:grinSo, ich hoff, ich hab's hier wirklich nirgends rezensiert gesehen, und kann so einfach in die Claviatur greifen...
:gruebelEigener Anstoß, das Buch zu kaufen und zu lesen, war ein Vorschmökern, das mich auf eine Fehleinschätzung des Phänomens Mafia meinerseits aufmerksam machte:
Wie so viele bin ich dem Irrtum aufgesessen, die Mafia sei eine süd- und osteuropäische Mentalitätsangelegenheit, die ein natürlicher Nebeneffekt einer auf Sippen- und Familien-Clans basierenden Gesellschaft ist, und wenn nicht früh/mittelalterliche dann zumindest Traditionen des rinascimento weiterführt.
Obwohl Bündelei, die Gründung von Parteiungen, Bruderschaften, Banden und sonstigen Geheimbünden zum allgemein menschlichen - vor allem männlichen - Verhaltensrepertoire gehört, stellt der geheime Männerbund der Mafia eine Besonderheit dar, weil er sich schon in seinen Ursprüngen keine politischen, religiösen oder philosophischen Ziele setzte, sondern rein kriminelle.
DAS BUCH
Dickie macht deutlich, dass, obwohl es im Aufnahmeritual und den Verhaltensweisen Anlehnungen an andere italienische Geheimbünde, wie den Carbonari und anderen Freimaurerorganisationen (wie übrigens auch an spätmittelalterliche / renaissancezeitliche Gebetsbruderschaften, die in den Anfängen der Mafia als deren Tarnung dienten) gibt, das eigentliche Entstehen der Mafia erst um 1840 anzusetzen ist.
Die Wurzeln der Mafia liegen sowohl in der ländlichen Tradition des Viehraubs, der begonnen vom schweigenden Nachbarn bis zum Metzger ein funktionierendes Netzwerk vieler Helfershelfer benötigte, sowie auch den - eigentlich gegen diesen - militärisch organisierten, aus angeworbenen Söldnern und Banditen bestehenden Privatarmeen abwesender Großgrundbesitzer, die unter der Aufsicht eines oft selbstherrlichen gabeloti, Gutsverwalters, standen.
Diese gabeloti und ihre angeworbenen Söldner und Banditen stellten die ersten cosche, die sich mit ähnlichen Vereinigungen in Kontakt und Konkurrenz befanden und Dachorganisationen gründeten, die ihre Handlungen koordinierten.
Aufahmebedingung in die Reihen der mafiusi, der 'Coolen, Feschen' war das erfolgreiche Begehen eines Mordes.
Richtig groß wurde die Mafia erst um die 1860er, als in Sizilien der Zitronenanbau für die englische Marine, sowie auch der Schwefelabbau grosse wirtschaftliche Bedeutung errangen und Möglichkeiten zu Schutzgelderpressungen und grossangelegten, internationalen Schmuggelaktionen boten.
Dickie entwirft anhand von Lebensgeschichten einzelnen Persönlichkeiten, die für oder gegen die Mafia arbeiteten, lebten und starben, die dahinter stehende Geschichte der Organisation. Der Bogen spannt sich von der ersten Nennung der 'kriminellen Sekte' 1863 bis zur Verhaftung des letzten bislang bekannten Bosses der Bosse, Bernardo Provenzano, 2006.
Das Buch ist flüssig und sehr interessant geschrieben; man bleibt dabei, auch wenn man eigentlich anderes tun sollte.
Ein realer Krimi, der mit vielen grossen, erschütternden und kleinen, erheiternden Geschichten und Anekdoten aufwartet, etwa auch der des Treffens des Bosses Cola Gentile auf den 'Duttureddu' Andrea Camillieri. -
(Quelle: hier, weiter unten im text)
Der Vater des Commissario Montalban gab dem Buch eine zutreffende Empfehlung mit auf den Weg: "Ich weiss nicht, was ich am Meisten loben soll: Dickies Scharfsinn als Historiker oder seine Gewandtheit als Erzähler."
:angelKrimieulen: dieses Buch gehört sofort auf euren SUB - und dann auch gelesen.
DER AUTOR
John Dickie, Historiker und Journalist, lehrt Romanistik am University College in London.
Er hat zahlreiche Publikationen zur Geschichte und Kultur Italiens verfasst.