche Polizist, dem anwesenden Arzt meine Adresse mitzuteilen, damit man mich später schneller finden könne. Da ich in der Eile meinen Ausweis vergessen hatte, begleitete mich die komplette Mannschaft nach Hause und bezog Stellung vor unserer Wohnungstür. Kurz darauf hörten wir auch den Rettungshubschrauber auf dem Hof landen. Vorsorglich wurde auch die Landstrasse zur nächsten Stadt gesperrt, um die Rettungwege im Falle einer drohenden Epedemie freizuhalten. Die Polizei konnte ja nicht wissen, ob wir nicht womöglich Gäste eingeladen hatten.


    Zuhause angekommen wickelte ich sofort die vier Styroporpakete aus der orangen Plastiktüte mit den grossen Schlaufen und begierig nun endlich unsere knurrenden Mägen zu füllen, öffneten wir die Deckel. Wie sich bereits beim ersten Bissen herausstellte, wäre das allerdings gar nicht nötig gewesen, da es geschmacklich keinen Unterschied machte, ob man die Verpackung nun mitass oder nicht. Die Pommes waren dicke gelbliche Stücke, aussen noch etwas roh, dafür innen aber durchaus noch nicht durchgebraten. Ausserdem war der Koch offensichtlich ein fanatischer Anhänger der salzarmen Ernährung. Das spiegelte sich auch in dem Salatdressing wieder, welches mich farblich ein bisschen an das Zeug erinnerte, das ich damals auf der Jacke hatte, als ich im Zirkus von galoppierenden Kamelen angepisst wurde. Rein geschmacklich unterschied sich das Dressing in nichts von den anderen Zutaten der Speise: Es schmeckte einfach nur fade und nach ranzigem Bratfett. Vermutlich handelte es sich bei dem Bratfett um ein altes Erbstück, mit dem schon Bratwürste nach der Metzgerordnung von Heilbronn vom 7. April 1489 hergestellt worden waren. Ganz sicher aber war es auch schon in einigen alten Kriegen als Kanonenschmiere benutzt worden.


    Das einzige kulinarische Highlight des ganzen Essens war die Panade der Jägerschnitzel. Die Schnitzel waren etwa zwei Zentimeter hoch, wobei sich auf jeder Seite etwa 0,8 Zentimeter Panade befanden. Aus diesem Grund wäre das Essen sicher auch für einen Vegetarier geeignet gewesen, wenn dieser nicht allzu pingelig wäre. Die Panade war tatsächlich etwas cross und erinnerte von der Konsistenz ganz auffällig an das, was man in jedem Baumarkt unter der Bezeichnung "Rindenmulch" zu kaufen bekommt. Das Minimum an fast rohem Fleisch machte sich kaum bemerkbar.


    Es war mir zwar anfangs ein absolutes Rätsel, wieso die Panade so verbrannt und das Fleisch so roh waren, schliesslich kam ich aber doch auf die Lösung, als ich auf die erste Nadel eines Elektrotackers biss. Offensichtlich wurde die Panade schon im Januar für den Rest des Jahres vorgebacken und dann bei Bedarf tiefgefroren auf die Schnitzel getackert.


    Wir beendeten unser Mahl, wie wir es begonnen hatten, mit knurrenden Mägen und stopften die Pakete wieder zurück in die Tüte, auf welcher mir erst jetzt das grosse schwarze Kreuz auffiel. Beim Nachschlagen der Bedeutung dieses Symbols wurde mir einiges klar. Dort stand nämlich:


    Bezeichnung: gesundheitsschädlich Xn


    Wirkungen: führt in grösseren Mengen zu gesundheitlichen Schäden oder zum Tode


    Vorsichtsmassnahmen: Nicht einatmen, berühren, verschlucken, bei Vergiftungen Arzt aufsuchen, Erbrechen verursachen, Gegengift, Magen auspumpen