Unser Dorf - Rettet den Teich

  • Rettet den Teich


    Als ich letzten Sommer (Er dauerte in diesem Jahr ungefähr vom 3. bis 19. März ... Wär ich bloss ein Kaff weitergezogen, da, wo die vielen grossen Deutschlandfahnen hängen. Da ist immer schönes Wetter, wie mir einer der Ureinwohner versicherte, der so schnell wie möglich einen Nachmieter suchte. Allerdings hat´s bei dem in der Hütte auch ganz verdächtig nach Gras (Oder wie der ortsansässige Polizist unseres Dorfes, der in Regel durch Abwesenheit auffällt, sagen würde: "Haschisch".) gerochen) unser schönes Dorf verliess ...


    Ich merke schon, dass eine schleichende Anpassung an die Bevölkerung des Dorfes unausweichlich ist, wenn man nur lange genug hier wohnt. Den obigen Satz kann ich selbst kaum noch verstehen, und beginne ihn daher noch mal von vorn:


    Als ich letzten Sommer unser schönes Dorf verliess, um in die grosse grosse Stadt zu fahren, stach mir plötzlich ein stechender, fauliger Geruch in die Nase. Ich wendete meinen Blick nach rechts (So, wie es sich auf dem Dorf gehört.) und sah zum ersten mal bewusst direkt neben der Strasse, aber gut von baufälligen Häusern und toten Bäumen getarnt, einen Tümpel, dessen Farbe ungefähr die Gleiche war, die das Zeug hatte, dass ich nach meinem letzten Essen in der Kneipe an der Ecke später wieder von mir gegeben habe.


    Unerschrocken wie ich nun mal bin, holte ich sofort meine Gasmaske, die ich mir kurz nach dem Einzug in unsere beschauliche Wohnung auf dem Land gekauft hatte, aus dem Kofferraum und ging los, um mir dieses Wunder der Natur näher anzusehen. Zwar konnte ich unter dem geschlossenen Algenteppich weder Fische noch Wasser entdecken, dafür aber sah ich eine halb verweste Hand, die gelegentlich auftauchte, um mich mit ausgestrecktem Zeigefinger zu sich zu locken. Als Zeichen des Verzichts nahm ich meine Pistole (In unserem Dorf darf meiner Erfahrung nach jeder Idiot in der Gegend rumballern.) und gab einen gezielten Schuss ab, worauf sie verschwand. Nachdem ich mir dieses stinkende Stück Schande noch ein Weilchen angesehen hatte, schwor ich mir, nie wieder in seine Nähe zu kommen und vergass es für erste.


    Aber wie heisst so schön: "Man trifft sich immer zweimal im Leben.". Genauso ging es mir mit unserem, wie ich inzwischen erfahren habe, "Dorfteich". Als ich kürzlich nach einer rasanten Fahrt über den Parkplatz unseren örtlichen Supermarktes direkt vor dem Eingang des Ladens parkte (Das macht man hier anscheinend immer so.) und gemächlich hinein ging, um mir wieder mal Biomüll zu völlig überzogenen Preisen andrehen zu lassen, fiel mein Blick auf das schwarze Brett des Ladens, wo neben den unzähligen "Nachmieter dringend gesucht"-Zetteln auch einer hing, der mit den Worten betitelt war: "Aufruf zur ersten Dorfteich-sauber-mach-Aktion". Ich weiss natürlich, dass sich dieses Wortkonstrukt grauenhaft anhört, aber genau so stand es auf dem schweinchenrosa Zettel an der Wand. Im Anschluss an diese Aktion, bei der wie üblich auch für das leibliche Wohl gesorgt werden würde (Auch wenn mir schleierhaft ist, wie man bei dem Gestank dort irgendwas Essbares runterwürgen könnte.) sollte in der Kneipe an der Ecke der Verein "Freunde des Dorfteichs" gegründet werden. In unserem Dorf gibt es übrigens jede Menge Vereine, einer heisst meines Wissens "Freunde der örtlichen Giftstoffdeponie". Aber das nur am Rande.


    Ich nahm mir also fest vor, wenn schon nicht zur Dorfteich-sauber-mach-Aktion, dann doch wenigstens zur Gründungsveranstaltung des Vereins zu gehen. Ich hätte mir den Termin ganz sicher auch zuhause aufgeschrieben wenn, ja wenn an diesem Tag nicht wieder Hannelore an der Kasse des Supermarktes gesessen hätte. Um diesen Umstand etwas näher zu erläutern, werde ich ein paar Worte dazu verlieren ... wer das lieber nicht wissen will, lässt besser gleich die nächsten vier Absätze aus.


    An diesem Tag sass also mal wieder als einzige Kassiererin "unser Hannelörchen" an der Kasse. Nun muss man wissen, dass unser Supermarkt eine architektonische Schönheit mit einer Seitenlänge von etwa 400 Metern und einer Breite von circa 35 Metern ist. Das ist unheimlich praktisch, schon weil es zwischen den Regalen keine Durchgänge gibt, so dass man tatsächlich an jeden Regal vorbei muss, um zur Kasse zu gelangen. Wenn man dort ankommt hat man also in der Regel ungefähr 2 km Strecke zurückgelegt. Schlauerweise ist die Metzgereiabteilung so angelegt, dass sie sich quasi auf der Endgeraden zur Kasse befindet. Von dort aus kann man praktisch den ganzen Gang bis zur Kasse überblicken. Im Abstand von jeweils fünfzig Metern hängen grosse Displays an der Decke, die einem neben der verbleibenden Strecke auch die geschätzte Ankunftszeit bis zur Kasse mitteilen. Normalerweise reicht die Schlange der Wartenden in der absoluten Stosszeit etwa vier bis fünf Meter bis zur Kasse.


    Nicht so, wenn Hanni an der Kasse sitzt. In diesem Fall endet die Schlange für gewöhnlich direkt an der Metzgereiabteilung, also gute 400 Meter von der Kasse entfernt. Das ist nicht so gut für den gemeinen Kunden, aber sehr gut für die Metzgereiabteilung, die an diesen Tagen endlich die warme Mittagsmahlzeit der ganzen letzten Woche verkaufen kann. Bei den Kunden, die diese Chance verpasst haben, wird man Hannelore später jede Menge leere Lebensmittelverpackungen über den Scanner ziehen sehen, weil sie den Kram aufgrund des urinstinktlichen Überlebenswillens der menschlichen Kreatur schon auf dem Weg zur Kasse verzehrt haben. Das hat natürlich den Nachteil, dass man praktisch mit leeren Händen nach Hause kommt, aber was soll´s. Ausserdem ist Hannelore ja nicht jeden Tag da.


    Ungefähr 8 Meter von der Kasse entfernt hängt eine Art Klingel, die auf Knopfdruck eine Bandansage mit den Worten "Bitte besetzen Sie eine weitere Kasse" verlauten lässt. Natürlich benutzt in unserem schönen Dorf niemand dieses Teil, zum einen, weil es in ungefähr vier Meter Höhe hängt und zum anderen, weil es ja von dort aus nur noch etwa 25 Minuten bis zur Kasse sind. Vermutlich war ich der Einzige, der es je benutzt hat, aber nur, weil an diesem Tag zufällig eine Leiter in der Nähe stand und weil sie so ein tolles Display aufgehängt hatten, auf dem stand: "Wir besetzen eine weitere Kasse innerhalb von 90 Sekunden!". Tatsächlich fing auch sofort der Countdown an: 90, 89,88 ... 38, 37, 37, 37, 37.


    Eines Tages begegnete mir auf dem Weg zu Hannelore der Junior-Chef des Ladens, zu dem ich sagte: "Wenn das mein Laden wäre, würde ich dieses Relikt an der Kasse sofort dem Museum für Sepulkralkultur überschreiben. Die können noch ein paar Tote gebrauchen.". Er begann daraufhin bitterlich zu weinen und sagte: "Ich würde die Alte so gern rausschmeissen, aber die ist schon dreissig Jahre hier ... wenn ich das mache, werfen die Einheimischen mich in den Dorfteich!". Ein derartiges Opfer konnte ich natürlich nicht von ihm verlangen.


    Kommen wir nun also zurück zum eigentlichen Thema: Unser Dorfteich. Nachdem ich aufgrund der oben genannten Umstände nicht nur die erste "Teich-sauber-mach-Aktion" sondern auch noch die Gründungsveranstaltung in der Kneipe an der Ecke verpasst hatte, stiess ich heute zufällig auf einen Bericht darüber in der örtlichen Zeitung. Dort war zu lesen, dass man sich am vergangenen Wochenende getroffen hatte, um "Unkraut, Schilf und einige Leichen aus dem ersten Weltkrieg aus dem Dorfteich zu holen". Für das leibliche Wohl war gesorgt. Weiter war zu lesen, dass am folgenden Mittwoch die fleissigen Helferinnen und Helfer den Verein "Freunde des Dorfteichs" gründeten. Der arme geplagte Journalist, der über diese wahnsinnig spannende Aktion zu berichten hatte, schrieb weiter, dass das erklärte Ziel des Vereins sei, den Dorfteich zu erhalten, ihn zu pflegen und mit dem Grün drumherum als Naherholungsgebiet zu gestalten.


    Bei ihrem fröhlichen Zusammensein in der Kneipe taten die 19 Gründungsmitglieder das, was alle Vereinsmeierer am Anfang tun: Sie beschlossen eine Satzung und wählten einen Vorstand. Sie wählten neben den beiden Vorsitzenden und dem Schatzmeister sogar eine Referentin für Öffentlichkeitsarbeit. Deren Aufgabe wird vermutlich darin bestehen, Warnschilder zu entwerfen, die sich nähernde Unwissende vor den Gefahren des Molochs warnen. Vielleicht entwirft die Dame aber auch Anzeigen für Reisebüros mit den Worten: "Geniessen Sie Ihren Urlaub in unvergesslicher Athmosphäre in unserem traumhaften Naherholungsgebiet. Alles, was Sie aus unserem See ziehen, müssen Sie behalten. Wohnen Sie in einer beschaulichen Unterkunft mit Blick auf´s Ufer. Gute Einkaufsmöglichkeiten vorhanden."